Was erwartet die Zielgruppe 50+?  

Fast zwei Drittel der über 50-Jährigen fühlen sich von der Werbeansprache der Marken nicht repräsentiert. Die Unternehmen vergeben eine Chance, denn die Zielgruppe ist sowohl trendbewusst als auch finanzstark.
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Europa Bendig ist Co-Geschäftsführerin Sturm und Drang. Sie blickt mit ihrer Hamburger Research- und Transformations-Agentur auf die Welt im Wandel. (© Privat, Montage: Olaf Heß)

KI ist eine großartige Gelegenheit? Na klar! Ich hätte da aber noch eine, die weniger im Trend, aber viel naheliegender ist: die Zielgruppe 50+, also die finanzstarken 50 Prozent der deutschen Bevölkerung. Die Werbung zeigt sie uns als eine homogene Gruppe von Heteropaaren in heller Freizeitkleidung, ihr weißes Lächeln von weißem Haar umrahmt. Flankiert werden diese Bilder nicht selten von Produktclaims gegen Falten, Inkontinenz oder Erektionsstörungen. In der Werbe-Realität sind alle über 50-Jährigen in Rente, weiß, heterosexuell und sie nehmen ihre Gesundheitsprobleme Daumen-hoch-aktiv-gut-gelaunt. Aha?! 

Eine anderer Teil der 50+-Bevölkerung scheint eine Mischung aus Punkclowns und Ötzis zu sein, für sie soll offenbar „je oller, je doller“ gelten. Man findet eine Ansammlung wilder Bärte, gefärbter Haare und irrer Kostümierungen in provokanten Posen. Oh really?!  

Frauen über 50 empfinden sich als unsichtbar

Einer Studie von Gransnet zufolge fühlen sich 60 Prozent der Menschen über 50 von der Ansprache der Marken nicht repräsentiert. Und Frauen der Altersgruppen zwischen 50 und 65 empfinden sich regelrecht als unsichtbar. Wie kommt es zu dieser vergebenen Werbechance? Vielleicht, weil nur 6 Prozent der Werber in Deutschland über 50 Jahre alt sind. Und die sind laut der Studie zudem fast alle männlich. Es ist einfach schwer, etwas zu erzählen, was man nicht erlebt hat.  

Ageismus ist die Diskriminierung von Menschen aufgrund negativer und unzutreffender Stereotypen in Bezug auf ihr Alter – und so tief in unserer jugendaffinen Kultur verankert, dass wir es häufig gar nicht bemerken. Unsere sozialen Vorurteile sind hier sehr mächtig.  

In Deutschland umfasst die Zielgruppe 50+ circa 30 Millionen Menschen. Sie sind oft trendbewusst, produktiv, vernetzt, sehr finanzstark und (jaaa!) technikaffin. Die Hälfte der Eltern zwischen 50 und 60 Jahren hat noch einen Teen oder Twen im Haus. Und nirgendwo findet man mehr generationsübergreifendes „reverse Mentoring“ als in Familien.  

Skepsis gegenüber oberflächlichen Markenversprechen

Die Altersgruppe 50+ ist selbstverständlich keine „Zielgruppe“. Denn dafür sind die Mindsets, Lebensphasen, Überzeugungen und Entscheidungstreiber der über 50-Jährigen viel zu heterogen. Doch eins haben sie bei allen Unterschieden dann doch gemeinsam: Sie sind skeptisch gegenüber oberflächlichen Markenversprechen. Markengeschichten sollten eine Evolution beinhalten und sich auf die Vergangenheit beziehen sowie gleichzeitig in die Zukunft weisen, wie bei der VW-Kampagne „Father and Sun“. Sie sollten Erfahrungswissen voraussetzen, wie die FAZ-Kampagne „Kluge Köpfe“. Außerdem sollten sie Humor beinhalten und auf Lebensphasen verweisen, wie der Ikea-Spot „Farewell“.  
 
Sie finden 50+ immer noch nicht so sexy wie KI? Dann möchte ich Chat GPT-4 zitieren: „Age and AI are both sexy for brands due to their respective offerings of rich wisdom and innovative intelligence, growing with experience.“ 

Europa Bendig ist Co-Geschäftsführerin der Hamburger Research- und Transformations-Agentur Sturm und Drang. Ihr Spezialgebiet ist die Erforschung von kulturellen Codes und Narrativen, die Marken und Portfolios kulturelle Relevanz geben und Kundenbindung schaffen. Aktuell widmet sie sich in Forschung und Vermittlung vor allem den Themen Gesundheit und Nachhaltigkeit.