Energie, Recycling, grünes Wohnen: Wandel macht stark 

Der absurde Streit um die Atomkraft, Messen mit bestechend grünen Angeboten und kreative Marketing-Aktionen zum Earth Day: In Deutschland bewegt sich was – und zwar in die richtige Richtung. 
Das Mercedes-Benz Gebrauchtteile Center pflanzt für jede Bestellung einen Baum. (© Unsplash/Johann Siemens)

Die Deutschland-AG hat vorigen Samstag eine Produktreihe eingestellt. Das Modell litt unter einem schlechten Image, beinhaltete hohe Risiken und spielte seine Kosten kaum ein. Zudem will die Chefetage mehr Ressourcen in Innovationen lenken, die sie für zukunftsfähig hält. Klingt gut, doch wie bei jeder Umstrukturierung gibt es Widerstand. Ein mächtiger Gebietsfürst will gar die Zentrale entmachten.  

Get over it, Söder! Die Ära der Atomkraft in Deutschland ist vorbei. Und Wandel macht stark. Auch wenn seine Folgen anfangs schmerzen mögen. Dafür läuft manches schneller als anfangs gedacht. Bei grüner Effizienzsteigerung und der Umstellung auf regenerative Energien geht ein Ruck durchs Land, das zeigen Beispiele wie das des Sensorspezialisten Leuze im schwäbischen Owen: Der Mittelständler hat seine Photovoltaik-Anlage massiv ausgebaut und so den Bezug von Fremdstrom im vergangenen Jahr glatt halbiert. Wobei der Fremdstrom, na klar, ebenfalls zu 100 Prozent öko ist.  

Klimaneutralität und Recycling: Top-Themen der Messen 

Nicht von ungefähr steht bei den beiden Weltleitmessen, die diese Woche begonnen haben, Nachhaltigkeit im Fokus. Die Industrieschau Hannover Messe benennt als Top-Themen CO2-neutrale Produktion, Energiemanagement sowie Wasserstoff und Brennstoffzellen. Zu den Leitthemen der Münchner „Bau“ zählen die „Herausforderung Klimawandel“ und „Ressourcen und Recycling“. Wer vor Ort war, konnte sich davon überzeugen, wie viele Aussteller grüne Themen in den Vordergrund rückten.  

Das ist schon deshalb bemerkenswert, weil die Baubranche traditionell nicht zu den schnellsten gehört, und ganz besonders wichtig, weil die Bau- und Gebäudewirtschaft knapp 40 Prozent der deutschen CO2-Emissionen verantwortet. Die Messe habe „die Zeichen der Zeit in der Theorie erkannt“, schrieb Gerhard Matzig, Architekturkritiker der SZ und der Lobhudelei gewiss nicht verdächtig. „Für die Praxis wäre nun eine zeitgemäße Bau- und Umbaupolitik zuständig. Die Wirtschaft ist schon weiter.“  

Wärmepumpe fällt aus Flugzeug – „Wir liefern“ 

Hersteller von Wärmepumpen jedenfalls werden von Nachfrage geradezu überrannt. Der Berliner Installateur Thermondo hat eine Mediakampagne aufgelegt, die seit Anfang April in großer Reichweite auf TV sowie im Connected TV läuft, flankiert von Social Media. Der Spot simuliert den Abwurf einer Wärmepumpe aus einem Flugzeug (freilich klimaneutral mit Bluescreen-Technik produziert), direkt über dem Haus des Kunden, samt fallschirmbewehrter Installateurs-Crew – ein Gartenzwerg ist auch dabei. Richard Lucht, Vice President Brand & Communication bei Thermondo, lässt sich so zitieren: „Lange Lieferzeiten, Handwerkermangel, fehlende Preistransparenz? Andere lamentieren, wir liefern.“ Das nennt man wohl die Gelegenheit beim Schopf packen. 

Wohnungen stapeln? Warum nicht, wenn’s der Umwelt dient 

Auftrieb erhält auch ein Geschäftsfeld, das bislang eine Nische war: modularer Wohnungsbau. Die Schweizer Firma Renggli baut in Eberswalde Deutschlands größtes Holzmodulwerk; bei dem Berliner Start-up Gropyus, Mitglied der Deutschen Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen (DGNB), ist kürzlich Vonovia als Investor eingestiegen. Wenn Wohneinheiten vorgefertigt und auf der Baustelle nur noch gestapelt werden, ist das nicht nur schneller und kostengünstiger als konventioneller Wohnungsbau – eine standardisierte Produktion lässt sich auch in Hinblick auf CO2-Emissionen und Zirkularität optimieren. Die große Herausforderung liegt im Design. In den Augen derer freilich, die verzweifelt eine Wohnung suchen, wird es allemal passabel sein. Menschen ein Dach über dem Kopf zu verschaffen, ist ja auch etwas sehr Nachhaltiges.  

Earth Day 2023: VW schenkt Beschäftigten Arbeitszeit  

Passenderweise steht der diesjährige Tag der Erde am 22. April unter dem Motto „Wohne lieber grüner“. Seit 1970 wird der „Earth Day“ in den USA begangen, und viele amerikanische Marken nutzen den Anlass für Aktionen. Auch einige deutsche Unternehmen sind kreativ: Die Telekom lädt Geschäftskunden zur B2B-Konferenz über Nachhaltigkeitsstrategien ein, der Volkswagen-Konzern schenkt seinen Mitarbeitenden eine Stunde Arbeitszeit für Umweltprojekte („Project1hour“). Das Mercedes-Benz Gebrauchtteile Center pflanzt für jede Bestellung einen Baum. Nicht gar so originell, aber gefahrloser als die Kampagne wie „Nature or Nothing“, für die der Konzern im vergangenen Jahr des Greenwashings bezichtigt wurde, wie meine Kollegin Vera Hermes schrieb.  

Oder gibt es Nachhaltigkeit gar nicht? 

Man kann es natürlich auch so machen wie das Kölner Modelabel Armedangels und pünktlich zum Earth Day verkünden, dass nachhaltige Mode nicht existiert: Jedes hergestellte und gekaufte Produkt belaste die Natur, sagt Impact und Innovation Director Katya Kruk.Weniger konsumieren und auf höhere Qualität zu setzen ist das Beste was für die Umwelt getan werden kann.“ Das stimmt und ist zugleich eine geschickte Marketing-Aktion, mit der Armedangels jeglichen Greenwashing-Vorwürfen den Boden entzieht. 

Eine gute Woche noch, und behalten Sie die Zukunft im Blick! 

(mat) führte ihr erstes Interview für die absatzwirtschaft 2008 in New York. Heute lebt die freie Journalistin in Kaiserslautern. Sie hat die Kölner Journalistenschule besucht und Volkswirtschaft studiert. Mag gute Architektur und guten Wein. Denkt gern an New York zurück.