Marketing bei Duravit: „Es muss ethisch eine Haltung haben“

Wie schwierig ist Werbung für Hygieneprodukte, was bewirkt der Verstoß gegen Tabus? Ein Gespräch mit Mathias Schott, Marketingleiter des Sanitärherstellers Duravit, anlässlich der neuen Kampagne für Dusch-WCs.
Mathias Schott
Duravit-Marketingleiter Schott: "Wenn das Augenzwinkern nicht verstanden wird, geht‘s schief." (© Duravit)

Herr Schott, das aktuelle Werbevideo von Duravit für das Dusch-WC Senso Wash beginnt mit den Worten „2020, also jetzt mal unter uns, war wirklich für’n Arsch“. Ist das nicht etwas gewagt?

MATHIAS SCHOTT: Wir haben uns das lange überlegt, zusammen mit der Hamburger Agentur Philipp und Keuntje. Wir hatten das Gefühl, uns haarscharf zu bewegen zwischen dem Effekt, dass sich jemand veralbert vorkommen könnte, und der gewünschten Reaktion: Das spricht mir aus der Seele. Es gab ja diese Stimmung vor Weihnachten, viele Leute waren genervt von der allgemeinen Situation. Klar war, dass wir einen besonderen Protagonisten brauchen…

…den Komiker Matze Knop. Wie schwer war es, ihn für den Spot zu gewinnen?

Knop war einer der Wunschkandidaten. Die Agentur hat die Nuancierung sehr fein mit seinem Management abgestimmt. Zehn Minuten nach Produktionsbeginn war klar, dass wir sämtliche Bedenken vergessen konnten.

Die Kamera zoomt, als wäre es die normalste Situation der Welt. Das funktioniert, weil sie Matze Knop nicht peinlich war. (Foto: Duravit)

Knop redet im Clip darüber, dass man „endlich etwas Positives“ verdient habe – und erst dann bekommt der Zuschauer mit, dass er auf dem Klo sitzt. Eigentlich eine peinliche Situation. Warum funktioniert der Spot?

Es ging darum, das Thema Dusch-WC augenzwinkernd aus der Tabuzone zu holen. Wir haben das so vorbereitet, wie wir alles vorbereiten bei Duravit: Das Setting ist super ästhetisch. Der Protagonist arbeitet professionell und auf hohem Niveau. Den Moment, den Sie ansprechen, haben wir sehr bewusst gefilmt: Die Kamera zoomt, als wäre es die normalste Situation der Welt. Das funktioniert, weil sie Matze Knop nicht peinlich war. Er bringt es so rüber, als wäre es ein Jahresendgespräch zum Thema Hygiene und rein zufällig an diesem Ort.

Auf Facebook sind die meisten Reaktionen amüsiert oder begeistert. Aber es gibt auch Kommentare wie „Niveau ganz unten angelangt“.

So etwas kriegen Sie bei jeder augenzwinkernden Aktion. Wir haben uns dafür entschieden, solche Kommentare stehenzulassen, so lange sie nicht gegen die Netzetikette verstoßen.

Wie wurde die Kampagne konzipiert?

Die Idee entstand Ende November, Mitte Dezember haben wir begonnen zu produzieren. Sie sehen, wir predigen nicht nur agiles Marketing, wir leben es auch (lacht). Dann haben wir gebucht, was noch zu buchen war. Eine Schwierigkeit war, dass Spots beim Fernsehen eine Prüfinstanz durchlaufen müssen. Die arbeitet an allen Tagen, aber nicht an Weihnachten. Somit haben wir viral und Social Media kurz nach Heiligabend begonnen und TV nach den Feiertagen, mit dem größten Impact an den Tagen vor dem Jahreswechsel. Hinzu kam PR.

Haben Sie Influencer gebucht?

Nein, das Risiko war uns zu groß. Wir waren uns nicht sicher, ob der Clip dann so rüberkommt, wie wir ihn angelegt haben.

Wieviel Reichweite hat die Kampagne gebracht?

Es war ein besonderes Jahr. Die Leute sind nicht ausgegangen, sondern saßen zuhause und haben stark auf Entertainment gesetzt. Das hat sehr geholfen. Alles in allem haben wir eine Reichweite von knapp 40 Millionen erzielt. Das ist für einen kurzen Impact zwischen Weihnachten und Neujahr enorm und hat im Handel eine große Nachfrage nach Dusch-WCs ausgelöst. Digital läuft der Clip noch, aber von der zweiten Januarwoche an haben wir ihn nicht mehr aktiv beworben.

Warum nicht?

Man kann in den sozialen Medien den Leuten schnell auf den Wecker gehen. Wenn man den Witz verstanden hat, ist es auch mal gut.

Generell: Worauf muss man achten, wenn man Werbung für Produkte aus dem Hygienebereich macht?

Erstens: seriös an die Thematik herangehen. Ich komme aus der Agenturecke und habe es immer wieder erlebt: Wer bei solchen Produkten unter der Gürtellinie ansetzt und Regeln verletzt, erzielt vielleicht kurzfristig Reichweite – aber keine nachhaltige Absatzsteigerung. Die lässt sich nur erreichen mit dem chirurgischen Instrumentarium einer professionellen Produktkampagne. Zweitens: sich darüber bewusst sein, wo die Tabuzone verläuft. Man darf sich nicht zu weit entfernen von der gesellschaftlichen Haltung. Wenn das Augenzwinkern nicht verstanden wird, geht‘s schief.

Was sind die häufigsten Fehler?

Manchmal reicht es, dass ein Detail nicht stimmt. Die Gesellschaft hat einen Instinkt dafür, was glaubwürdig und unglaubwürdig ist. Und man muss höllisch aufpassen, dass man nicht zu weit geht. Ich sage bei allem, was wir machen: Es muss ethisch eine Haltung haben. Sonst ist eine Marke irgendwann erledigt.

Wenn die eine Strategie das Augenzwinkern ist – klappt auch das Gegenteil, strenge Konzentration auf den Nutzwert?

Kann man machen. Machen wir bei einigen Produkten auch. Aber beim Video mit Knop ging es uns um den Switch im Kopf: Reinigung mit Wasser statt mit WC-Papier. Deshalb brauchten wir den Witz, gekoppelt mit dem Überraschungsmoment.

Haben Deutsche eine andere Tabuzone als, sagen wir, Franzosen oder Russen?

Ja. Andere Länder, andere Empfindlichkeiten, das muss man berücksichtigen. Wir sind zum Beispiel in Asien seit vielen Jahren sehr erfolgreich mit Dusch-WCs, haben auch Fabriken in China. Dort gehört ein Dusch-WC zum Standard einer hochwertigen Wohnung, das Thema berührt kein Tabu. Insofern fraglich, ob der Witz verstanden würde.

Empfehlen Sie einen Pre-Test mit den Zielgruppen?

Kann sich anbieten. In diesem Fall hatten wir zeitlich die Chance nicht. Die beste Fehlervermeidung ist, dass die Haltung stimmt. Wir arbeiten sehr strukturiert und schauen uns die Kreationen aus verschiedenen Perspektiven an. Diese Zeit muss man sich nehmen.

(mat) führte ihr erstes Interview für die absatzwirtschaft 2008 in New York. Heute lebt die freie Journalistin in Kaiserslautern. Sie hat die Kölner Journalistenschule besucht und Volkswirtschaft studiert. Mag gute Architektur und guten Wein. Denkt gern an New York zurück.