Von Anne-Kathrin Keller
Shitstorm heißt in der deutschen Übersetzung Empörungswelle. Das klingt deutlich harmloser als der englische Begriff – verharmlost das Ereignis allerdings keineswegs. Shitstorm ist ein Internetphänomen, bei dem massenhaft Kritik teilweise gelenkt, teilweise in Eigendynamik auf den Social-Media-Seiten von Unternehmen oder anderen Kanälen des sozialen Netzes entladen wird. Der Ton der Kritik ist meist aggressiv, beleidigend und teilweise bedrohlich. Im Zentrum der Kritik stehen Unternehmen, Institutionen und teilweise auch Einzelpersonen.
Es gibt mehrere Arten von Shitstorms. Generell kann von einem Shitstorm gesprochen werden, wenn unsachliche und persönliche Kritik die argumentative Auseinandersetzung übertönt. Berechtigte Beschwerden oder Kritik ist, egal in welcher Intensität, eigentlich kein Shitstorm. Der Begriff ist allerdings inzwischen im allgemeinen Sprachgebrauch deutlich weiter gefasst: Alles, was die Reputation eines Unternehmens, einer Marke oder einer Person beschädigt und über das Social Web eine Eigendynamik entwickelt, wird schnell als Shitstorm bezeichnet.
Unternehmen sind unzureichend vorbereitet
Viele Unternehmen sind nur unzureichend auf Shitstorms in sozialen Netzwerken wie Facebook oder Twitter vorbereitet. Laut einer Umfrage des Branchenverbands Bitkom unter 172 Unternehmen der IT-Branche verfügen nur 42 Prozent der befragten Unternehmen über einen Krisenplan für die Kommunikation auf Facebook. Bei der Mehrheit von 45 Prozent ist das nicht der Fall.
Meist entwickelt sich ein Shitstorm, wenn es in einem Unternehmen ohnehin zum Krisenfall kommt. Dann werden die Facebook-Seiten von Unternehmen in der Regel zum zentralen Anlaufpunkt für öffentliche Kritik. Ganz grob lassen sich drei Fälle unterscheiden, die einen Shitstorm auslösen: der allgemeine Krisenfall, missglückte Marketingaktionen und Aktionen von oder Krisen bei mit dem Unternehmen in Verbindung stehenden dritten Parteien.
Angeschlagene Unternehmen verschlimmern Krise
Der erstgenannte Fall und somit der Klassiker für die Auslösung eines Shitstorms ist unbedarftes Verhalten eines Unternehmens. Das ohnehin in der Kritik stehende und wirtschaftlich angeschlagene Unternehmen Teldafax schrieb 2011 auf seinem Facebookauftritt, die Seite sei „echt nicht der geeignete Platz für Beschwerden und Kundenanliegen“.
Die Social-Media-Gemeinde lief Sturm. Besonders dramatisch daran war, dass sich in zahlreichen Kommentaren offenbarte, dass Teldafax-Kunden offensichtlich erhebliche Schwierigkeiten hatten, auf anderen Wege Antwort vom Unternehmen zu erhalten. Die Facebook-Fanpage von Teldafax gibt es heute nicht mehr, das Unternehmen selbst auch nicht – was allerdings mit der wirtschaftlichen Lage und nicht mit dem Shitstorm zu tun hatte.
Pril schmeckt lecker nach Hähnchen
Ein Beispiel dafür, wie eine eigentlich positiv angelegt Marketingaktion im PR-Debakel endet, hat Henkel 2011 erlebt. Per Crowdsourcing wollte das Unternehmen für seine Marke Pril eine limitierte Auflage des Geschirrspülmittels entwerfen, die garantiert den Geschmack der Kunden trifft. Die Kunden machten mit, reichten mehr als 50.000 Design- und Sloganvorschläge ein und stimmten für ihre Favoriten ab. Darunter viele harmlose Blumen- und Wiesenbilder, aber auch reichlich kuriose Vorschläge. Schnell wurde der Slogan „Schmeckt lecker nach Hähnchen“ von der Crowd an die Spitze gevotet.
Bis dahin war sowohl für Henkel als auch die Kunden die Aktion noch lustig. Doch Henkel wollte den Spaß beenden – mit ernsten Folgen. Eine Henkel-Jury wollte einen zur Marke passenden Vorschlag und die Spaßversionen passten nicht ins Konzept. Unpassende Entwürfe wurden nicht mehr zugelassen, angeblich gefakte Votes bereinigt. Der eigentlich führende Vorschlag wurde aussortiert. Gewonnen nach dem Juryurteil hat ein Etikettvorschlag im Anzugdesign mit dem Namen „Mr. Pril“ – die Teilnehmer der Abstimmung hatten aber kaum dafür gestimmt. Sie wurden sauer und machten ihrem Ärger auf Facebook, Twitter und Co. Luft.
Henkel blieb hart. Das Unternehmen vertrat weiter die Auffassung, man müsse eine Edition produzieren, die zur Marke passe und im Einzelhandel verkaufbar sei und produzierte das Etikett Mr. Pril. Für die Teilnehmer ist der Wettbewerb zu einer Farce geworden, für Henkel zu einem PR-Debakel.
Adidas, ukrainische Hunde und die EM
Henkel hat sich selbst in die Schusslinie gebracht. Andere Unternehmen werden selbst gar nicht aktiv, können aber dennoch jederzeit „Opfer“ eines Shitstorms werden, wie ein Beispiel rund um die Fussball-EM zeigt. Ausgangspunkt waren Fernsehberichte, die zeigten, dass im Austragungsland Ukraine Straßenhunde gezielt eingefangen und getötet worden sind, um das Land „sauber“ für das Fußballereignis zu machen. Schnell kam es zu Protesten bei Tierschützern, die sich zunächst gegen ukrainische Politiker und Organisatoren der EM richteten. Auf Facebook wurden mehrere Gruppen gegründet, die sich gegen die Tiertötung aussprachen. Darunter auch die Gruppe „Stop Killing Dogs – Euro 2012 in Ukraine“. Hier wurde am 22. November 2011 dazu aufgerufen, gezielt und möglichst zeitgleich Sponsoren, Veranstalter und Fernsehsender unmissverständlich mitzuteilen, dass Tiermorde mit ihren Mitteln finanziert werden. Auf freundliche Formulierungen könne verzichtet werden.
Kurz darauf meldete der Branchendienst Meedia: „Adidas erlebt den Social-Media-Gau“. Auf der Facebook-Seite des Sportartikelherstellers war ein Sturm der Entrüstung ausgebrochen, der sich in Hunderten negativer Kommentare äußerte. Adidas sah zunächst hilflos zu und sah sich dann gezwungen, auf den Proteststurm einzugehen. Auf Deutsch und Englisch schrieb der Sportausrüster auf seinen Facebook-Seiten: „Die Adidas-Gruppe ist strikt gegen jegliche Form der Tierquälerei und erwartet von den ukrainischen Behörden, diesen Vorwürfen gewissenhaft nachzugehen und entsprechende Maßnahmen zu ergreifen. Wir beobachten dieses Thema ganz genau und werden das auch weiterhin tun.“
Während die englischsprachige Status-Meldung auf viel Zustimmung stieß, gaben sich die deutschsprachigen Nutzer mit dieser Erklärung überwiegend nicht zufrieden. Sie hätten erwartet, dass sich Adidas aus dem Sponsoring zurückzieht. Als wenig später berichtet wurde, dass Adidas angeblich Kommentare von Usern gelöscht habe, kochte die Stimmung noch einmal hoch.
Wie verhindert man einen Shitstorm?
Die gute Nachricht: Die meisten Empörungen sind nach eine Woche wieder vorbei. Meist handelt es sich eher um ein Shitwindchen. Als dramatisch zu bewerten ist ein Shitstorm dann, wenn der Protest vom sozialen Netz in andere Medien übergeht.
Shitstorms sind aufzuhalten, wenn man schnell und ehrlich genug ist. Dabei gilt aber, nicht mit PR-Sprache auf aufgebrachte Meinungsäußerungen zu reagieren. Es wird erwartet, dass eine authentische und ehrliche Kommunikation vorhanden ist. Daher lieber zugeben, dass etwas falsch läuft und notfalls eingestehen, dass man machtlos ist, als bloße Betroffenheit ausdrücken. Die Position muss dabei deutlich gemacht werden. Das bedeutet: Punkte, die das Unternehmen anders sieht, klar benennen und gleichzeitig zeigen, wo es einen gewissen Spielraum sieht. Das sollte schnell ablaufen, um zu signalisieren, dass das Unternehmen mit den Menschen in Kontakt und Dialog stehen will. Keinesfalls dürfen Nachrichten oder bestimmt Nutzer ignoriert werden, das gilt gerade für den Beginn einer Kritikwelle.
Werbesprache vermeiden
Das Wichtigste ist aber die Vorbereitung. Generell sollte jedes Unternehmen, einen Krisenplan in der Schublade haben. Das gilt nicht nur für Unternehmen, die selbst im sozialen Netz unterwegs sind. Opfer eines Shitstorms können alle Unternehmen werden. Darum müssen auch alle das Netz kontrollieren. Selbst nicht auf Facebook zu sein, heißt nicht, dass auf Facebook nicht über das Unternehmen geredet wird. Daher müssen für den Krisenfall ein klarer Handlungsablauf vorbereitet sein, Ansprechpartner für Hintergrundgespräche ad hoc zur Verfügung stehen und eine Erreichbarkeit gewährleistet sein.
Generell gilt: Treten Sie keine Kampagnen los, deren Wirkung Sie nicht einschätzen können. Gerade bei Marketingkampagnen im sozialen Netz sollte ein Unternehmen diese erst mit einer Testgruppe ausprobieren, um Reaktionen abschätzen zu können. Rechnen Sie mit den unterschiedlichsten Reaktionen. Jede Reaktion ist möglich und kann eine Eigendynamik entwickeln. Vermieden werden sollten grundsätzlich Werbeattribute in Social Media.
Die schlechte Nachricht zum Schluss: Manche Shitstorms lassen sich nicht vorbereiten oder vermeiden. Das sind gerade die, die durch unzufriedene Kunden oder Falschmeldungen über das Unternehmen ausgelöst werden. Allerdings haben diese auch nur dann negativen Folgen, wenn dem Unternehmen tatsächlich etwas vorgeworfen werden kann. Hat das Unternehmen einen schlechten Service oder mangelhafte Produkte, muss es damit auch umgehen können.
Morgen lesen Sie in unserer Social-Media-Reihe: „Serviceleistungen bei Facebook – Wie funktioniert Kundenberatung im sozialen Netz?“
Unsere Social-Media-Reihe – bisher erschienen:
Löschen oder Diskutieren? – Wie Unternehmen mit Beschimpfungen im sozialen Netz umgehen sollten
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