„Jetzt oder nie – Unternehmen müssen eine nTLD-Strategie entwickeln“

Im Juni 2011 hat die ICANN den Weg frei gemacht für die neuen Top-Level-Domains. Anfang 2013 sollen die ersten Domains live gehen. Klingt nach reichlich Zeit, in Wahrheit drängt sie aber. Denn die Unternehmen müssen jetzt die nötigen Entscheidungen treffen und Strategien für die neue Internet-Ära entwickeln.

von Florian Hitzelberger

Am 12. Januar 2012 öffnet sich erstmals das Bewerbungsfenster für die neuen Top Level Domains. Anfang 2013 sollen die ersten Domains technisch voll funktionsfähig sein. Doch wer glaubt, es bleibe noch ausreichend Zeit, der irrt: wer sich jetzt keine Strategie zurechtlegt, wird dem gerade abfahrenden nTLD-Zug nur noch hinterherwinken können.

Nehmen wir einmal an, Sie haben einen Verlag und verkaufen Zeitungen. Es handelt sich um die angesehensten Zeitungen in Ihrem Segment, mit den aktuellsten und exklusivsten Geschichten. Das Internet mit seiner Gratis-Mentalität war für Sie immer schon ein Graus, und diese Aufregung um Domain-Endungen konnten Sie ohnehin noch nie nachvollziehen. Sie beschließen, erst einmal abzuwarten und zu beobachten, ob sich die Konkurrenz um eine eigene Top-Level-Domain bewirbt. Dann kann man ja immer noch reagieren – und zur Not sind Sie markenrechtlich bestens abgesichert, die Kettenhunde Ihrer fürstlich entlohnten Rechtsabteilung warten schon.

Der 12. April 2012 als letzter Tag des ersten Bewerbungsfensters verstreicht, und Sie glauben weiterhin unbeirrt, dass die Konkurrenz mit einer eigenen Bewerbung sicher hunderttausende Euro versenkt hat, mindestens. Doch am 13. April 2012 kommen Sie morgens in Ihr Büro, lesen Ihre E-Mails und fallen vom Stuhl: Ausgerechnet Ihr härtester Rivale hat sich als einziger aus der Branche bei der ICANN beworben. Er wird mit seiner eigenen Domain Herr über einen Teil des Internet und hat fortan ganz andere Möglichkeiten in der Kommunikation. Vor allem aber setzt er womöglich einen neuen Standard und läuft Ihnen und der gesamten Branche voraus. Alles nur geträumt? Mitnichten

Auch wer sich beklagt: das knappe Zeitfenster von drei Monaten setzt viele Unternehmen weltweit unter Zugzwang. Wer sich um welche Endung beworben hat, will die Internet-Verwaltung ICANN erst nach dem 12. April 2012 bekanntgeben. Zeit, um zu reagieren, gibt es dann nicht mehr. Zwar hat ICANN weitere Bewerbungsrunden angekündigt, aber wann und zu welchen Bedingungen das sein wird, steht in den Sternen. Die gewünschte Endung – und womöglich auch noch das Prädikat „First Mover“ – kann dann jedoch schon längst in der Hand der Konkurrenz sein. Und selbst wer sich jetzt bewirbt, muss das Risiko in Kauf nehmen, dass ein Mitbewerber eine identische oder zum Verwechseln ähnliche Domain-Endung haben will.

In einem solchen Fall hat man zumindest die Möglichkeit, aktiv zu agieren. Denn die ICANN muss dann mit beiden Bewerbern eine Lösung finden. Wer in dieser Situation allein auf die Rechtsabteilung setzt, hat von der Komplexität des Markenrechts keine Vorstellung: Auch der teuerste Jurist der Welt kann nicht garantieren, dass in irgendeinem entfernten Winkel dieser Welt eine Marke existiert, die Ihren Rechten entgegensteht. Und der Teufel steckt im Detail: Da ICANN auf das Merkmal „in use“ verzichtet hat, genügt theoretisch eine frisch eingetragene Marke, beispielsweise aus Venezuela, ohne jede Nutzungsaktivität, um Rechte zu begründen.

Nun sollte all das aber kein Grund sein, in Panik zu verfallen. Wichtig ist allein, sich jetzt Gedanken zu machen und die kommenden Wochen für das Entwickeln einer Strategie zu nutzen, wie man mit dieser historischen Entwicklung des Domain Name Systems umgeht. Das betrifft übrigens nicht nur die Frage der eigenen Top-Level-Domain, sondern auch die nachfolgenden Registrierungen.

Niemand ist gezwungen, möglichst viele der neuen Endungen wie .web, .shop, .bayern oder .berlin mit Anmeldungen abzudecken; bei manchen bereits eingeführten neuen Top Level Domains wie .travel oder .jobs lohnt häufig noch nicht einmal eine defensive Registrierung, da sie öffentlich kaum bekannt sind. Und wer weder jetzt noch in 20 Jahren eine sinnvolle Nutzungsmöglichkeit für eine eigene Domain-Endung sieht, kann sich die Bewerbungsgebühren und die Folgekosten sparen.

Wer angesichts dieser weitreichenden Änderungen allerdings kopf- und strategielos still verharrt, dem droht, von den Entwicklungen – und womöglich von der Schnelligkeit der Konkurrenz – schlicht überrollt zu werden.

Über den Autor: Florian Hitzelberger, Rechtsanwalt in Holzkirchen bei München, beschäftigt sich seit Jahren intensiv mit den neuen Top-Level-Domains. Vom 26. bis 27. September 2011 wird er an „newdomains.org – The Munich Conference on new TLDs“ in München teilnehmen.