Frank Thelen: Unsere Angst macht uns irgendwann zu Afrika oder zu Nokia

Frank Thelen wird immer radikaler in seinen Aussagen zum digitalen Rückstand Deutschlands. Um die Automobilindustrie muss man sich schon nicht mehr kümmern, das lohne sich nicht. Und auch der Mittelstand könne nicht überleben, wenn man ihm nicht aktiv helfe, sagt der Unternehmer und Tech-Investor.
Frank Thelen ist überzeugt: „E-Mobilität ist ökologisch unschlagbar. Alles andere sind Fake News.“ (© Picture Alliance)

Herr Thelen, was läuft schief am Digitalstandort Deutschland?
Frank Thelen: Wir haben eine 360-Grad-Problematik. Zum einen hat die Politik das Thema in den letzten zwanzig Jahren nicht progressiv genug umgesetzt. Wir haben jetzt wenigstens eine halbe Ministerin für das Thema. Das deutsche Volk trägt auch zu 100 Prozent dazu bei, indem wir eine Angst- und Negativhaltung haben. Wir sehen das Problem und die Gefahr und nicht die Chancen. Wenn man zum Beispiel mit Esten spricht, dann schauen die vor allem auf die Chancen.

Wie macht sich die „deutsche Angst“ bemerkbar?
Die aktuelle Diskussion um E-Roller ist das beste Beispiel: Es geht nur um die Gefahren für unsere Kinder. Woanders wird das nächste Milliardenunternehmen aufgebaut und wir schauen nicht mal richtig zu. Das war bei der DSGVO doch genauso. Keiner darf unsere Daten haben. Aber wer sagt denn mal, dass man mit diesen Daten Herzinfarkte vorhersagen oder den Verkehr besser steuern kann? Wir kommen sehr oft von der negativen Angstseite und haben deshalb keine Champions aufgebaut.

Keiner darf unsere Daten haben. Aber wer sagt denn mal, dass man mit diesen Daten Herzinfarkte vorhersagen oder den Verkehr besser steuern kann?

Was sind die nächsten Herausforderungen?
Die Digitalisierung ist mittlerweile weitgehend abgeschlossen. Was jetzt kommt, ist das Thema Innovation. Betrachten Sie zum Beispiel die Mobilität, Quantencomputer, künstliche Intelligenz. Wenn wir da wieder so ängstlich rangehen, ist unser Standort in Gefahr. Dann werden wir irgendwann zum Afrika oder zum Nokia.

Sie haben bei dem 360-Grad-Blick den dritten Player vergessen, die Wirtschaft. Warum ist es der Wirtschaft nicht gelungen, früher diesen Wandel zu erkennen?
Wir springen nicht ins kalte Wasser, weil es uns so gut geht. Keiner sieht die Notwendigkeit, etwas radikal zu ändern. Da steckt ja auch ein Risiko drin, nämlich das Risiko des Scheiterns. Beispiel Firephone: Jeff Bezos hat Hunderte von Millionen in das Projekt versenkt. Mark Zuckerberg hat Whatsapp und Instagram zu einem Zeitpunkt gekauft, wo er fast unangreifbar erschien. Aber er hat erkannt, dass sich die Dinge ändern können. Wo waren denn die Deutsche Telekom oder Siemens? Oder warum hat BMW nicht Tesla gekauft? Wir Deutsche sind überheblich. Ein Mark Zuckerberg ist paranoid. Die Angst, dass einer der neuen Player ihn überrollt, ist permanent vorhanden.

Warum ist die Digitalisierung vorbei? Deutsche Unternehmen können heute aus einer großen Anzahl unterschiedlicher Software-Anbieter wählen, wenn sie nach Lösungen suchen. Das ist doch auch ein kluges Abwarten, oder?
Nein, das ist saudumm. Wie will man denn heute noch Social aufholen?

Nicht aufholen, sondern davon profitieren.
Die Frage ist doch: Wem gehört die Plattform? Früher konnte man sich tatsächlich länger zurücklehnen und abwarten. Heute setzt der Erfolg eines Produktes eine positive Spirale in Gang und die führt dazu, dass nur einer oder ganz wenige in diesem Spiel mitspielen. Wer mehr User hat, hat mehr Daten. Wer mehr Daten hat, kann ein besseres Produkt bauen. Wer ein besseres Produkt hat, bekommt mehr User.

Können Sie Beispiele nennen?
Schauen Sie sich Microsoft an. Die haben es trotz unglaublicher Anstrengungen nicht geschafft, im Smartphone-Markt aufzuholen. Es gibt immer einen magischen Moment. Und ich glaube, obwohl man mich dafür steinigen wird, dass dieser Moment in der Autoindustrie schon vorbei ist. Als Tesla vor ein paar Wochen den eigenen Chip vorgestellt hat, war das Thema autonomes Fahren für mich gegessen.

Warum sollte das so sein? Tesla hat, was Stückzahlen und Profitabilität angeht, noch vieles aufzuholen gegenüber VW oder Toyota. Da ist noch Zeit.
Sicher, aber diese Größe nützt ihnen für die Zukunft nichts. Es geht doch um die Daten. Nicht um die Kundendaten. Die braucht keiner. Es geht um die Fahrzeugdaten. Und die alten VWs, BMWs oder Toyotas liefern diese Daten nicht. Tesla hat 95 Prozent der Daten, was das selbstfahrende Auto angeht. Da kommt nie wieder einer dazwischen. Da ist es auch völlig egal, ob das Auto gekauft, geshared oder gemietet wird. Das kann man ja per Knopfdruck umschalten. Elon Musk hat gesagt, dass er die Autos einfach an den Straßenrand stellen wird. Der will das gar nicht unbedingt verkaufen. Eigentlich sollte man sich jetzt zehn Teslas als Geldanlage in die Garage stellen. Das ist eine Goldgrube.

Tesla hat 95 Prozent der Daten, was das selbstfahrende Auto angeht. Da kommt nie wieder einer dazwischen.

Aber das autonome Fahren kommt doch erst, wenn die Systeme dafür da sind. Das dauert, und so lange haben die Etablierten noch Zeit.
Da ist der Vorsprung von Musk ja noch größer, denn er baut Autos für den Markt, wie er jetzt ist. Und wer soll das machen, wenn nicht Tesla?

Aber der Staat entscheidet hoheitlich, wer eine Zulassung erhält.
Ja. Und deshalb fährt Musk so viel wie möglich, damit er den Behörden zeigen kann, dass seine Autos Leben retten. Und dagegen kann sich auf Dauer ein Staat kaum wehren. Auch hier hat er einen uneinholbaren Vorteil. Ich bin heute mit einem Audi eTron hierher gefahren. Der hat nicht mal Kameras. Das Game ist vorbei. Schauen wir auf Quantencomputer, KI oder Blockchain. Und nicht, dass hier ein falscher Eindruck entsteht: Ich finde das ganz schlecht. Ich hätte es sehr gerne anders. Schauen Sie sich Apple an: Die machen sich gerade daran, die komplette Games-Industrie vom Markt zu fegen mit einem Spiele-Abo. Die ändern einfach das Spiel. Und da kann keiner mit. Spotify wird das Rennen auch nicht überleben, sie sind ja gerade von Apple überholt worden. Da denken wir Deutschen nicht tief genug.

Soll man das regulieren?
Ich mag den Gedanken nicht, aber vielleicht geht es nicht anders. Vielleicht sollte man zumindest mal richtig Steuern von denen kassieren und mit dem Geld die eigene Forschung aufbauen.

Aber unsere Technologie ist in bestimmten Marktbereichen doch weltführend. Was ist mit dem Mittelstand?
Das wird nur dort überleben, wo es wirklich relevant ist. Und der Mittelstand ist nicht schnell genug, um die Veränderungen mitzugehen. Heute scheint diese hochwertige Hardware unverzichtbar, aber was geschieht, wenn jemand das Spiel ändert? Und da denke ich nicht an die USA, sondern an China.

Wie sehen Sie ein Unternehmen wie Bosch?
Bosch ist ein gutes Unternehmen, aber wo haben die denn in irgendeinem Segment einen uneinholbaren Vorteil? Mir fällt nichts ein. Elon Musk hat die größte Batteriefabrik der Welt und braucht nur fünf Prozent der Seltenen Erden im Vergleich zu VW. Das nenne ich einen uneinholbaren Vorteil.

Wir haben keine globalen Champions. Das einzige, was wir in die Waagschale werfen können, ist unsere insgesamt gute Bildung und die guten Unis.

Was können wir tun? Brauchen wir eine aktive Industriepolitik?
Mit dem Gedanken tu ich mich sehr schwer, aber ich glaube es geht nicht mehr anders. Wir sind in einem Wettlauf mit den USA und China. Was ist die Alternative? Wer soll es denn machen? Der Mittelstand wird eher von der Entwicklung aufgefressen. Wir haben keine globalen Champions. Das einzige, was wir in die Waagschale werfen können, ist unsere insgesamt gute Bildung und die guten Unis. Und da es uns jetzt noch gut geht, haben wir das Geld, um signifikant zu investieren. Und das müssen wir.

Soll der Staat selbst investieren oder nur Kapital zur Verfügung stellen?
Letzteres. Woher soll der Staat wissen, in was er konkret investiert? Aber aktive Industriepolitik ist aus meiner Sicht eben auch die Besteuerung von GAFA. Und das ist angebracht. Sonst kommen wir da nicht mehr raus.