Zwischen Automat und persönlicher Ansprache

Durch die optimale Kombination von Anrufvorqualifizierung, Teil- und Sprachautomatisierung sowie Agentenservices können Unternehmen heute Kundenwert und Kundenkontaktkosten ins Gleichgewicht bringen. Ein Beitrag von Bernhard Steimle.

Kunden können heute bei Unternehmen anrufen, E-Mails schicken, im Web Kontaktanfragen hinterlassen, Briefe schreiben und natürlich zur Niederlassung gehen. Für die Unternehmen bedeutet das einen explosionsartigen Anstieg des Kundenkontaktvolumens, der sie vor die schwierige Aufgabe stellt, zu vertretbaren Kosten die Kunden auf allen diesen Kanälen auch zufrieden zu stellen. Für die Telekommunikation heißt das konkret, Servicerufnummern zu konsolidieren (eine Nummer für viele Dienste) und neue Infrastrukturen für die flexible Tarifierung von Serviceleistungen aufzubauen.

Damit steigen auch für die Contact-Center-Dienstleister an der Direktmarketing-Front die Anforderungen. Während die einen dem Kostendruck mit Offshoring von Call-Center-Arbeitsplätzen begegnen, versuchen andere, höherwertige Dienstleistungen bis zum kompletten Outsourcing von Kundenprozessen anzubieten. Sie setzen auf bessere IT-Lösungen, höhere Prozess- und Datenintegration und Cross- und Upselling-Strategien. Dazu müssen sie jedoch das gesamte Spektrum vom telefonischen Selfservice über die Integration von Web- und Multimedia-Diensten bis hin zum hoch qualifizierten Agentenservice abdecken. Die optimale Kombination von intelligenten Netzen, Automatic Call Distribution (ACD) mit Sprachcomputern und agentenbasierten Services wird zum Erfolgsfaktor. Drei Beispiele verdeutlichen, wohin die Reise geht.

Die guten ins Töpfchen, die schlechten ins Kröpfchen
Die SNT Deutschland AG, zweitgrößter Customer Service Provider Deutschlands, lässt sich ihre Dienste nach zu betreuenden Kunden mit einem monatlichen Festbetrag honorieren. „Das erlaubt uns, Prozesse zu automatisieren, ohne unsere Umsätze zu gefährden“, so Michael Ridder, COO bei SNT: „Kontakte, die nicht werthaltig sind, versuchen wir zunehmend zu automatisieren, um den höherwertigen Kunden gleichzeitig bessere, agentengestützte Services anbieten zu können.“ Dazu setzt die SNT auf genaue Kontaktdatenanalyse und die Computer-Telefon-Integration (CTI).

„Wir klassifizieren die Kunden auf Basis der Daten, die wir von unseren Auftraggebern erhalten, nach Wert und Potenzial und legen Tabellen an, die in der CTI hinterlegt werden. Die Anrufnummer wird dann mit dieser Tabelle gematcht und der Anruf mitsamt seinen Daten zum vordefinierten Agenten-Team geroutet. So gelangen Kunden mit hohem Upselling-Potenzial direkt zu unseren Sales-Experten.“ Das lohnt sich. Ridder: „Durch Customer Value Based Routings konnten wir unsere Upselling-Quoten von zehn auf 30 Prozent steigern.“ Zugleich biete dieses Verfahren auch verschiedene Möglichkeiten, „schlechte“ Kunden entsprechend den von ihnen verursachten Kosten und ihrem Potenzial zu bedienen: Einfache oder wiederkehrende Prozesse übernimmt ein Sprachcomputer. Nicht wertschöpfende Daueranrufer, die unbedingt Agenten sprechen wollen, müssen eben so lange in der Warteschleife bleiben, bis keine wertvolleren Kunden mehr vor ihnen sind.

Besonders hochwertige Kunden mit viel Potenzial werden bei SNT hingegen von hoch qualifizierten Agenten bedient. Ridder betont: „Die Segmentierung der Anrufer wird dabei immer feiner, vorausgesetzt, der Auftraggeber stellt uns die notwendigen Daten zur Verfügung. Wo früher allenfalls nach VIP- und Businesskunden unterschieden wurde, unterteilen wir die Anrufer heute nach Kaufverhalten, Wert, Potenzial und Vorlieben. Diese Segmentierung hat erstaunlich wenig Einfluss auf die Kundenzufriedenheit, zeitigt aber insbesondere im Cross- und Upselling große Erfolge. Als Anbieter können wir so die Anforderungen unserer Auftraggeber nach höherer Automatisierung bei gleichzeitig steigender Anrufqualität erfüllen – was wiederum unserem Geschäftsmodell zugute kommt. Daher rät er seinen Auftraggebern auch, die Segmentierung weiter zu verfeinern und mit entsprechender Tarifierung zu verknüpfen mit dem Ergebnis, dass wertniedrige, aber anrufintensive Kunden anders tarifiert werden als wertschöpfende. „Daher wird SNT in Zukunft mit unserer Tochter die Anrufqualifizierung vermehrt ins intelligente Netz verlegen. Das ermöglicht dann nicht nur ein noch genaueres, standortübergreifendes Routing, sondern senkt auch die Verbindungskosten zwischen Abteilungen und Standorten.“

Glossar
Automatic Call Distribution (ACD) ist ein Telefonsystem im Call-Center, das ankommende Anrufe zu Mitarbeitern des Call-Centers leitet und ausführliche Statistiken (zum Beispiel über Anrufaufkommen, -dauer und Wartezeit) erstellt. Im Allgemeinen als „ACD-Anlage“ bezeichnet, beschreibt dieses Akronym eine Technologie, die es einem Call-Center gestattet, eingehende Anrufe nach bestimmten Regeln zu organisieren und an zur Verfügung stehende Call-Center-Agenten weiterzuleiten, so dass eine möglichst hohe Auslastung herbeigeführt wird.

Computer-Telefon-Integration (CTI) beschreibt die Kopplung/Konvergenz zwischen der klassischen Telekommunikation und der Datenverarbeitung an einem Computerarbeitsplatz.

Intelligentes Netz (IN) ist ein Netzwerkkonzept, bei dem die Vermittlungssteuerung vom technischen Vermittlungsvorgang getrennt ist. Ziel dieses Konzepts ist es, eine offene Plattform für die Entwicklung, Bereitstellung und das Management von Diensten anzubieten. Intelligente Netzwerke sind vom Ansatz her flexibler als bisherige vermittelte Netze, weil sie die funktionalen Elemente der Vermittlung und des Dienstes voneinander trennen. Die Vermittlungsfunktionen sind bei dem Konzept der intelligenten Netze nicht mehr ausschließlich in den bekannten Vermittlungsstellen konzentriert, sondern werden von einem speziellen Rechner ausgeführt.

Einen Schritt weiter geht die D+S Europe AG in Hamburg. Das Unternehmen, das im Jahr 35 Millionen Kundenkontakte abwickelt, setzt voll auf intelligentes Routing im Netz, Sprachautomatisierung und hochwertige Agentenservices. COO Tobias Hartmann erläutert: „Wegen der Integration von Multimedia- und Web-Diensten, Mobilfunk und Festnetz wird das Management von Kundenkontakten immer komplexer. Für einen erfolgreichen Kundenkontakt müssen alle Kundendaten und Statusinformationen verfügbar sein, weil die Kunden erwarten, dass unabhängig von Kontaktkanal und Uhrzeit eine einheitliche, hohe Servicequalität erbracht wird.“ Für die Kontaktanbahnung werden die verschiedenen Kanäle daher in eine entsprechende Rufnummernlogik umgesetzt, die sich dann in entsprechenden Services widerspiegelt (Contact Routing verteilt die Anrufe auf teilautomatisierte Lösungen, Selfservice-Angebote und Agentenservices).

Dabei versucht D+S, über seine Tochter dtms Solutions die Anrufvorqualifizierung schon im intelligenten Netz vorzunehmen, um dem Anrufer das lästige Eingeben von Kunden-ID oder PIN zu ersparen und Zeit zu gewinnen, die sich auf die Anruferzufriedenheit auswirkt. Die Qualifizierung erfolgt auf Basis der Schnittstelle. Hier fällt die Entscheidung, ob ein Kunde zum Sprachcomputer oder zum Agenten geroutet wird. Dazu ist zwar eine hohe prozessuale und technische Kompetenz erforderlich, dafür erhöht sich laut Hartmann aber nicht nur die Contact-Center-Effizienz, sondern auch der Wert des Kundenkontakts für den Auftraggeber.

„Wir stellen fest, dass in vielen Branchen, für die wir tätig sind, die Sales-Orientierung gegenüber der reinen Service-Ausrichtung stark an Bedeutung gewinnt. Und dazu steigt auch noch das Anrufvolumen insgesamt – im Dialog mit dem Sprachportal ebenso wie mit den Agenten. Aber auch die Kunden schätzen unsere Strategie“, resümiert Hartmann, „sie haben zum einen nichts dagegen, einfache Services in der Sprachanwendung selber zu erledigen, und schätzen zum anderen die hochwertigen Agentenkontakte mit ihrer fundierten Beratung und passenden Cross- und Upselling-Angeboten.“ D+S Europe wird daher in Zukunft noch mehr auf integrierte, IT-basierte Services im intelligenten Netz und mit hoch qualifizierten Agenten setzen.

„Wir werden weiter in die Verlagerung der ACD-Funktionalitäten ins intelligente Netz investieren, da hier jeder Sekundenbruchteil in der Vorqualifizierung ebenso wie für die Datenübergabe an den Schnittstellen zählt. Diese werden wir optimieren und weiterentwickeln, damit die CRM-Systeme unserer Auftraggeber in unserer Plattform abbildbar werden. Auch arbeiten wir daran, die Steuerungskompetenz über die gesamte Kundenkontaktprozesskette weiter zu erhöhen. Und dann wollen wir die Technologie natürlich auch internationalisieren – denn auch die zehn Millionen ausländischer Mitbürger in Deutschland wollen wir optimal bedienen können.“ Die an den vorangegangenen Beispielen demonstrierte Entwicklung begünstigt neben den Kundenkontakt-Dienstleistern zugleich auch Telekommunikations- und Mehrwertdiensteanbieter wie die Deutsche Telekom. Diese verfügt über zwei wichtige Assets in der technologiebasierten Kundenkontaktabwicklung: Zum einen hat sie direkten Zugriff auf das intelligente Netz, zum anderen verfügt sie über valide Daten von vielen Verbrauchern. Ein Beispiel ist die 08 00-33 01 00 der T-Com.

Kundenserviceprovider bekommen Konkurrenz
Diese intensiv beworbene Nummer wird von über 300 000 Anrufern am Tag angewählt, die die verschiedensten Interessen haben, die teilweise nicht einmal den Anbieter betreffen: Tausende wählen diese Nummer, obwohl sie zum Beispiel ein Anliegen an T-Mobile oder T-Online haben. Anrufer, die tatsächlich zur T-Com wollen, haben unterschiedlichste Anliegen von Tarifänderungen über Rechnungsreklamationen bis zur Störungsmeldung. Diese Anrufe mussten bisher in Contact-Centern abgefangen und von Agenten weitervermittelt werden, was neben beträchtlichen Personalkosten auch relevante Interconnectionkosten zwischen den verschiedenen Abteilungen und Anbietern unterm Dach der Deutschen Telekom verursachte. Inzwischen ist eine einfache Sprachanwendung im intelligenten Netz zwischengeschaltet, die das Ansinnen der Anrufer erfragt und diese noch im Netz zu den richtigen Agenten in verteilten Contact-Centern ebenso weiterleitet wie an Heimarbeiter oder Außendienstmitarbeiter – im Festnetz ebenso wie in den Mobilfunknetzen.

Das schafft Zufriedenheit bei den Agenten, die nicht mehr als Anrufvermittler agieren müssen, ebenso wie bei den Anrufern, die nun schneller ihr Anliegen mit dem richtigen Ansprechpartner erledigen können. Und natürlich bei der T-Com, die erhebliche Summen an Arbeits- und Telefonkosten einspart. Sven Klindworth, Marketing Manager Contact Routing Solutions bei T-Com, ist sich daher sicher, dass diese Dienste weiter ausgebaut werden: „ACD im Netz ist heute schon die am besten verkaufte netzbasierte Contact-Center-Lösung der T-Com. Wir setzen daher in Zukunft darauf, die Kundensegmentierung zu verfeinern und mit Sprachlösungen Dienste wie zum Beispiel die DSL-Verfügbarkeitsabfrage zu automatisieren.“

Die Erfahrungen von SNT, D+S und T-Com zeigen, dass über das gesamte Kontinuum des Kundenkontakts hinweg die Konvergenz der Netze, das Routing in intelligenten Netzen und der Einsatz spezialisierter Agententeams für hochwertige Dienste die Kundenkontaktintensität, -qualität undwertigkeit steigern. Dazu müssen Contact-Center-Betreiber jedoch ihre Prozesskompetenz erhöhen und die Integration der Backoffice-Systeme ihrer Auftraggeber in ihre eigenen Kundenprozesse vorantreiben und auf die richtige Mischung setzen: Anrufvorqualifizierung so früh wie möglich (bereits im intelligenten Netz), Automatisierung einfacher, rekurrierender Dienste und hochwertige Beratungs- und Verkaufsgespräche mit spezialisierten Agenten für werthaltige Kunden. So entsteht aus der Verbindung von wachsender Kenntnis der Kunden, ihres Verhaltens und ihrer Potenziale mit innovativer Informations- und Kommunikationstechnologie das wertgetriebene One-to-One-Marketing der Zukunft.

Autor:
Bernhard Steimel ist Inhaber der Mind Business Consultants, Düsseldorf. Jens Klemann ist Geschäftsführer bei Strateco in Bad Homburg.