Arbeitswelt: neue Freiheiten und Homeoffice-Blues

In den vergangenen Monaten sind viele Vorstellungen von einer neuen Arbeitswelt nach der Corona-Pandemie entstanden. Jetzt zeigt sich langsam, was sich durch die Krise dauerhaft verändern wird, was dafür noch zu tun ist und wo die alte Realität ein Stück weit zurückkehrt.
"Für die Führungskultur gilt: Wenn kein Vertrauen in Präsenz vorherrscht, dann ist es auch nicht im Homeoffice da." (© Unsplash/Luca Bravo)

Mit dem Ende der Homeoffice-Pflicht für Unternehmen stellt sich die Frage, welche Veränderungen der Arbeitswelt nach der Pandemie bleiben werden. Die Deutschen werden dabei wohl von widerstrebenden Gefühlen geplagt, das geht zumindest aus zwei Erhebungen des Umfrageinstituts Yougov hervor. Zwar sprechen sich fast zwei Drittel für eine weiterführende Option auf Homeoffice in bestimmten Branchen aus, aber Videokonferenzen will nach dem Ende der Pandemie nur noch jeder Dritte regelmäßig nutzen.

Aus Sicht der Arbeitspsychologin Silke Weisweiler von der Ludwig-Maximilians-Universität München stellen sich die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter die Frage: „Wann habe ich früher zum Telefon gegriffen und wann habe ich mich persönlich getroffen?“ Videokonferenzen haben diese Trennung aus ihrer Sicht verwischt und es besteht der Wunsch, beides wieder voneinander abzugrenzen. Daneben hat sie den Eindruck, „dass die Leute müde davon sind, ständig beobachtet zu werden“. In einem Workshop habe ein Teilnehmer kürzlich beklagt: „Wenn ich in einem Meeting bin, dann hat mich ja auch früher nicht jeder ständig beobachtet.“ Genau dieses Gefühl entstehe jedoch in einer Videokonferenz.

Homeoffice gefährdet soziale Eingebundenheit im Unternehmen

Trotzdem sieht die Expertin für Personalmanagement auch Vorteile: „Ein großes Pro beim Homeoffice ist die Flexibilität für die Arbeitnehmer bei der Örtlichkeit. Der Arbeitsweg fällt weg, vor allem für Familien mit Kindern ist das praktisch.“ Doch vor allem für neue Mitarbeiter könne es schwer werden, sich in die Gruppendynamik am Arbeitsplatz einzuordnen. Genauso bestehe das Risiko, dass Arbeitnehmer, die schon länger dabei sind, in eine schleichende Isolation geraten. Insgesamt sieht Weisweiler die soziale Eingebundenheit im Unternehmen in Gefahr. Die Chefetage sollte das im Blick behalten: „Führungskräfte müssen entscheiden, wann Präsenz sinnvoll ist und wann nicht.“

Dass dennoch eine Rückkehr zu einer Arbeitswelt wie vor der Pandemie in bestimmten Branchen unwahrscheinlich ist, bestätigt die Deutsche Bank. In einer konzerninternen Umfrage habe die überwiegende Mehrheit angegeben, dass sie künftig zwischen einem und drei Tagen in der Woche von zu Hause arbeiten will hieß es auf Anfrage. Derzeit laufen die Beratungen mit dem Betriebsrat, wie dieses „hybride Arbeiten“ umgesetzt werden soll. Auch die Führungskultur will das Bankhaus anpassen, den Angaben zufolge sollen die Führungskräfte hierbei mit Lernmodulen unterstützt werden.

Homeoffice und das Führen aus der Ferne

Die Notwendigkeit hierzu sieht auch Weisweiler: „Aus meiner Sicht sind Führungskräfte nicht gut auf das Führen aus der Ferne vorbereitet“, auch sie plädiert für Weiterbildungen und auch für Selbstkritik. Besonders das Vertrauen in die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sei wichtig: „Für die Führungskultur gilt: Wenn kein Vertrauen in Präsenz vorherrscht, dann ist es auch nicht im Homeoffice da. Ohne Vertrauen funktioniert das nicht, das hat auch Auswirkungen auf die Leistung.“

Ein Mangel könne weitreichende Folgen haben: Es sei erwiesen, dass mehr Fehler passieren, wenn Mitarbeiter das Gefühl haben, kontrolliert zu werden.

Allianz plant „New Work Model

Auch der Versicherungskonzern Allianz propagiert für die Zeit nach der Pandemie ein „New Work Model“, gibt sich aber bewusst selbstkritisch. Fernarbeit werde auf vorproduzierten Fotos „oft idealisiert“, heißt es auf einer Infoseite. „Die Realität sieht jedoch anders aus.“

Unter anderem mit dem Thema Privatsphäre müsse man sich hierbei sorgfältig auseinandersetzen. Dass dies ein wichtiges Thema ist, bestätigt Silke Weisweiler auch aus dem Kontakt zu ihren Studierenden. Diese stellen sich ihr zufolge in Vorlesungen die ganz praktische Frage: „Wieso soll ich die Kamera in meinem privaten Umfeld anmachen?“ Hier will man der Psychologin zufolge nicht ständig gesehen werden.

Dienstleistungen und Beratung werden digitaler

Doch es gab besonders zu Beginn der Pandemie nicht nur die Erwartung, dass sich die interne Organisation von Unternehmen dauerhaft verändern wird. Auch Dienstleistungen wie Wartung und Beratung sollten in Zukunft vermehrt digital stattfinden. Eindrückliches Zeugnis dessen waren die Kurssprünge an der Börse, die Anbieter von Videotelefonie- und anderen Fernwartungs-Diensten in immer neue Höhen trieben.

Doch die Hoffnungen auf dauerhafte Popularität könnten nicht nur durch die Rückkehr ins Büro gedämpft werden. Laut den Umfrage-Ergebnissen von Yougov wollen nur acht Prozent der Deutschen nach dem Ende der Pandemie weiterhin regelmäßig Beratungsangebote per Videochat nutzen. Auch Fort- und Weiterbildungen will die überwältigende Mehrheit lieber wieder in der analogen Welt besuchen.

Von Sebastian Schug, dpa