Brief an mein jüngeres Ich, Folge 21: Ulrike Teschke

Im Brief an sich selbst blicken bekannte Köpfe aus dem Marketing zurück. Heute: Ulrike Teschke. Sie widmet ihren Brief ihrem 16-jähriges Ich und schreibt über die ersten Berührungspunkte mit der Medienbranche.
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Ulrike Teschke ist die Geschäftsführerin des Verlags Der Tagesspiegel. (© privat (Montage: Olaf Heß))

Liebe Ulrike, 

du bist nun 16 Jahre alt und hältst zum ersten Mal „Die Zeit“ in deinen Händen. Deine Verwandten aus dem Westen haben sie zwischen Badezimmerkacheln heimlich in die DDR gebracht, denn weder das eine noch das andere gibt es hier. Freie Medien auch nicht. Vielleicht fasziniert dich das gedruckte Mitbringsel deshalb so stark? 

Die geschmuggelte Zeitung inhalierst du förmlich. Theo Sommer! Die Gräfin Dönhoff! Es geschieht in diesen Momenten, dass du zum ersten Mal den Wunsch hegst, später in der Medienbranche zu arbeiten. Vielleicht sogar in Hamburg bei der „Zeit“? 

Es ist ein großer Traum, aber weit weg für dich, denn es gibt ja noch die Mauer. Umso verrückter, dass dieser Wunsch später Wirklichkeit werden wird und du eine Führungsposition bei der „Zeit“ und danach beim „Tagesspiegel“ innehaben wirst.  

Dein Start ins Berufsleben wird aber erst einmal wechselhaft verlaufen. Du möchtest etwas mit Menschen machen, so viel ist klar. Doch nach deiner abenteuerlichen Übersiedelung in den Westen hast du es als alleinerziehende Mutter schwer. In der DDR kanntest du das anders. Die Frauen in deiner Familie hatten immer gearbeitet und waren erfolgreich in ihrem Beruf. Diesen Vorbildern willst du nacheifern. Was also tun? Du beginnst eine Lehre als Hotelkauffrau in Hamburg. Anschließend studierst du BWL, denn zahlenaffin warst du schon immer. 

Während des Studiums arbeitest du als wissenschaftliche Hilfskraft für einen Professor, der sich intensiv mit dem Verkaufszahlen der „Zeit“ beschäftigt und mit Dieter von Holtzbrinck bekannt ist. Auf einmal bist du mittendrin. Kurz darauf ergatterst du eine Stelle im Controlling bei der „Zeit“ und kletterst die Karriereleiter hinauf bis nach Berlin als Geschäftsführerin des Verlags Der Tagesspiegel. 

Was viele – vor allem Männer – scheinbar perfekt beherrschen, musst du erst mühsam lernen: das Netzwerken. Kitagruppe, Spielplatz, Sportverein – kein Problem. Aber berufliche Netzwerke? Kein Selbstläufer. Später wirst du versuchen, jüngere Frauen mitzunehmen, ihnen Mut zu machen, sie zu fördern, Vorbild zu sein. 

Das alles ahnst du in diesem Moment zwischen den Badezimmerkacheln natürlich noch nicht. Doch sei dir gewiss: Du darfst dich auf ein bewegtes Leben freuen, auf Hochs und Tiefs, auf tolle Kolleginnen und Kollegen und auf spannende Aufgaben in der schönsten Branche der Welt.  

Deine Ulrike 


Ulrike Teschke ist seit 2017 Geschäftsführerin des Verlags Der Tagesspiegel. Ihre Karriere begann sie 1998 beim Zeit Verlag. Sie ist unter anderem Mitglied im Vorstand der Helga Stödter Stiftung (Frauen für Führungspositionen) und Vorstandsvorsitzende der Heinrich Maria Ledig-Rowohlt Stiftung (Förderung deutschsprachiger Literaturübersetzer).