Unter Strom

Die Nachfrage nach Fahrrädern und E-Bikes ist in den vergangenen Jahren gewaltig gestiegen. Wie stationärer Handel und E-Commerce um Marktanteile kämpfen und wie Marken mit Lieferproblemen, Inflation und Trends umgehen.
Die Verkäufe von Fahrrädern und E-Bikes sind durch Corona auf ein anderes Niveau geklettert - und dort geblieben. (© Unsplash/Dima Pechurin)

Brust raus, Rad drauf: Fußball-Bundesligist SC Freiburg trägt seit Januar 2023 das Logo von JobRad auf dem Trikot. Erst zu Saisonbeginn im vergangenen Sommer als Sponsor eingestiegen, hat sich der in Freiburg ansässige und bundesweit führende Anbieter von Dienstradleasing schon für ein Update als Hauptsponsor entschieden. JobRad folgt auf den überraschend ausgestiegenen britischen Online-Gebrauchtwagenhändler Cazoo.

Fahrrad statt Auto, das passt in die Zeit und erst recht nach Freiburg, wo seit jeher auf klimaschonende Mobilität geachtet wird. Die SC-Heimat genießt schließlich schon lange das Image, sowohl Fußball- als auch Fahrradstadt zu sein. Neben der ohnehin hohen Medienpräsenz wird das Thema auch durch flankierende Aktionen mit den Freiburger Profis, den SC-Frauen und der Freiburger Fußballschule in die Gesellschaft getragen.

Branche auf großer Fahrt

Es gibt viele gute Gründe, mit dem Rad zu fahren. Wer sich auf diese Art fortbewegt, tut was für seine Gesundheit, schont die Umwelt, handelt nachhaltig und trägt zum Mobilitätswandel bei. Fahrrad und E-Bike, betont nicht ganz unerwartet der Zweirad-Industrie-Verband (ZIV), seien hervorragende Alternativen im Personentransport. Die deutsche Fahrradbranche sei sich bewusst, dass sie „das wichtigste Verkehrsmittel der Zukunft baut“.

Auch wenn man den lobbyüblichen Euphorie-Überschuss abzieht und die verwendeten Superlative auf Realsubstanz dimmt, bleibt festzuhalten: Die Branche ist auf großer Fahrt. Von 2014 bis 2021 hat sich der Verkaufsumsatz auf 6,56 Milliarden Euro verdreifacht. Den größten Sprung machte er 2020 mit einem Plus von 61 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Auch 2021 bewegte sich der Markt auf hohem Niveau und konnte im Vergleich zum Rekordjahr davor nochmals leicht um zwei Prozent zulegen. Das unterstreicht die Einschätzung des ZIV, dessen Mitgliedunternehmen für rund 90 Prozent der in Deutschland produzierten Fahrräder und E-Bikes stehen: Das Corona-Jahr 2020 war keine Blase, sondern hat die gesamte Branche auf ein höheres Plateau gehievt.

Preise steigen kräftig

Dabei zeigt sich ein Trend zur Präferenz von hochwertigen und sicheren Zweirädern, was Kund*innen ein höheres Budget abverlangt. In ihrem „Branchenfokus Fahrräder“, veröffentlicht im Sommer 2022, haben IFH Köln und BBE Handelsberatung den durchschnittlichen Verkaufspreis eines Fahrrads errechnet. Der lag 2021 bei 1627 Euro, zwei Jahre zuvor erst bei 938 Euro – ein Plus von 73 Prozent binnen zwei Jahren. Am stärksten verantwortlich für den satten Anstieg sind die elektronisch betriebenen Gefährte. 2020 und 2021 wurden jeweils rund zwei Millionen E-Bikes verkauft, drei Mal so viel wie 2017. Was die ZIV-Statistik zudem verrät: Wer unter Strom radelt, fährt öfter und längere Strecken, im Durchschnitt vier Mal so viel.

Der Bestand an E-Bikes hierzulande ist bis 2021 auf 8,5 Millionen Stück gestiegen, zehn Jahre zuvor war es ein Zehntel davon. Nun sind sie Treiber eines Trends. Der Verband geht davon aus, dass der Anteil von E-Bikes am Gesamtmarkt von derzeit 43 Prozent mittelfristig auf über 50 Prozent klettern wird.

Jobrad treibt den Trend

Dabei spielen auch besondere Rahmenbedingungen wie der bundesweit verstärkte Ausbau von Radwegen und Finanzierungsinstrumente wie das Firmenradleasing eine Rolle. Das „trägt bereits heute wesentlich zu den Fahrradabsätzen bei und fördert das gesamte Fahrradökosystem“, sagt Karsten Hollasch, Partner und Leiter Consumer Business bei Deloitte. Laut einer repräsentativen Befragung der Beratungsfirma im Sommer 2022 entscheiden sich gut zwei von drei Leasing-Nutzer für ein E-Bike. Wichtigste Gründe pro Jobrad seien die Möglichkeit, das Fahrrad nach Vertragsablauf günstig erwerben zu können, sowie der vom Arbeitgeber geleistete Zuschuss. Deloitte-Manager Hollasch geht davon aus, dass sowohl die Zahl der anbietenden Unternehmen als auch die Zahl der nutzenden Mitarbeiter beim Firmenradleasing „deutlich zunehmen wird“.

Mit Rückschlägen rechnet kaum jemand in der Branche. Externe Ereignisse wie Pandemie bedingte Liefer- und Herstellungsprobleme, Inflation und Energiekrise machen sich zwar bemerkbar, aber haben die Nachfrage nicht wesentlich gedrückt. Laut ZIV ging die Produktion im ersten Halbjahr leicht zurück, derweil der Handel für das erste Halbjahr 2022 stabilen Umsatz meldete. Die Zahlen für das Gesamtjahr 2022 sollen im März erscheinen.

Stationärer Fachhandel dominiert

Gespannt beobachten Marken und Händler das Kaufverhalten ihrer Zielgruppe – und entwickeln daraus ihr eigenes Konzept. Bislang dominiert der stationäre, meist kleinbetriebliche Fachhandel die Absatzwege. Im Vergleich zu anderen Branchen, die teilweise schmerzlich an Marktanteilen gegenüber dem Online-Wettbewerb einbüßen, spielt sich laut Analyse von „Branchenfokus Fahrräder“-Mitautor Christoph Lamsfuß das beratungs- und serviceintensive Geschäft der Zweirad-Branche, nicht zuletzt dank der erklärungsbedürftigen und relativ teuren E-Bikes, überwiegend stationär ab. „Der Fachhandel profitiert neben der Beratung vor allem auch vom nachgelagerten Service, sprich Wartung und Reparatur der E-Bikes“, sagt der Senior Consultant am IFH Köln. Allerdings werden sich Struktur und Gewichtung in den kommenden Jahren ändern. „Der Distanzhandel wird auch in dieser Branche aufholen, die letzten Jahre sind krisenbedingt als Ausnahme zu sehen,“ sagt Lamsfuß.

Laut der vom ZIV erhobenen Marktdaten lag der Anteil der über den Fachhandel verkauften Fahrräder und E-Bikes im Jahr 2021 bei 76 Prozent. Während sich die Online-Kanäle des Fachhandels als Teil der Customer Journey etabliert haben, sei zu beobachten, dass SB-Warenhäuser, Baumärkte und Discounter weiter an Marktanteilen verlieren.

Expansion im Direktvertrieb

So gesehen, ist Canyon Bicycles der Zeit deutlich voraus. Gegründet 1985 als Ladengeschäft Rad-Sport-Arnold in Koblenz, hat sich daraus ein in Deutschland produzierender, aber inzwischen international agierender Fahrradhersteller entwickelt. Längst stammt der größere Teil des Firmenumsatzes (2020: 415 Millionen Euro) aus dem Ausland. Das Besondere am Geschäftsmodell: Canyon Bikes werden ausschließlich über Direktvertrieb verkauft. Hohe Produktqualität, eigene Konstruktion, kundennahes Marketing und dazu Top-Athleten, die die Premiummarke nutzen und promoten, haben Canyon zu einer erstklassigen Direct-2-Consumer-Brand gemacht.

Seit gut zwei Jahren ist der frühere RTL-Miteigentümer Groupe Bruxelles Lambert (GBL) mehrheitlich an Canyon beteiligt, der Firmenwert wird auf rund 800 Millionen Euro geschätzt und der Expansionskurs fortgesetzt – alles via digitale Distribution. Parallel dazu feilt die Marke an ihrem Premium-Image, indem sie mit Stars wie den Formel-1-Piloten Valtteri Bottas in die „Canyon-Familie“ holt oder mit Weltklasse-Sportlern arbeitet, die mit Canyon-Bikes fahren, zum Beispiel die Ironman-Weltmeister Jan Frodeno und Patrick Lange („Das das schnellste Triathlon Bike, das ich je gefahren bin“).

Kanäle gekonnt verknüpfen

Anderes Konzept, ebenfalls erfolgreich – das trifft auf Rose Bikes zu. Der Fahrradhersteller meldet für sein zum 31. Oktober abgeschlossenes Geschäftsjahr 2022 einen Zuwachs von 47 Prozent auf 174 Millionen Euro – und das trotz Lücken in der Lieferkette. Das Familienunternehmen mit 580 Beschäftigten entwickelt und montiert die Zweiräder am Firmensitz in Bocholt, und vertreibt sie von dort europaweit.

Positioniert als „kundenzentierte Fahrradmarke“, fokussiert sich Rose Bikes auf das Omnichannel-Prinzip und umfänglichen Kundenservice. Er stelle starke Wechselwirkungen zwischen den Online- und Offline-Touchpoints fest, sagt Geschäftsführer Thorsten Heckrath-Rose. Für seine Kundschaft seien eine erlebbare Marke und guter Service vor Ort extrem wichtig. „Das hat zuletzt der große Zulauf auf den neu eröffneten Kölner Store gezeigt“, nennt er ein Beispiel.

Der Erfolg liegt in der gekonnten Verknüpfung. So fungiert der Rose Online Shop als führender Vermarktungskanal, während das Netzwerk an stationären Läden auf jetzt insgesamt sieben eigene Stores und acht Partnerflächen in Deutschland und in der Schweiz gewachsen ist. „Die stationäre Expansion“, sagt der Geschäftsführer, „ist für Rose Bikes ein entscheidender Schritt in der Marktdurchdringung“.

Roland Karle (rk, Jahrgang 1966) schreibt über Marken & Medien, Beruf & Sport. Hat BWL/Marketing an der Uni Mannheim studiert, bei einer Tageszeitung volontiert und arbeitet seit 1995 freiberuflich. Er porträtiert gerne Menschen in Zeilen und Märkte durch Zahlen. Hang zum Naschkater und Volltischler. Im früheren Leben ein fröhlicher Libero.