Kommentar zum Nutri-Score: Marken müssen Farbe bekennen

Nach langem Streit über eine Extra-Kennzeichnung für Zucker, Fett und Salz hat sich das farbige Logo Nutri-Score durchgesetzt. Es kann zu einer Verhaltensänderung der Verbraucher beitragen und auch manche Markenartikelhersteller über ihre Strategie nachdenken lassen, ist Accenture-Berater Alexander Holst überzeugt.
Bundesernährungsministerin Julia Klöckner (CDU) bezeichnet die Einführung des Nutri-Score-Logos als "Meilenstein in der Ernährungspolitik". (© Imago)

Von Alexander Holst

Unser Kaufverhalten ist gut erforscht. Sowohl Markenartikelhersteller als auch der Handel kennen unsere Wünsche und Konsumgewohnheiten sehr genau. Trotzdem halten sich in der Diskussion um Verbraucherwünsche Mythen, wie zum Beispiel dass die Deutschen nur „billig“ wollen oder schockierende Bilder auf Tabakverpackungen keinen vom Rauchen abbringen würden. Und auch jetzt bei der Einführung des Nutri-Score-Siegels gibt es Stimmen, die sagen „das bringt nichts“.

Natürlich wird der Nutri-Score die ernährungsbedingten Probleme von 83 Millionen Menschen in diesem Lande nicht sofort und allein lösen. Schon deshalb nicht, weil er noch freiwillig ist. Doch die Anzahl übergewichtiger Menschen zeigt Handlungsbedarf auf. Hier setzt der Nutri-Score an: Er kann die Menschen unterstützen, ihr Konsumverhalten an die persönliche Situation anzupassen. In Frankreich zeigt er bereits seit 2017 erste Erfolge.

Nutri-Score schafft Transparenz

Zudem ist das Thema „Transparenz“ zurzeit das Thema in der Branche und wird heiß diskutiert. Laut der Accenture Strategy-Studie „From me to we – the rise of the purpose-led brand“, sehen 66 Prozent der Kunden Transparenz als eines der wichtigen Kriterien bei der Kaufentscheidung. Der Nutri-Score trägt zu dieser gewünschten Transparenz bei.

Und diese Transparenz erzielt Wirkung, beispielsweise wenn die Kundenerwartungen nicht mit dem Nutri-Score übereinstimmen. Ein Beispiel: Kaum ein Kunde erwartet ein „A“ von einem Marshmallows-Produkt, welches als süßes „Spaßprodukt“ vermarket wird. Aber wenn das Marketing mit Gesundheitsattributen arbeitet – zum Beispiel im Kontext von Frühstückscerealien – und der Nutri-Score dann „E“ zeigt, könnte dies auch Auswirkungen auf das Kaufverhalten der Kunden haben.

Dieser hat dann theoretisch zwei Möglichkeiten: Entweder verändert er seine Wahrnehmung und sagt sich, dass der Gesundheitsaspekt bei diesem Produkt für ihn noch nie wichtig war oder er passt sein Kaufverhalten an. Dies mag – wir alle kennen das von uns selbst – schwierig sein. Aber aufgrund der Bedeutung der persönlichen Gesundheit ist eine solche Veränderung im Kaufverhalten heute für mehr Menschen wahrscheinlich. Die Folge: Der Kunde wird die Menge, die er von diesem Produkt kauft, reduzieren, ein ähnliches Produkt von einer anderen Marke mit besserem Nutri-Score kaufen oder er ersetzt die komplette Produktkategorie gleich mit etwas völlig anderem. Alle drei Reaktionen führen zum Mengenrückrang beim Markenhersteller.

Pull-Faktor im Wettbewerb der Hersteller

Selbst wenn das Produkt noch keinen Nutri-Score hat, dafür der Aufkleber aber bereits auf einem Wettbewerbsprodukt prangt und dieser jetzt nicht „D“ oder „E“ zeigt, könnte dies eine Verhaltensveränderung auslösen – dies wäre dann der „Pull-Faktor“ des Nutri-Scores.

„Bequemer“ wird es für den Kunden damit am Ende nicht, insbesondere wenn lieb gewonnene Produkte, die gegebenenfalls sogar regional, bio oder fair sind, einen schlechten Nutri-Score aufzeigen. Doch das ist die Konsequenz von einem Mehr an Wissen und der Freiheit selbst entscheiden zu dürfen.

Alexander Holst ist Nachhaltigkeits-Experte und Leiter Sustainability von Accenture Strategy in Deutschland, Österreich und der Schweiz. ©Accenture

Lesen Sie die besten Sprüche zum Nutri-Score Sie in der kommenden Print-Ausgabe 11/2019 der absatzwirtschaft, die am 25. Oktober erscheint. Ein kostenloses Probeabo können Sie hier bestellen.

absatzwirtschaft Archiv: Lebensmittelkennzeichnung