Früher war mehr Glitter

Von Hamsterkäufen im Glitter-Segment, einer sagenhaft verantwortungsvollen Gen Z, jeder Menge Geschäftspotenzial für ESG-Software und der Frage, ob Apples Spot „Mother Nature“ super ist oder blöd.
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Glänzendes wird momentan gehamstert. (© Pexels)

Oft ist es so, dass das nachhaltige Leben nicht klappt, weil wir auf etwas verzichten sollen, das uns lieb ist. Fliegen, zum Beispiel. Oder schnelle Autos mit Verbrennermotoren. Auch beim Filetsteak und der Kuhmilch isst und trinkt das schlechte Gewissen mit. Und jetzt naht auch noch das Ende des Glitters.  
 
„Das hier ist für alle, die Naildesign lieben nur schwer zu ertragen”, heißt es – inklusive Kommafehler. Auf der Website www.nails.de/end-of-glitter lautet die Vertriebsbotschaft: „+++ GLITTER SALE +++ JETZT ZUSCHLAGEN +++ LETZTE CHANCE +++“.  

Auch in den sozialen Medien werden derzeit verstärkt Glitter-Hamsterkäufe empfohlen, denn: Ab dem 15. Oktober ist der Verkauf von „losem Glitzer“ verboten. Und von anderem Mikroplastik sowie „von Produkten, denen Mikroplastik bewusst zugesetzt wurde, und die diese Partikel bei der Verwendung freisetzen“.  
 
Die neue EU-Verordnung wurde im September beschlossen und tritt schon am kommenden Dienstag in Kraft. Die Beschränkung betreffe sehr kleine Partikel, sei aber ein großer Schritt zur Verringerung der vom Menschen verursachten Umweltverschmutzung, sagt EU-Umweltkommissar Virginijus Sinkevičius. Betroffen sind Kosmetika, Detergenzien, Weichmacher, Düngemittel, Pflanzenschutzmittel, Spielzeug, Arzneimittel, Medizinprodukte und Granulatmaterial, wie es etwa auf Kunstrasenflächen verwendet wird.  
 
Für einige Produkte gibt es noch eine Übergangsfrist, damit Unternehmen die Chance haben, Alternativen zu finden. Auch die Liebhaber*innen von Glitzer und Glitter werden wohl nicht lange leiden müssen: Laut Beauty-Profis auf Instagram (ich übernehme das hier mal gänzlich ungeprüft) sind bereits Öko-Varianten zu haben.  

Hedo-Eco-Boho-Vegan-Eco-Pro-Human-Eco-Animalista-Tech-Eco-Nerd. Puh. 

Die Glitzer-Ersatz-Nachricht wird vermutlich die Gruppe der „Hedo-Eco-Boho” erfreuen. Dabei handelt es sich um aktive, gesellige, herzliche junge Leute, denen 

Freundschaft, Humor und Wohltätigkeit wichtig sind und die bevorzugt bei Discountern einkaufen. Sie sind absolut nicht zu verwechseln mit den Gleichaltrigen aus den Sparten  

„Vegan-Eco-Pro“, „Human-Eco-Animalista“ oder „Tech-Eco-Nerd“. Die sind nämlich deutlich nachhaltiger unterwegs und kaufen in Biosupermärkten, engagieren sich total für andere oder verstehen sich als „Impulsgeber für Veränderungsprozesse“.  

Zu verdanken sind diese Zuschreibungen einer neuen Studie der Frankfurter Agentur Garsten in Zusammenarbeit mit Data Science Consulting. Garsten hat sich auf die Marketingansprache der Zielgruppe Gen Z und Gen Alpha spezialisiert. Bei den in der Studie skizzierten tendenziell liebenswerten und verantwortungsvollen Gen Z-Angehörigen fragt man sich, wo eigentlich all die jungen AFD-Wähler*innen in Bayern und Hessen einzuordnen sind. 

ESG-Software sehr gefragt 

Handfester geht es im BtoB-Segment zu. Das ist derzeit ein Eldorado für Anbieter von Nachhaltigkeits-Software sowie die entsprechenden Trainings und Beratung. In der mit KPMG, Detecon und Siemens entstandenen Studie Sustainable Operations in der Prozess- und Fertigungsindustrie haben Lünendonk & Hossenfelder Interessantes herausgefunden.  

Rund 92 Prozent der Befragten wollen ihre ESG-Daten mithilfe digitaler Tools systematisch erfassen, aber erst 31 Prozent haben bereits entsprechende Lösungen implementiert. 64 Prozent schätzen den für die digitalen Aspekte nötigen Trainings- und Beratungsaufwand als hoch ein. Hier gibt es also noch jede Menge zu tun.  

Feiert sich Apple zu sehr? 

Zu guten Schluss soll es nochmal um Mutter Natur gehen. Genau genommen um den Sustainability-Spot Mother Nature von Apple, von dem ich auf LinkedIn schrieb „Besser kann man Nachhaltigkeitskommunikation nicht machen!“. Das sehen Autor*innen der Agenturen The Goodwins und Weber Shandwick anders.  

In einem gemeinsamen Text werfen sie Apple „einige verpasste Chancen und vor allem eine intransparente wie deutlich fragmentierte Berichterstattung“ vor. Kennzahlen seien nicht nachvollziehbar, Themen würden ausgelassen und ein „Konsumenten-Empowerment“ verpasst. „Indem sie sich ein bisschen zu sehr feiern für ihre eventuell gar nicht so ambitionierte Sustainability Roadmap, lassen sie ihre Verantwortung gegenüber Wettbewerb, Industrie und den Konsumenten leider ziemlich links liegen“, heißt es abschließend.

Bestimmt haben die Kommunikationsprofis in einigen Punkten Recht. Mir hat der Spot in dieser spaßfreien Zeit einfach Spaß gemacht. 

(vh, Jahrgang 1968) schreibt seit 1995 über Marketing. Was das Wunderbare an ihrem Beruf ist? „Freie Journalistin mit Fokus auf Marketing zu sein bedeutet: Es wird niemals langweilig. Es macht enorm viel Spaß. Und ich lerne zig kluge Menschen kennen.“