Employer Branding bei Thyssenkrupp: ein schmaler Grat

Mit der neuen Kampagne #GENERATIONTK will Thyssenkrupp seine Mitarbeiter motivieren. Eine Herausforderung in herausfordernden Zeiten, in denen der Konzern nicht zuletzt durch die Corona-Pandemie leidet – und Personalabbau das Wir-Gefühl im Unternehmen trübt.
Voice-Over-Sätze wie "Kein Platz für festgefahrene Strukturen – Zeit, aufzuräumen" vermitteln nicht nur Aufbruchsstimmung, sondern bleiben angesichts der jüngsten Personalentwicklungen bei Thyssenkrupp teilweise auch schief hängen. (© Thyssenkrupp)

„Wir von Thyssenkrupp wissen: Wer vorwärts will, muss was bewegen.“ Mit diesen entschlossenen Worten startet der Imagefilm der neuen Employer-Branding-Kampagne #GENERATIONTK von Thyssenkrupp, mit der die Unternehmensgruppe den, wie sie es nennt, „wohl größten Transformationsprozess in ihrer Unternehmensgeschichte“ begleiten will.

Der Wandel mündet in einer nachhaltigeren Neuausrichtung des Konzerns, die Überschrift hierfür lautet „Nur Schwermetall war gestern“: Bis 2050 will Thyssenkrupp eine klimaneutrale Stahlproduktion mit Wasserstoff umsetzen. Eine gänzlich innovative Unternehmensstrategie, wofür eine gemeinsame Haltung aller Mitarbeitenden umso wichtiger ist; die Kampagne #GENERATIONTK soll diesen Zusammenhalt bestärken.

Thyssenkrupp will Zuversicht vermitteln

„Wir wollen unsere jetzigen und künftigen Kolleginnen und Kollegen in der Veränderung mitnehmen“, sagt Laura Sophia Garbe, Head of Employer Branding bei Thyssenkrupp. „Denn uns vereint der Wille, den Weg gemeinsam zu gehen und täglich besser zu werden – unabhängig von Alter, Geschlecht oder Position.“ Stillstand sei Rückschritt, „wir“, so Garbe, „wollen Vertrauen aufbauen und Zuversicht vermitteln: glaubwürdig, direkt und ehrlich!“

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Glaubwürdig, direkt und ehrlich schauen denn auch die Menschen in dem Imagefilm in die Kamera: Mit blitzenden Augen und vor der Brust verschränkten Armen wirken die lächelnden Frauen und Männer kämpferisch und motiviert. Das, so Garbe, wären auch „nicht irgendwelche Models, die man für teuer Geld ablichtet, sondern unsere eigenen Mitarbeitenden“; und das Feedback der Belegschaft auf den Imagefilm sei „durchweg sehr gut“.

Zwischen Aufbruchsstimmung und Angst

Doch furiose Voice-Over-Sätze wie „Kein Platz für festgefahrene Strukturen – Zeit, aufzuräumen“ vermitteln nicht nur Aufbruchsstimmung, sondern bleiben angesichts der jüngsten Personalentwicklungen bei Thyssenkrupp teilweise auch schief hängen.

Der Ruhrgigant hat in der Corona-Krise stark gelitten. Laut einem Bericht der Wirtschaftswoche will die Thyssenkrupp-Vorstandsvorsitzende Martina Merz insgesamt 11.000 Stellen infolge der Pandemie streichen, alleine bis Ende Dezember 2020 habe das Unternehmen schon knapp über 4000 Arbeitsplätze abgebaut. Das „Handelsblatt“ informiert etwa über das von Thyssenkrupp verkündete Aus für das Großblechwerk in Duisburg-Hüttenheim, 800 Mitarbeitende verlören bis Ende 2021 ihren Job. Und das Werk in Remscheid soll bereits im Sommer schließen, hiervon seien 62 Mitarbeiter betroffen, so Serdar Üyüklüer, Geschäftsführer der IG-Metall Remscheid-Solingen.

Umso essentieller findet Sophia Garbe von Thyssenkrupp die mutmachende Employer-Branding-Kampagne. Sie sagt: „Gerade jetzt ist es wichtig, dass wir offen mit den Mitarbeitenden kommunizieren.“ Gleichwohl dürfe Thyssenkrupp es dabei alleine nicht belassen, findet Dr. Harald Linné. Der CEO der Managementberatung Atreus beschäftigt sich schon länger mit der Restrukturierung bei Thyssenkrupp. „Eine Motivationskampagne ist schön und gut. Sie verliert aber an Wirkung, wenn es bei schönen Worten bleibt, aber das Personal keine reellen Perspektiven hat“, sagt Linné.


„Gerade jetzt ist es wichtig, dass wir offen mit den Mitarbeitenden kommunizieren“, sagt Laura Sophia Garbe, Head of Employer Branding bei Thyssenkrupp.

Transparenz im Konzern entscheidend

Zudem krankt es offenbar an Transparenz, wie der Thyssenkrupp-Standort im Bergischen Land zeigt. „Der Beschluss zur Schließung des Werkes in Remscheid auf Aufsichtsratsebene erfolgte lediglich als Umlaufbeschluss per Mail und Brief. Dazu konnten die ­Aufsichtratsmitglieder auf der Arbeitnehmervertreterebene kaum bis gar keine Stellung beziehen, weil sie vor vollendete Tatsachen gestellt wurden“, kritisiert Serdar Üyüklüer von der IG-Metall Remscheid-Solingen.

„Des Weiteren war die Entscheidung zur Werksschließung überraschend. Die Betriebsräte wurden zeitgleich mit den Beschäftigten über das beschlossene Vorhaben der Werksschließung informiert“, so Üyüklüer weiter. „Wir hatten keine Chance, die Maßnahmen zu verstehen, konnten nicht konstruktiv beraten, konnten kaum Gegenvorschläge zum Erhalt des Werks ausarbeiten. Das ist keine vertrauensvolle respektvolle Zusammenarbeit.“

Betriebsrat empfindet Kampagne als „Ohrfeige“

Überdies seien vom Arbeitgeber Abfindungen anvisiert, die der Betriebsrat als „Ohrfeige“ empfände; eine Kampagne wie die aktuelle #GENERATIONTK sei daher „realitätsfern“, so Üyüklüer. „Die Mitarbeiter finden sich bei Thyssenkrupp nicht wieder, die Menschen im Unternehmen sind längst nur noch Nummern“, sagt der Geschäftsführer der IG-Metall Remscheid-Solingen. „Von einem Wir-Gefühl kann bei uns keine Rede sein, dafür bräuchte es eine Botschaft vom Konzern, die nicht zynisch wirkt, weil sie dem entgegensteht, wie das Unternehmen in Wahrheit handelt.“

1 Minute und 16 Sekunden dauert der neue Thyssenkrupp-Imagefilm #GENERATIONTK. Zur Mitte des Videos hin verspeist ein Stahlarbeiter einen dicken Donut, der Sprecher aus dem Off untermalt die Szene mit der Parole: „Egal was kommt, wir beißen uns durch. Nur, wer sich streckt, kann über sich hinauswachsen, Stürmen trotzen und daraus Rückenwind gewinnen.“

Almut Steinecke (ASt, Jahrgang 1972) war von 2021 bis 2022 Autorin bei der absatzwirtschaft. In ihrer Freizeit engagierte sie sich ehrenamtlich in einem Tierheim, in der evangelisch-lutherischen Kirche im Rheinland sowie im sozialen Dienst eines Pflegeheim der Arbeiterwohlfahrt für Menschen mit Demenz.