Die Mülltrennung ist überflüssig? „Wir räumen mit Mythen auf“

Die Corona-Krise hat einen wenig beachteten Nebeneffekt: In den privaten Haushalten fällt mehr Verpackungsmüll an. Recycling wird also immer wichtiger, sagt Alexandra Ranzinger im Gespräch mit der absatzwirtschaft. Die CRM-Expertin steuert für die dualen Systeme die Kampagne "Mülltrennung wirkt".
Workinghead
Alexandra Ranzinger vom dualen System: "Unser Budget ist mit acht Millionen Euro jährlich nicht üppig." (© Workinghead)

Frau Ranzinger, durch die Corona-Pandemie ist das Aufkommen an Plastikmüll in Deutschland um rund zehn Prozent gestiegen. Können die dualen Systeme die zusätzlichen Mengen verarbeiten?

ALEXANDRA RANZINGER: Es stimmt, in den Haushalten fallen mehr Verpackungen an. Die dualen Systeme haben sich darauf eingestellt und speisen die zusätzlichen Mengen in den Wertstoffkreislauf ein. Das System funktioniert so, dass jede Kommune festlegt, welches Sammelsystem eingesetzt wird: Gelber Sack, Gelbe Tonne oder Wertstoffinsel. Die Kommune gibt auch in einem bestimmten Rahmen vor, in welcher Frequenz abgeholt wird. Die dualen Systeme stellen sich auf diese Vorgaben ein.

Je mehr Abfall es gibt, desto wichtiger wird die Wiederverwertung. Seit März läuft Ihre Kampagne „Mülltrennung wirkt“. Was ist das Ziel?

Dass mehr Verpackungen gesammelt werden, und dass richtig getrennt wird, damit wir mehr recyceln können. Wenn beispielsweise eine Windel in den Gelben Sack kommt, kann dessen Inhalt nicht mehr verwertet werden. Wir haben leider sehr viele dieser so genannten Fehlwürfe: Im Durchschnitt sind es fast ein Drittel, in manchen Regionen sogar 60 Prozent.

Wir haben unsere Kampagne vor einem Jahr in Nordrhein-Westfalen getestet, im Kreis Euskirchen, und in der dortigen Sortieranlage Messungen durchgeführt. Nach drei Monaten hatte sich der Restmüll im Gelben Sack um zehn Prozent reduziert. Daraufhin haben sich die dualen Systeme für den nationalen Rollout der Kampagne entschieden. Zum Launch haben wir uns für TV- und Radiowerbung entschieden und sind sehr aktiv im Bereich Social Media.

Heißt?

Wir haben, neben unserer Website, Instagram- und Facebook-Accounts mit hohen Reichweiten und vielen konkreten Fragen: Was wird recycelt, wohin gehört diese Verpackung, muss ich die Banderole abmachen? Daran sieht man, dass den Verbraucher das Thema wirklich interessiert. Außerdem kooperieren wir auf den Social-Media-Kanälen zum Beispiel mit Louisa Dellert, die sich einen Namen als „Greenfluencerin“ gemacht hat. Mit dem bekannten Youtuber Aaron Troschke drehen wir einen Film in einer Sortieranlage.

Das heißt, die Kampagne zielt vor allem auf jüngere Leute?

Tatsächlich fühlen sich viele junge Menschen angesprochen, die Generation Greta. Der Test in Euskirchen hat aber gezeigt, dass die Kampagne auch bei Älteren wirkt. Wichtig ist, dass jeder die Botschaften versteht, dass sie verständlich, greifbar und schnell zu erfassen sind.

Beim Ausbruch der Corona-Pandemie hatten die Menschen andere Sorgen als Mülltrennung. Wie sehr beeinträchtigt das die Kampagne?

Natürlich hätten wir uns andere Rahmenbedingungen gewünscht. Anfang März konnten wir gerade noch unseren Launch in Berlin mit einem Presseevent erfolgreich starten, zwei Wochen später kam der Lockdown. Aber man merkt schon, dass sich die Leute trotzdem für das Thema interessieren, auch weil sie jetzt mehr zuhause sind. Das Engagement in unseren Social-Media-Kanälen steigt laufend. Inwieweit sich das in der Praxis auswirkt, können wir erst bei der nächsten Messung der Restmüllquoten feststellen. Diese hätte längst stattfinden sollen, wegen der Pandemie war das bisher jedoch nicht möglich.

Viele Verbraucher glauben ja, Plastikmüll werde ohnehin verbrannt.

Wir versuchen, mit solchen Mythen explizit aufzuräumen und zeigen, dass es moderne Sortieranlagen gibt und dass tatsächlich recycelt wird. Dass in den Entsorgungsfahrzeugen für Glas nicht alles zusammengeschüttet wird, wie manche glauben, sondern der Laderaum aus getrennten Behältern besteht. Unsere Botschaft an die Verbraucher ist: Die Arbeit, die du dir zuhause machst, die lohnt sich! Wenn du Abfall trennst, bringst du einen Mehrwert für die Gesellschaft.

Wie hoch ist der Anteil der Kunststoffe im Gelben Sack, der recycelt wird?

Er liegt bei fast 60 Prozent und könnte noch höher sein, wenn besser getrennt würde.

Im September hat mit Netto der erste Lebensmittler die Kampagne aktiv aufgegriffen und am PoS eingesetzt. Was ist das Ziel?

Unser Budget ist mit acht Millionen Euro jährlich nicht üppig, daher freuen wir uns über Kooperationen. Sie geben uns die Möglichkeit, genau dort über Verpackungen aufzuklären, wo sie anfallen. Bei den Konsumenten kommt das gut an, denn wir erhalten ständig das Feedback, dass sie sich mehr Aufklärung am Point of Sale wünschen. Da ist die Kooperation mit Netto ein starkes Signal. Wir sind dort in mehr als 4200 Netto-Filialen präsent und haben dadurch in kürzester Zeit über 90 Millionen Verbraucher erreicht, ein tolles Ergebnis.

Was hat Netto davon?

Netto engagiert sich seit Jahren im Bereich Nachhaltigkeit. Es ist mittlerweile jedem Händler ein Anliegen, zu Ressourcenschonung und CO2-Einsparung beizutragen. Wir erhalten viele Anfragen von Supermärkten, die sich an der Kampagne beteiligen wollen, ebenso von Drogerien und Baumärkten.

Die dualen Systeme bestehen aus zehn konkurrierenden Unternehmen; die Kampagne, die Sie koordinieren, ist ein Pilotprojekt. Wie bringen Sie die Wettbewerber unter einen Hut?

Das Wichtigste ist, gemeinsame Ziele zu definieren: eine höhere Sammelmenge, weniger Fehlwürfe, mehr Recycling und dadurch mehr Klimaschutz. Der nächste Schritt sind sehr klare Regeln und Prozesse für die Zusammenarbeit: In welchen Gremien wird was behandelt? In welchem Turnus trifft man sich, wer darf was entscheiden? Es gibt auch Abstimmungsregeln für den Fall, dass man sich einmal nicht einig ist. Auf diese Weise vermeiden wir ausufernde Diskussionen und können extrem schnell Beschlüsse fassen.

Auch, wenn es ums Geld geht?

Budgetrelevante Themen werden von allen zehn Unternehmen einstimmig entschieden. Bei strategischen Themen gilt das Mehrheitsprinzip, wobei die Stimmen nach Marktanteil gewichtet sind. Erfreulicherweise waren wir uns bisher bei den meisten Themen einig.


Vita: Alexandra Ranzinger

Nach sechsjähriger Tätigkeit in der Münchener Unternehmensberatung Dr. Kaub Consult verantwortete Alexandra Ranzinger von 2000 bis 2005 das Partner- und Kundenmanagement bei der Loyalty Partner GmbH, der Betreibergesellschaft von Payback. Im Anschluss daran baute sie von 2006 bis 2009 als Geschäftsführerin die Deutschland Card auf, das Multipartner-Bonusprogramm von Arvato. 2009 machte sich Ranzinger schließlich mit dem Beratungsunternehmen Workinghead selbständig und berät seit Anfang 2019 die zehn dualen Systeme im Rahmen der Aufklärungskampagne „Mülltrennung wirkt“.


(mat) führte ihr erstes Interview für die absatzwirtschaft 2008 in New York. Heute lebt die freie Journalistin in Kaiserslautern. Sie hat die Kölner Journalistenschule besucht und Volkswirtschaft studiert. Mag gute Architektur und guten Wein. Denkt gern an New York zurück.