So kommuniziert die Letzte Generation auf TikTok

Auch die Klimabewegung macht Marketing, um (junge) Menschen für sich zu gewinnen. Social Media ist da ein No-Brainer. Eine Analyse des TikTok-Auftritts der Letzten Generation.
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Ernst, provokant, emotional – der TikTok-Auftritt der Letzten Generation. (© Letzte Generation)

Im kurzen offenen Hemd sitzt ein Aktivist im strömenden Regen auf der Straße und hält eine emotionale Rede, hinter ihm ist die Polizei zu sehen. Er heiße Niki und habe mit seinen Mitstreiter*innen gerade die Ringautobahn blockiert. Angst vor der Klimakrise habe er, Deutschland müsse endlich aus den fossilen Brennstoffen aussteigen. Von der Polizei sei er geschlagen und gewürgt worden.

Das Video mit Niki ist mit 70 Tausend Views das viralste auf dem TikTok-Kanal der Letzten Generation. Ein weiteres, viel geklicktes Video zeigt eine junge Frau in oranger Weste und mit Klebetuben an ihren Ohrringen, die ernst Vorwürfe entkräftet, die Organisation blockiere bei ihren Aktionen den Rettungsdienst. Unterstützung bekommt sie in einem zweiten Clip von einer Anästhesistin aus Berlin.

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Auch die Klimabewegung macht Marketing und versucht, ihre Anliegen und Aktionen in die Gesellschaft zu tragen, um weitere Unterstützer*innen zu gewinnen. Seit Beginn der Corona-Pandemie sind die globalen Klimademos in ihrer Größe massiv eingebrochen und seit Kriege in der Welt wieder das Tagesgeschehen bestimmen, verliert das Thema Klima stark an Aufmerksamkeit. Um die junge Generation trotzdem zu erreichen, sind soziale Netzwerke ein No-Brainer – vor allem TikTok. Wie die Letzte Generation hier kommuniziert, haben wir analysiert.

Ernst, provokant, emotional

„Unser Ziel ist es, die Gesellschaft aufzuklären, vor welch großen Gefahren sie gerade steht – eine Gesellschaft, die immer weiter auseinanderdriftet, anstatt in einer nie dagewesenen Krise, der Klimakrise, zusammenzustehen“, erklärt Carla Hinrichs aus dem Kommunikationsteam der Organisation gegenüber der absatzwirtschaft. Durch einen ernsten und dabei vollkommen friedlichen Protest versuche die Letzte Generation ehrlich und angemessen auf die Krise zu reagieren und zu zeigen: Niemand dürfe weiter die Augen verschließen.

Der Content, den die Aktivist*innen dafür wählen, ist ernst, in Teilen provokant, emotional. „Wenn wir uns die Situation der Menschheit ansehen, wenn wir die wissenschaftlichen Fakten an uns heranlassen, bleibt wenig Raum für Freude. Ehrlichkeit steht in unserer Kommunikation ganz vorne“, sagt Hinrichs.

Häufig sind authentische Handy-Videos von Demonstrationen oder Reaktionen in Videoform, vor allem auf Hate-Kommentare, zu sehen. Der folgende Call to Action ruft Zuschauer*innen auf, sich an den Protesten zu beteiligen. „Ihre generelle Strategie scheint klar: Provokation und moralische Empörung sollen die Aufmerksamkeit steigern“, folgert Joshua Bach, TikTok-Experte und Geschäftsführer von Play The Hype. Interessant sei auch, dass die Letzte Generation oft ihre eigenen Mitglieder filme, wie sie bei Demonstrationen entweder von der Polizei verteidigt oder verhaftet werden. Ein strategischer Schachzug?

Gegenwind und der Umgang damit

Die Letzte Generation erhalte die meiste Unterstützung, wenn der Gegenwind am größten sei, sagt eine Aktivistin in einem Video. Polizeiliche Repression und prügelnde Passant*innen können sicher als solcher interpretiert werden. Der Gegenwind, den die Organisation erfährt, ist in jedem Falle auch auf TikTok sichtbar: „Durch ihre provozierende Strategie landen Videos oft in den ,falschen‘ Communities, was man anhand der Hasskommentare erkennt, mit denen ihre politischen Gegner ihre Kommentarspalten übersättigen“, analysiert Bach.

Das ist auch der Letzten Generation bewusst. Carla Hinrichs erklärt: „Wir wissen, dass wir mit unserem Protest eine gewisse Spannung in der Gesellschaft erzeugen. Doch ist Spannung nicht per se etwas Schlechtes. Spannung führt dazu, dass Menschen sich entscheiden, auf welcher Seite sie stehen, sich positionieren.“ Geplante Spaltung und ein Widerspruch zum proklamierten Ziel einer gegen die Klimakrise zusammenstehenden Gesellschaft? In die Falle tappen, die Gefühle der Menschen zu bewerten, werde die Organisation nicht, so Hinrichs – eher mit Verständnis reagieren und um die Möglichkeit bitten, die Proteste zu erklären. Möglicherweise ergebe sich so dann ein Raum, in dem ein Gespräch entsteht.

Hasskommentare können auch zum Positiven genutzt werden, weiß Joshua Bach von Play The Hype: „Bei vorhandenen destruktiven Kommentaren kann ein effektives Community Management den Hass ,ownen‘ und sarkastische, schlagfertige Antworten liefern.“ Auf einen Hasskommentar könne so beispielsweise mit „#AnzeigeIstRaus“ reagiert werden, um Sarkasmus und Selbstbewusstsein zu zeigen. Eine weitere Möglichkeit sei ein Kommentarantwortvideo, um die Hater*innen zu „exposen“.

Menschen folgen Menschen

Zwar hat die Letzte Generation auf Instagram knapp 70.000 Follower*innen, auf TikTok beschränkt sich die Zahl jedoch auf circa 1900 – eine eher geringe Reichweite. „Die LG nimmt sich für TikTok zu ernst – auch wenn dies Teil ihrer Organisationsstrategie ist“, folgert Bach. Die Organisation könne mehr Humor in ihre Kommunikation einbringen, um ihre Botschaft bei der Gen Z authentischer zu vermitteln.

Außerdem fehlten der Letzten Generation Führungspersönlichkeiten beziehungsweise Personal Brands. „Sie spielen eine wesentliche Rolle im Social-Media-Marketing, da sie Klarheit und Wiedererkennungswert schaffen. Menschen fühlen sich natürlich zu bestimmten Gesichtern hingezogen, was die Marke menschlicher und zugänglicher macht“, so der TikTok-Experte.

Ergänzend sollte die Letzte Generation für mehr Erfolg ihre Mitglieder dazu ermutigen, auf eigenen Kanälen zu posten: Am Ende folgen Menschen nämlich lieber anderen Menschen als Organisationen oder Marken, so das Fazit.

(fs, Jahrgang 1998) studiert nach einem halben Jahr in der Redaktion des „Nordschleswigers“ in Süddänemark den Master Sozioökonomie und ist seit Januar 2023 Werkstudent bei der absatzwirtschaft. Neben einem breiten Interessensspektrum findet er progressive Themen besonders spannend: Nachhaltigkeit, Sozialunternehmertum oder New Work sind dazu nur einige vieler Buzzwords.