Roller, Rad, Auto, Bus: Wer in der Krise profitiert und wer nicht

E-Tretroller, Leihraddienste oder Carsharing-Angebote: Schon vor der Krise war der Markt neuer Verkehrsanbieter hart umkämpft. Mit Corona hat sich der Wettbewerb noch einmal verschärft. Wer künftig profitiert, hängt auch von Entscheidungen der Kommunen ab.
Nicht nur Räder, Bahnen und Autos müssen sich den knappen Verkehrsraum wie hier in Dresden teilen. Auch immer mehr neue Mobilitätsanbieter mischen im Markt mit. (© Imago)

Von Matthias Arnold, dpa

Plötzlich war alles ganz entspannt: Kein Gedränge mehr in U-Bahnen und Bussen, kein Stau auf dem Weg zur Arbeit, keine Touristen, die auf E-Tretrollern die ohnehin schon engen Fahrradwege blockierten. Die Corona-Krise hat die Art der Fortbewegung auf den Kopf gestellt. Viele Menschen arbeiteten plötzlich zu Hause. Raus gingen sie nur noch zum Einkaufen. Straßen, Bürgersteige und Radwege blieben weitgehend leer.

Was besonders Großstadtbewohner trotz aller Belastungen auch als angenehm empfunden haben dürften, stellte Anbieter von Verkehrsdiensten vor erhebliche Probleme. Der Öffentliche Nahverkehr (ÖPNV) fuhr trotz leerer Fahrzeuge weiter – und damit massive Verluste ein. E-Tretroller, die vorher zu Dutzenden an jeder Ecke standen, verschwanden von den Straßen. Und selbst Carsharing-Dienste und Leihrad-Anbieter verzeichneten zumindest zu Beginn der Krise einen Nachfragerückgang.

„Das sind allerdings nur Momentaufnahmen. Was sich von den Veränderungen langfristig einpendelt, steht auf einem anderen Blatt“, sagt Andreas Nienhaus, Verkehrsexperte bei der Beratungsfirma Oliver Wyman.

Markt der Mobilitätsdienste verändert sich

Allmählich kehren die Nutzer zurück. Busse, Bahnen und Straßen werden voller. Die Anbieter von E-Scootern, Fahrrädern und Leihautos berichten einheitlich von wieder steigenden Nutzerzahlen. Doch auf dem hart umkämpften Markt der Mobilitätsdienste – da sind sich viele Experten einig – wird es Veränderungen geben, Gewinner und Verlierer.

Zu Ersteren gehört das Fahrrad. Die Zweiradindustrie vermeldet für Mai die höchsten Verkaufszahlen ihrer Geschichte innerhalb eines Monats. Angesichts des sich fortsetzenden Verkaufsbooms liegt es nahe, dass auch der Leihradmarkt profitieren dürfte: „Unsere Neuregistrierungen sind in eingen Städten durch die Decke gegangen“, bestätigt Mareike Rauchhaus, Sprecherin des Leihradanbieters Nextbike. „Wir erreichen neue Nutzergruppen, die das Fahrrad vielleicht ohne Krise gar nicht auf dem Schirm gehabt hätten.“

Jashar Seyfi, Deutschlandchef beim E-Tretroller- und Fahrradanbieter Lime, sagt: „Es war interessant zu sehen, wie schnell unser Fahrradgeschäft wieder angezogen hat und wie viel stärker das Fahrrad inzwischen wieder im Vergleich zu Vor-Corona-Zeiten ist.“ Das E-Tretroller-Geschäft entwickle sich hingegen ein wenig langsamer.

Corona als „Katalysator“ für die Radbranche

Auch bei Swapfiets, bei denen Räder über ein Abo-Modell über mehrere Wochen und Monate ausgeliehen werden können, berichtet Geschäftsführer Marc van Pappelendam: „Corona wirkt wie ein Katalysator. Wir haben unsere Kundenzahlen in unseren Märkten Deutschland, Dänemark, Belgien und Holland innerhalb der letzten zwölf Monate auf inzwischen 200.000 verdoppelt.“

Die Kommunen hätten den Trend erkannt: „Große Städte investieren derzeit massiv und schaffen eine deutlich bessere Fahrradinfrastruktur“, sagt van Pappelendam und verweist auf Pop-Up-Fahrradwege wie in Berlin oder Köln. „Manche überlegen, Autos gleich ganz aus Stadtzentren zu verbannen – etwa Paris.“

Doch besonders in Deutschland ist der Kampf um die Straße noch lange nicht entschieden. „Die Industrie selbst geht davon aus, dass das Auto ein Stück weit der Gewinner der Krise sein wird“, sagt Verkehrsexperte Nienhaus. Auch wenn die Zulassungszahlen von Neuwagen in ganz Europa massiv eingebrochen sind, muss das auf Dauer nicht so bleiben. „Es gibt Förderprogramme, die in Deutschland sehr prominent diskutiert wurden. Und kaufe ich erstmal ein Auto, dann bin ich in den nächsten fünf bis zehn Jahren an ein Verkehrsmittel gebunden.“

Verändertes Nutzerverhalten beim Carsharing

Carsharing-Anbieter wie das zu VW gehörende Unternehmen WeShare treten daher selbstbewusst auf. „Wir sehen, dass das Thema Carsharing zu den Corona-Krisengewinnern gehört“, sagte kürzlich Hauptgeschäftsführer Philipp Reth. Inzwischen lägen die Auslastungswerte der per App buchbaren Autos sogar über den Werten von vor der Corona-Krise. Verändert habe sich allerdings das Fahrverhalten der Kunden: Kürzere Wege zur Arbeit fielen weg. Dafür würden die Fahrzeuge länger gebucht und etwa für den Wocheneinkauf genutzt, sagte Reth. Ab Sommer will das Unternehmen in Berlin deshalb ein Abomodell testen.

Auch Lime plant diesen Schritt für seine Fahrräder und E-Tretroller. Die Scooter sind seit mehr als einem Jahr in Deutschland zugelassen, und der Markt war seit jeher schwer umkämpft. Der harte Wettbewerb hat sich aus Sicht von Branchenexperte Nienhaus in der Corona-Krise noch einmal verschärft. Die meisten Tretroller-Anbieter in Deutschland mussten ihren Dienst während der Krise vollständig einstellen. Vor allem kleinere Anbieter in der zweiten Reihe seien bei den jüngsten Finanzierungsrunden leer ausgegangen, sagt Nienhaus. Und selbst finanzstarke Anbieter wie Uber haben sich komplett zurückgezogen und ihre Flotten an die Konkurrenz verkauft. Während größere Unternehmen wie Lime, Tier oder Bird gut durch die Krise gekommen sind, dürften mittelfristig viele kleinere verschwinden.

ÖPNV als Verlierer der Krise

Doch der eindeutige Verlierer der Krise ist der Öffentliche Nahverkehr. Um rund 90 Prozent sind die Fahrgastzahlen vielerorts eingebrochen. Die Branche schätzt die eigenen Verluste auf rund fünf Milliarden Euro. Für Nienhaus ist auch das ein Grund, warum das Auto in den Innenstädten bald wieder präsenter sein könnte. „Man erkennt gerade, dass diese ganzen Mobilitätskonzepte nicht die Menschenmassen auffangen können, die durch den Einbruch im ÖPNV gerade frei werden“, sagt er. „Viele steigen deshalb immer noch aufs Auto um.“

Wollten die Städte einen Verkehrsinfarkt vermeiden, seien sie gut beraten, die Infrastruktur zugunsten der übrigen Verkehrsangebote umzugestalten. Pop-up-Radwege, soll das im Klartext heißen, dürfen nach der Krise nicht wieder verschwinden.