Eat The Rich

Die Gen Z setzt andere Prioritäten als die Millennials und Babyboomer. Was das für Werbetreibende und Marketingexperten bedeutet, erklärt Dora Orsinde in ihrem Gastbeitrag.
Dora Osinde ist Chief Creative Officer bei der Kreativagentur Ogilvy Germany. (© Katja Kuhl (Montage: Olaf Heß))

Die Influencerin Diana zur Löwen postet im Dezember 2022 auf TikTok für sie ganz normalen Content. Es geht um ihre Wohnung. Genau genommen: Um den Kauf ihrer Wohnung und welche Fehler sie beim nächsten Mal vermeiden würde. Kritik ist in ihrer Kommentarspalte nichts Ungewöhnliches, nur diesmal sind es nicht die „üblichen“ misogynen Kommentare über ihr Aussehen oder ihre Art, sondern ihre Audience kommt nicht mehr mit.

Die Vorstellung, sich überhaupt eine Eigentumswohnung leisten zu können, liegt für viele nicht nur außerhalb ihrer Lebensrealität – die Zuschauer*innen wundern sich auch, warum Diana nicht klar ist, dass sie der Gen Z so lebensfremde Tipps gibt. Gleichzeitig gehen Influencer*innen, die ganz ohne Zurschaustellung von Reichtum auskommen oder die sich sogar über Vielverdiener lustig machen, auf TikTok viral, wie beispielsweise shabazsays.

Grund genug, etwas tiefer in das Thema einzusteigen.

Es ist Schluss mit höher, schneller, weiter…

In Film und Fernsehen beschäftigen sich viele Neuerscheinungen mit einem ähnlichen Narrativ. In „The Menu“ hat es ein Sternekoch auf seine superreichen Gäste abgesehen, in der neuen Staffel „YOU“ treibt plötzlich ein „Eat The Rich Killer“ sein Unwesen und der Spielfilm „Triangle of Sadness“ solidarisiert sich mit dem Servicepersonal auf einer Kreuzfahrt für Superreiche.

Über die Pandemie und die „Great Resignation“ entwickelten sich Megatrends, die junge Menschen mit mehr Bewusstsein Fragen stellen lassen, wie viel Arbeit, wie viel Geld, wie viel Performance-Druck muss überhaupt sein. „Rest als Resistance“ wird zum Thema vieler Aktivistin*innen. Scheinbar ist Schluss mit höher, schneller, weiter. Die Gen Z macht freitags lieber früher Feierabend oder trifft sich bei Fridays For Future.

Aber wie ist die Faktenlage? Hat die Gen Z wirklich so eine andere Lebensrealität als ihre Elterngeneration? Und was bedeutet das für unsere Branche?

Die Mittelschicht schrumpft

Der Stern beschäftigte sich bereits 2019 mit dem Thema und untersuchte mit Hilfe der Studie “Under Pressure, the Sqeezed Middle Class”, wer von den 20- bis 29-Jährigen in großen Industrienationen zur Mittelschicht gehört. Mittelschicht bedeutet in diesem Fall ein Einkommen zwischen 75 und 200 Prozent des nationalen Durchschnittseinkommens. In Deutschland sind das 1.700 Euro monatlich. Es wird deutlich: Millennials und Gen Z verdienen nicht mehr als ihre Eltern, haben aber höhere Ausgaben.

Waren es bei den Babyboomern noch 70 Prozent, die zur Mittelschicht gehörten, sind es bei den Millennials nur noch 60 Prozent und entsprechend weniger bei der Gen Z. Das heißt, teure Autos, Eigenheime und all diese Dinge rücken in immer weitere Ferne. Scheinen allerdings auch nicht Teil der Lebensvision der Gen Z zu sein. „Mein Haus, mein Auto, mein Boot“ war gestern.

Als Werbetreibende und Marketingmenschen müssen wir jetzt also genau überlegen, wie wir in Zukunft unsere Themen platzieren. Wie zeigen wir unsere Produkte oder unsere Marken? Mit welchen Testimonials und Influencer*innen arbeiten wir? Wie gehen wir mit unserer Verantwortung um? Meta und die Studie „I LOVE UGLY“ lassen uns recht deutlich wissen: Die Gen Z hat „Perfection Fatigue“. Sie wollen keine polierten Spots und Supermodels mehr. Sie klicken sogar 80 Prozent lieber auf Clips, die mit dem Smartphone gefilmt sind.

Wie immer gilt also: „Only Creativity Can Save Us.“ Große Ideen aus kleinen Budgets und das richtige Zusammenspiel von Tech und Mensch. Ideen, die sich den großen Themen dieser Welt stellen, können nur aus Kollaboration, Diversität und einem Verständnis der Lebensrealität der Zielgruppe kommen.