Knutschkugel und Kreislaufwirtschaft 

Grüne Innovation klappt mit guten Ideen, einer passenden Finanzierung und der richtigen Dosis an Regulierung. Und siehe da: Auch retro kann zuweilen sehr modern sein.
Microlino und Kreislaufwirtschaft
Drei auf einem Parkplatz: Der Microlino ist ideal für die Stadt geeignet. (© Micro Mobility Systems)

Manchmal liegt die Lösung für die Zukunft in der Vergangenheit. Wer das nicht glaubt, möge einen Blick auf den Microlino werfen. Den Kleinstwagen hat vor acht Jahren das Schweizer Familienunternehmen Micro Mobility Systems erfunden. Wobei „erfunden“ vielleicht nicht ganz der richtige Ausdruck ist: Fahrer*innen älterer Generationen erleben spätestens beim Einstieg ein Déjá-vu. Als Tür dient nämlich die Vorderfront. Wie bei der Isetta, in den 1950er und 1960er Jahren durch BMW auf den Markt gebracht. Die Patente jedoch liegen beim italienischen Kühlschrankhersteller Iso. Der hat nun großzügig dem Unternehmen aus Küsnacht die Nutzung überlassen. Gegenleistung: ein Microlino. 

Eine Innovation ist der Zweisitzer gleichwohl, schließlich handelt es sich um ein E-Auto. Reichweite bis zu 230 Kilometer, Höchstgeschwindigkeit 90 km/h. Laut CMO Merlin Ouboter liegen die CO2-Emissionen um etwa 60 Prozent niedriger als bei einem Standard-Elektroauto, vor allem wegen des geringen Gewichts: „Ein Microlino mit zwei Personen wiegt weniger als die Batterie eines E-SUV.“ In den Urlaub möchte man mit dem Winzling nicht fahren, aber für den Stadtverkehr mag er eine lustige, wenngleich mit über 20.000 Euro überraschend hochpreisige Alternative sein. Ihre Preissetzung erklärt die Firma damit, dass der Wagen in Turin handgefertigt wird. Vielleicht hat der Preis auch damit zu tun, dass der Smart EQ ungefähr das Gleiche kostet. 

Die Politik plant noch, die Unternehmen machen schon 

Zwei der Knutschkugeln standen vergangene Woche zur Probefahrt im Münchner Werksviertel bereit, im Rahmen des Circulaze Summit, einer Konferenz zur Kreislaufwirtschaft. Dort herrschte Aufbruchstimmung. Mit Florian Kammerer aus dem Bundesumweltministerium war der Mann zugegen, der Deutschlands Nationale Kreislaufwirtschaftsstrategie erarbeitet; sie soll im ersten Quartal 2024 verabschiedet werden. Viele Unternehmen warten nicht darauf: OMV und Interzero teilen mit, dass sie im badischen Walldürn Europas größte Sortieranlage für chemisches Recycling errichten wollen. Siemens Energy und Air Liquide bauen in Berlin eine Gigawattfabrik zur Herstellung von Elektrolyseuren für die Wasserstoffproduktion.  

Und dann all die Start-ups, die sich auf dem Circulaze Summit präsentierten: Nabore aus Bopfingen etwa mit einer Upcycling-Technologie, die Lederreste zu Schuhen, Gürteln und Handtaschen verarbeitet. Oxyle aus Zürich säubert Abwasser von umweltschädlichen Chemikalien wie PFAS. Eine Tochter des Berliner Start-ups CircularFashion hat den Prototypen einer Maschine gebaut, die Altkleider nach Material und Qualität sortieren kann. Sophia Rödiger, CMO der auf erneuerbare Energiesysteme spezialisierten Unternehmensgruppe 1Komma5°, brachte es auf den Punkt: „Du kannst jetzt Geld verdienen mit zirkulären Geschäftsmodellen. Es ist ein gutes Feld, um ein Business zu starten.“  

Nicht zu viel, nicht zu wenig Regulierung 

Nur müssen, Stichwort Regulierung, die Rahmenbedingungen stimmen. Während Managerin Rödiger Entbürokratisierung forderte, damit sich der Markt entwickeln kann, verwies Ministerialrat Kammerer auf die segensreiche Lenkungswirkung von Leitlinien für das öffentliche Beschaffungswesen oder von Standardisierung, etwa in Form des digitalen Produktpasses. Es ist so wie bei jedem Gift: Auf die Dosis kommt es an.  

Genau diese Ambivalenz steht hinter der – nur vordergründig naiven – Frage: „Treibt Nachhaltigkeit Innovation?“ Das Marktforschungsunternehmen Statista hat sie mehr als 150 Führungskräften gestellt. Die Antwort ist komplex, denn in der Praxis bedeutet Nachhaltigkeit für Unternehmen immer auch neue Vorschriften. Der Mehraufwand ermögliche es deutschen Unternehmen, sich Wettbewerbsvorteile zu verschaffen, so das Fazit der Studie (bei Interesse hier kostenfrei zum Download). 

Bundesbankerin: Klimarisiken sind finanzielle Risiken 

Grüne Innovation braucht auch Kapital: Um Klimaneutralität bis 2045 zu erreichen, müssen in Deutschland im Durchschnitt 190 Milliarden Euro jährlich investiert werden, hat die KfW ausgerechnet. Deshalb setzt sich Sabine Mauderer, Vorständin der Deutschen Bundesbank, für neue Formen der Finanzierung von Transformationsprojekten ein. Viele von ihnen dauerten sehr lange und seien riskant, da müssten andere Maßstäbe angelegt werden als im klassischen Firmenkundengeschäft der Banken, sagte sie bei einer Veranstaltung des ifo-Instituts in München. Nicht oder zu spät zu handeln, würde „sehr, sehr teuer, auch für den globalen Norden“. Dass sich die Bundesbank überhaupt mit dem Thema Grüne Transformation beschäftigt, erklärte die Juristin so: „Klimarisiken sind finanzielle Risiken.“ Wenn Dürren, Überschwemmungen oder Wirbelstürme Teile der Ernten vernichten, treibt das die Lebensmittelpreise – und damit Inflation.  

Solaranlage jeden zweiten Tag abgeriegelt 

Mehr Kapital wünscht man sich nicht zuletzt für den Netzausbau, damit die steigenden Mengen an Solar- und Windstrom abgenommen werden können. Im Interview mit dem Green Wednesday beschrieb vor zwei Wochen Expertin Eva Belletti, welche Folgen die Netzengpässe für Unternehmen haben können, die in erneuerbare Energien investieren. Der Bayerische Rundfunk hat jetzt in einem Feature krasse Beispiele recherchiert: So wurde die Anlage eines Solarparkbetreibers aus Oberbayern im September jeden zweiten Tag zwangsstillgelegt. Wer sich Photovoltaik aufs Dach packen will, sollte in diesen Podcast reinhören. 

Eine gute Woche noch, und behalten Sie die Zukunft im Blick! 

(mat) führte ihr erstes Interview für die absatzwirtschaft 2008 in New York. Heute lebt die freie Journalistin in Kaiserslautern. Sie hat die Kölner Journalistenschule besucht und Volkswirtschaft studiert. Mag gute Architektur und guten Wein. Denkt gern an New York zurück.