Neues gegen die Markenpiraterie aus Brüssel

Die Produktpiraterie in der EU nimmt erheblich zu. Brüssel antwortet jetzt mit umfassenderen Rechten für Markeninhaber.

Der Weg zur erfolgreichen Marke ist steinig und finanziell mit hohen Investitionen verbunden. Auf die Gewinner des Marken-Award 2003 „Cremissimo“, „Rigo“ und „Mini“ trifft dies nicht weniger zu als auf die Markenwert-Weltmeisterin „Coca-Cola“, deren Wert von der Business Week aktuell auf 70,45 Milliarden Dollar geschätzt wird. Bei Produkteinführungen analysieren Marketingstrategen akribisch Märkte auf der Suche nach der richtigen Markenstrategie und versuchen, mit den Marken durch aufwendige Werbekampagnen Sympathiewerte zu besetzen. Bestehende Marken müssen mit ähnlichem Aufwand am Puls der Zeit gehalten werden. Zunehmende positive Bekanntheit verspricht hohe Marktanteile.

Doch mit zunehmender Bekanntheit entsteht eine oftmals nicht einkalkulierte Konkurrenz. Erfolgreiche Marken werden kopiert, nachgeahmt und gefälscht. Innerhalb der EU ist gemäß der EU-Kommission in den letzten drei Jahren ein Anstieg von Fälschungen um das Neunfache zu verzeichnen. Allein auf den klassischen Fälschungsmärkten wie Bekleidung, Datenträger & Software, Accessoires sowie Uhren & Schmuck entstehen der Markenindustrie Schäden in Milliardenhöhe. Neuerdings machen die Fälscher auch nicht mehr Halt vor sicherheitssensiblen Produkten wie Nahrungsmitteln, Medikamenten oder Autorersatzteilen. Durch die Verbreitung der minderwertigen Fälschungsware wird nicht nur der Absatz der Originalware, sondern auch der gute Ruf einer Marke beeinträchtigt. Ohne eine umfassende Strategie zur Bekämpfung der Produktpiraterie drohen auf diese Weise hart erkämpfte Marktanteile wieder verloren zu gehen.

Bekämfung der Piraterie schon heute möglich

Die erhebliche Zunahme der Markenpiraterie hat den Europäischen Gesetzgeber in Brüssel auf den Plan gerufen. Zwei Gesetzgebungsvorhaben widmen sich dem Phänomen Produktpiraterie. Mit einer bereits verabschiedeten neuen Grenzbeschlagnahmeverordnung soll die Einfuhr verdächtiger Ware in die EU weiter erschwert werden. Darüber hinaus soll mit dem Vorschlag der Kommission einer Richtlinie zur Bekämpfung von Produktpiraterie und Nachahmung den Schutzrechtsinhabern die Durchsetzung ihrer Rechte im Verletzungsfall erleichtert werden. Was viele nicht wissen – bereits jetzt kann sich das Rüstzeug zur Bekämpfung der Produktpiraterie sehen lassen. Dem Markeninhaber stehen effektive Mittel zur Bekämpfung von Produktpiraterie zur Verfügung. Die neuen Europäischen Rechtsakte werden zusätzliche Verbesserungen bringen.

Nach wie vor dringt die große Masse der Piraterieware von außerhalb in die EU oder Deutschland auf den Markt. Thailand, Tschechien und China rangieren als Fälschungsländer ganz vorne. Mit Hilfe des Grenzbeschlagnahmeverfahrens kann schutzrechtsverletzende Ware frühzeitig aus dem Verkehr gezogen werden. Ein Antrag des Markeninhabers genügt und die Zollstellen sind ermächtigt, im Verdachtsfall schutzrechtsverletzende Ware vorübergehend zurückzuhalten. Der Antragsteller wird informiert und kann die Echtheit der Ware beurteilen. Auf Basis dieser Beurteilung wird über die endgültige Beschlagnahme entschieden. Am Ende des Verfahrens steht meist die Vernichtung der gefälschten Ware. Im Gegensatz zur noch geltenden Rechtslage wird der Grenzbeschlagnahmeantrag nach der ab 1. Juli 2004 geltenden Verordnung gebührenfrei sein. Auch das Erfordernis einer Bankbürgschaft zur Sicherung etwaiger Regressansprüche bei einer irrtümlichen Beschlagnahme wird zugunsten einer Kostenübernahmeerklärung ersetzt. Das Verfahren wird damit noch unbürokratischer.

Führende Markenartikler fangen Ware bereits an der Grenze ab

Der Kreis derjenigen Unternehmen, die einen Grenzbeschlagnahmeantrag gestellt haben, ist erlesen. Vertreten ist das „who is who“ führender Markenhersteller. Nicht verwunderlich ist, dass auch BMW, Inhaberin der Gewinnermarke „Mini“ des Marken-Award 2003 für den besten Markenrelaunch, zu diesem Kreis gehört. Die neue Grenzbeschlagnahmeverordnung wird weitere Hersteller von Markenware dazu veranlassen, der Produktpiraterie den Kampf anzusagen.

Die zweite Neuerung, der Vorschlag der Kommission einer Richtlinie zur Bekämpfung von Produktpiraterie und Nachahmung, vereinfacht den Kampf gegen Piraterieware, die bereits über die Grenze in den EU-Wirtschaftskreislauf gelangt ist. Auch hier stehen bereits nach geltendem Recht umfassende Schutzmöglichkeiten zur Verfügung. Gerichtliche Unterlassungsverfügungen, umfassende Auskunftsansprüche insbesondere hinsichtlich der Lieferanten und der mit Piraterieware erzielten Gewinne sowie Schadensersatzansprüche können geltend gemacht werden. Besteht allein der Verdacht des Umlaufs von Fälschungen, ohne dass der Schutzrechtsverletzer beispielsweise durch einen Testkauf ermittelt werden konnte, scheitern diese Ansprüche aber häufig an der Beweislage. In diesen Fällen hat sich ein zusätzliches strafrechtliches Vorgehen als hilfreich erwiesen. Zwar werden viele Strafverfahren von der Staatsanwaltschaft wieder eingestellt. Die Strafverfolgungsbehörden können jedoch schon bei einem Anfangsverdacht ermitteln und gelagerte Ware gegebenenfalls beschlagnahmen. Mit den Erkenntnissen aus dem strafrechtlichen Ermittlungsverfahren kann die Rechtsverletzung im Zivilverfahren meist leicht nachgewiesen werden.

Schadenersatzansprüche können über den Kosten der Rechtsverfolgung liegen

Die Abhängigkeit des Markeninhabers und seiner Berater von den Strafverfolgungsbehörden wird jedoch durch die geplante Richtlinie zur Bekämpfung von Produktpiraterie und Nachahmung abnehmen. So ist beispielsweise vorgesehen, dass durch gerichtliche Anordnung bereits vor Einleitung eines Verfahrens ohne Anhörung der Gegenseite Beweismittel beschlagnahmt werden können. Besteht die Gefahr der Vereitelung einer Schadensersatzforderung, soll sogar die Sperrung von Bankkonten sowie die Beschlagnahme von Bank-, Finanz- oder Handelsunterlagen möglich sein. Auskünfte über den Vertriebsweg nachgeahmter Ware sollen im Regelfall nicht erst im langwierigen Klageverfahren, sondern bereits im vorläufigen Rechtsschutz erlangt werden können. Bisher war dies nur bei einer offensichtlichen Rechtsverletzung möglich.

Eine bemerkenswerte Veränderung wird es beim Schadensersatz geben. Schon jetzt kann der Rechtsinhaber bereits häufig durch die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen Zahlungen realisieren, welche die Kosten der Rechtsverfolgung deutlich übersteigen. Dies wird ermöglicht durch das Recht des Schutzrechtsinhabers, bei der Berechnung des Schadensersatzes zu wählen, ob er den eigenen Schaden gelten macht, den Gewinn des Verletzers abschöpft oder eine marktübliche Lizenzgebühr verlangt. Der EU-Richtlinienentwurf sieht nunmehr eine Lizenzgebühr in Höhe des doppelten marktüblichen Lizenzsatzes als Schadensersatz vor. Damit würde der Schutzrechtsinhaber künftig noch schneller und umfangreicher Schadensersatz verlangen können.

Der Verlust von Marktanteilen und die Beeinträchtigung des guten Rufs durch Produktpiraterie muss also nicht tatenlos hingenommen werden. Zu einer erfolgreichen Markenstrategie gehört deshalb auch die Ausschöpfung der zur Verfügung stehenden rechtlichen Mittel: der Antrag auf Grenzbeschlagnahme, die Einleitung eines strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens sowie die zivilrechtliche Durchsetzung der Ansprüche auf Unterlassung, Auskunft und Schadensersatz. Zwar gibt es noch keinen Marken-Award in der Kategorie „Bester Markenschutz“. Der Erhalt von Marktanteilen und des guten Rufes der Marke sowie die Realisierung umfassenden Schadenersatzes können darüber aber leicht hinwegtrösten.


Autor: Dr. Sönke Ahrens ist Partner der internationalen Rechtsanwaltskanzlei Lovells.
eingestellt am 17. Dezember 2003