So kommuniziert Fridays for Future auf TikTok

Auch Fridays for Future macht Marketing, um (junge) Menschen für sich zu gewinnen – vor allem in der aktuellen Krise ist das wichtig. Social Media ist da ein No-Brainer. Eine Analyse des TikTok-Auftritts der Organisation.
FFF
Die aktuelle Krise um Greta Thunberg strahlt auch auf die deutsche Bewegung. (© Fridays for Future)

Am Rande des mittlerweile für den Braunkohleabbau geräumten Dorfes Lützerath stehen sich Aktivist*innen und Hundertschaften der Polizei gegenüber. Im Hintergrund sind die Abbruchkante zum Tagebau und der riesige laufende Kohlebagger zu sehen – gespenstig beleuchtet in der Dunkelheit. „Gerade verschwindet Lützi vor unseren Augen … und damit die 1,5-Grad-Grenze“, erklären die Untertitel, untermalt durch dramatische Musik.

Mit über 600.000 Views ist dieses Video das meist gesehene auf dem TikTok-Profil von Fridays for Future Deutschland (FFF). Ein weiteres beginnt mit euphorischer Popmusik und dem Satz „In Deutschland merkt man nichts von der Klimakrise“. Folgend ist „Reutlingen im Sommer“ zu sehen: komplett weiß, von einer zentimeterdicken Hagelschicht überzogen. Was seit einigen Tagen jedoch auch unübersehbar im Profil prangt, ist ein Statement zum Nahostkonflikt, eine Reaktion auf Vorwürfe, die Organisation und ihre globale Ikone Greta Thunberg verhielten sich antisemitisch.

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Auch die Klimabewegung macht Marketing und versucht, ihre Anliegen und Aktionen in die Gesellschaft zu tragen, um weitere Unterstützer*innen zu gewinnen. Seit Beginn der Corona-Pandemie sind die globalen Klimademos in ihrer Größe massiv eingebrochen und seit Kriege in der Welt wieder das Tagesgeschehen bestimmen, verliert das Thema Klima stark an Aufmerksamkeit. Um die junge Generation trotzdem zu erreichen, sind soziale Netzwerke ein No-Brainer – vor allem TikTok. Wie Fridays for Future Deutschland hier kommuniziert, haben wir analysiert. Teil zwei nach einer Analyse der Letzten Generation.

Vielfalt der Perspektiven

„Wir wollen Menschen über Social Media über Themen rund um Klimaschutzpolitik in Deutschland und weltweit sowie über unsere Forderungen informieren“, erklärt Magdalena Hess aus dem Social-Media-Team das Selbstverständnis der Klimaaktivist*innen. Darüber hinaus werde zur Teilnahme an Aktionen und zu Engagement motiviert und die Bewegung zeige, woran sie gerade arbeitet.

Besonders im Fokus würden dabei die Ortsgruppen stehen. Der Organisation sei es wichtig, zu zeigen, wie der Protest vor Ort aussehe und wie er wirke. Die bundesweiten Accounts würden sehr viele Menschen, Themen und Aktionen vertreten. Diese Vielfalt solle sichtbar gemacht werden.

Die Vielfältigkeit in der Kommunikationsstrategie von FFF sieht auch Joshua Bach, TikTok-Experte und Geschäftsführer von Play The Hype: „Der Account präsentiert eine breite Palette an Inhalten, von Meme-Content und Kommentar-Antwortvideos bis hin zu Aufrufen für Demonstrationen und der Verwendung viraler Sounds. Interessanterweise setzt FFF auf verschiedene Gesichter aus ihrer Community, um eine Vielfalt an Perspektiven zu bieten“, so der Experte.

Humorvoll und mutig auftreten

Humor, Memes und virale Elemente sind präsent im Auftritt von FFF. Neben dem emotionalisierenden Einsatz von Bild und Audio, der die Auswirkungen des globalen Klimawandels mutmaßlich spürbar machen soll, arbeitet FFF viel mit Sarkasmus über mangelhafte und blockierte Klimaschutzpolitik, worauf der klassische Aufruf zum Protest folgt.

„Die Vermischung von Information und kleinen Sketchen ist auf jeden Fall etwas, was im Internet gut funktioniert, auch, weil es kreativer und leichter zugänglich ist als viel heruntergeratterte Information“, sagt die Klimaaktivistin Hess von FFF. Da die Organisation eine Jugendbewegung sei, seien zu viel Ernst und Fachdebatten – zumindest auf TikTok – auch wenig authentisch.

„Memes und Humor sind für jüngere Generationen wie die Gen Z unverzichtbare Kommunikationsmittel“, weiß auch Joshua Bach und verweist auf eine GWI-Studie aus dem Jahr 2022. Demnach sagen etwa 73 Prozent der Befragten aus der Gen Z, dass Memes ihnen dabei helfen, Ideen auszudrücken, die sie sonst schwer formulieren könnten. „Für diese junge Zielgruppe sollte eine moderne Marke daher humorvoll und mutig auftreten“, sagt Bach und hebt die Kommunikation der Fastfood-Marke „Wendy’s“ auf Twitter als positives Beispiel hervor.

Geschichten und Gesichter

Was darüber hinaus nicht nur auf TikTok gut funktioniert, ist es, bestimmte Personen in den Vordergrund der Kommunikation zu rücken. „Führungspersönlichkeiten und Personal Brands spielen eine wesentliche Rolle im Social Media Marketing, da sie Klarheit und Wiedererkennungswert schaffen. Menschen fühlen sich zu bestimmten Gesichtern hingezogen, was die Marke menschlicher und zugänglicher macht“, so der TikTok-Experte.

FFF scheint das ähnlich zu sehen: „Um unsere Geschichte der Welt zu erzählen, braucht es Gesichter. Deshalb spielen Identifikationsfiguren öffentlich auf jeden Fall eine wichtige Rolle, um Menschen zu inspirieren, mitzunehmen, zu mobilisieren. Gleichzeitig ist FFF viel mehr als das, was in der Öffentlichkeit steht – und genau das versuchen wir auch, auf Social Media zu zeigen“, sagt Hess.

Bisher wurde die Rolle der Führungspersönlichkeit auch von Greta Thunberg ausgefüllt. Die schwedische Aktivistin und Gründerin der Bewegung tauchte regelmäßig im Content von Fridays for Future Deutschland auf und gab der Organisation zusätzlichen Auftrieb und mehr Persönlichkeit.

Imageschaden durch die Führungsfigur

Aktuell zeigt sich allerdings, dass der Einsatz einer Führungsfigur nicht ohne Risiko ist und einer Marke auch schaden kann. Nach dem jüngsten gewaltvollen Aufflammen des Nahostkonflikts positionierte sich der engste Kreis von Fridays for Future International um Greta Thunberg klar: Solidarität und Gerechtigkeit mit den unterdrückten Palästinenser*innen forderte die Gruppe als Reaktion auf den Anschlag der Hamas. Die Gewalt gegen Israelis verurteilte sie dagegen nicht.

Der öffentliche Gegenwind gegen die Statements war groß und auch FFF Deutschland bekam ihn zu spüren. Die Organisation sei antisemitisch, so die Kritik, und der deutsche Ableger der Klimabewegung solle sich vom internationalen Pendant abspalten.

Nach einiger Zeit erfolgte die diplomatische Reaktion der Deutschen: keine Abspaltung von der Mutterorganisation, aber eine Verurteilung des Hamas-Terrors, uneingeschränkte Solidarität mit Jüdinnen und Juden und ein nicht verhandelbares Existenzrecht Israels.

Ob die Positionierung die Wogen glättet und wie groß der Schaden für die Organisation langfristig ist, wird sich zeigen. Joshua Bach möchte sich zum Nahostkonflikt nicht äußern. Diese Vorgehensweise empfehle er auch anderen Marken und Organisationen wie FFF – sie sollten sich auf ihren jeweiligen Kernbereich, wie die Klimapolitik, fokussieren.

Menschen statt Marken

Fridays for Future Deutschland hat auf Instagram rund 540.000 Follower*innen und auf TikTok knapp 25.000. Damit sind die Aktivist*innen recht präsent, könnten auf TikTok aber noch deutlich viraler gehen. Durch eine Optimierung der Kommunikationsstrategie könne FFF zudem die Kontrolle über ihr Narrativ zurückgewinnen, empfiehlt Bach.

„Die Organisation sollte erwägen, ihre Mitglieder dazu ermutigen, auf eigenen Kanälen zu posten. Am Ende des Tages folgen Menschen lieber anderen Menschen als Organisationen oder Marken“, so das Fazit des TikTok-Experten von Play The Hype.

(fs, Jahrgang 1998) studiert nach einem halben Jahr in der Redaktion des „Nordschleswigers“ in Süddänemark den Master Sozioökonomie und ist seit Januar 2023 Werkstudent bei der absatzwirtschaft. Neben einem breiten Interessensspektrum findet er progressive Themen besonders spannend: Nachhaltigkeit, Sozialunternehmertum oder New Work sind dazu nur einige vieler Buzzwords.