Grün verpackt und gut erfunden 

Die neue Pfandpflicht für Milchprodukte setzt Innovationsgeist frei. Die Saftindustrie experimentiert mit verzehrbaren Flaschen. Und die EU wird 2024 strengere Recycling-Vorgaben beschließen. 
Pfandflasche, Verpackungen, Bild zum Thema Pfandpflicht für Milchprodukte
Das deutsche Pfandsystem ist eine wichtige Errungenschaft. Doch noch nicht alle Branchen machen mit.  (© Unsplash)

Zu den wenigen Dingen, deren Sinn in Deutschland kaum jemand ernsthaft bestreitet, gehört das Pfandsystem. Leergut zurückzubringen ist jahrzehntelang eingeübt und für die meisten so selbstverständlich, dass die Proteste auch dann überschaubar blieben, als von 2003 an auch Dosen und Plastikflaschen in das System einbezogen wurden. Die davon ausgenommene Saftindustrie drängte zuletzt regelrecht auf Bepfandung, etwa Mittelständler wie Eckes-Granini. Coca-Cola-Tochter Innocent startete sogar eine Petition pro Pfandpflicht. Es ist eben besser fürs Image, mit einer sauberen Kreislaufwirtschaft assoziiert zu werden als mit Müll und Mikroplastik. 

Um so merkwürdiger, dass ausgerechnet die angeblich so naturverbundene Milchindustrie tausend Gründe gegen ein Pfand für ihre Produkte fand („kein Verordnungsbedarf“, „unverständlich für Verbraucher“, „hygienische Probleme durch Geruchsbelästigung“). Wer sich gegen den Zeitgeist stellt, den bestraft das Leben, möchte man in Abwandlung eines berühmten Zitates kalauern. Der Widerstand ist jedenfalls gescheitert: Seit Beginn dieses Jahres gilt durch eine Novelle des Verpackungsgesetzes die Einwegpfandpflicht auch für Milch und Milchmixgetränke in Plastikflaschen. Und siehe da, die Welt ist nicht untergegangen, ganz im Gegenteil: Marketingstrateg*innen haben die Neuerung als Chance genutzt.  

Milchreste stinken? Dafür gibt es Lösungen 

Edeka zum Beispiel bietet neuerdings Eigenmarken-Vollmilch in Flaschen aus recyceltem Plastik an, preislich positioniert zwischen Milch in billigeren und unbepfandeten (in der Ökobilanz gar nicht so schlechten) Verbundkartons und der in teuren Glas-Mehrwegflaschen. Und die Geruchsbelästigung?

Nach Recherchen der Fachzeitschrift Lebensmittelpraxis haben die Hersteller von Rückgabeautomaten Lösungen für das Problem gefunden. Rewe, Edeka und Bünting kooperieren überdies mit einer Hamburger Spezialfirma, die eine chemiefreie Geruchskeule namens „No Odor“ entwickelt hat. Deutschland, Land der Innovationen. Zumindest rund ums Pfandwesen. 

Simsalabim: Eine Saftflasche zum Aufessen 

Aber auch die Verpackungsindustrie selbst sucht zunehmend nach Lösungen, die weniger umweltschädlichen Müll verursachen. Mit mitunter überraschenden Ergebnissen wie „Gone Shells“, einer Flasche aus Kartoffelstärke, die nach Genuss des Inhalts verzehrt oder rückstandslos kompostiert werden kann. Ideengeber Tomorrow Machine, ein schwedisches Start-up, entwickelt sie gemeinsam mit Eckes-Granini zur Marktreife. „Wenn alles gut läuft, haben wir für die Zukunft eine Flasche geschaffen, die von selbst verschwindet“, heißt es im Nachhaltigkeitsbericht 2023 der rheinland-pfälzischen Saftfirma (S. 34). Es klingt ein wenig nach Simsalabim, aber immerhin gibt es bereits einen Prototyp. 

Contra Zeitgeist? Schraubglas ersetzt Trinkglas  

Dabei braucht es für Kreislauflösungen keine Zauberei, wie Händler*innen mit „Unverpackt“- und Refill-Modellen zeigen und Hersteller*innen wie Sony mit raffiniertem Knowhow: Der Tech-Konzern hat für seine Kopfhörer der Reihe 1000X eine recycelfähige, kunststofffreie Papiermischung entwickelt und überdies das Verpackungsvolumen drastisch reduziert.

Noch besser sind Behältnisse, die für neue sinnvolle Zwecke verwendet werden können, wie das berühmte Thomy-Senfglas, das zum Trinkglas mutiert. Die Beispiele nennt Experte Uwe Melichar in einem hörenswerten Podcast rund ums Thema Verpackung. Zur Wahrheit gehört aber, dass die Nestlé-Marke seit Ende 2022 auf diese genial einfache und unverwechselbare Form des Upcyclings verzichtet und den Senf seither ins Schraubglas füllt, wie alle anderen. So kann man eine Love Brand auch kaputt machen. Marketing-Note fünf.  

Neue EU-Verpackungsverordnung wird Vorgaben verschärfen 

Unternehmen sind noch aus einem anderen Grund gut beraten, das Thema 2024 ganz oben auf die Agenda zu setzen. Voraussichtlich in diesem Frühjahr wird die europäische „Packaging and Packaging Waste Directive“ (PPWD) novelliert. Der Entwurf enthält anspruchsvolle Vorgaben, darunter das Ziel, dass bis 2030 sämtliche Verpackungen recycelfähig sein müssen. Über Einzelheiten müssen sich Europäischer Rat und Parlament noch verständigen. Mehr zu Genese und Inhalt des Entwurfs vom Wissenschaftlichen Dienst des Europäischen Parlaments in dieser Übersicht und zum aktuellen Stand in dieser Mitteilung des Europäischen Rats

Marketing-Weisheiten aus 2023: ein Rückblick 

Wer zu Beginn des neuen Jahres einen Blick in den Rückspiegel werfen möchte, sei auf den Podcast „9 mal klug“ aus der Reihe Sustainable Brand Stories verwiesen. Hier gibt es neun kurze Ausschnitte aus Interviews mit Marketingspezialisten, ein „Best of 2023“ sozusagen. In dem Potpourri begründet Vaude-CMO Manfred Meindl die Glaubwürdigkeit des Outdoor-Ausrüsters, beschreibt Avocado-Store-Geschäftsführerin Mimi Sewalski die Instrumente, mit denen der Online-Händler eine Art Öko-Amazon werden will, und erläutert Ecosia-Gründer Christian Kroll, warum sich die Suchmaschine heute selbst gehört. 

Ein gutes neues Jahr noch, und behalten Sie die Zukunft im Blick! 

(mat) führte ihr erstes Interview für die absatzwirtschaft 2008 in New York. Heute lebt die freie Journalistin in Kaiserslautern. Sie hat die Kölner Journalistenschule besucht und Volkswirtschaft studiert. Mag gute Architektur und guten Wein. Denkt gern an New York zurück.