Die Welt der Agenturen war schon immer eine andere

Denken wir uns für einen Moment in eine Welt voller Experimentierfreude und Innovationsgeist. Wo die Aufrichtigen und Andersdenkenden jeden Tag gestalten.
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Franziska Duerl ist GWA-Vorständin und Strategiechefin bei Jung von Matt. (© Jung von Matt, Montage: Olaf Heß)

Schon immer war die Agenturenwelt ein Ort des anderen Arbeitens. Hier versammelten sich Menschen mit Leidenschaft, die Dinge neu denken wollten. Alles war möglich, solange es genial gedacht war.  

Auch heute weht dieser Spirit durch die Flure der Agenturen. Auch heute noch versuchen wir so ein Umfeld zu schaffen. Doch die Welt tickt komplexer, wodurch wir häufig nur reaktiv agieren. Es gibt deutlich mehr Disziplinen und Rollen, wodurch Kollaboration zur täglichen Herausforderung wird. Und Agentur-Kunden-Beziehungen leiden immer wieder unter einer fragmentierten Aufgabenlandschaft, einer hohen Taktung und teils toxischen Pitch-Kulturen. 

Mix zweier wegweisender Ansätze

Inspiriert von Ed Catmulls Buch „Creativity, Inc.“ und dem einzigartigen Ökosystem, das Catmull und seine Kolleg*innen bei Pixar geschaffen haben, begreifen Agenturen in dieser Welt, dass großartige Teams wichtiger sind als großartige Ideen. So sagt Catmull: „Gib eine gute Idee einem mittelmäßigen Team, und sie werden es vermasseln. Aber gib eine mittelmäßige Idee einem großartigen Team, und sie werden sie entweder verbessern oder mit etwas Besserem aufwarten.“ In dieser Welt sind Menschen wichtiger als Ideen oder Prozesse. Sie gestalten ein kreatives Umfeld mit fruchtbarem Boden für Ideen, die das Potenzial haben, die Welt zu verändern.  

Hier erreicht die Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Disziplinen ein neues Höchstmaß. Fehler werden immer von Teams gemacht, niemals von Individuen. Als Teile eines iterativen Prozesses verhelfen sie zum Erfolg. Es besteht eine harmonische Wechselwirkung zwischen Mitarbeitenden und ihren Vorgesetzten: Lernen, statt nur liefern. Fördern, statt nur fordern. In dieser Welt sind Mitarbeitende nicht nur Personal; sie sind Visionär*innen, Kunstschaffende und Innovator*innen.  

Persönliche Fürsorge und direktes Herausfordern

Ziehen wir eine weitere Arbeit hinzu, nämlich Kim Scotts „Radical Candor“. Für Scott ruht eine robuste Führungskultur auf zwei Säulen: persönliche Fürsorge und direktes Herausfordern. Ohne die Verbindung von beidem gerät das Gleichgewicht ins Wanken. Wenn Herausforderung ohne persönliche Fürsorge entsteht, driftet sie in abstruse Aggression ab. Wenn die Fürsorge ohne Herausforderung gedeiht, betritt sie das Reich der ruinösen Empathie. Und wenn beides fehlt, gerät man in manipulative Unehrlichkeit. 

Scotts Philosophie zur Kommunikation findet in dieser idealen Welt tiefgreifende Anwendung: „Die Kommunikationsstruktur eines Unternehmens sollte nicht das Organisationsgefüge widerspiegeln. Jeder sollte in der Lage sein, mit jedem zu sprechen.“ Hier gibt es keine Kommunikationsbarrieren. Und keine Führungskraft, die in ihrem Team Ehrlichkeit als Grundlage jeden Austauschs schätzt und zulässt, wird hierfür Kontrolle und Respekt opfern müssen. 

Kein Raum für toxische Pitchkulturen 

Kunden sind nicht nur Kunden; sie sind Weggefährten auf einer gemeinsamen Reise. Hier ist kein Raum für toxische Pitchkulturen und One-Way-Kommandos. Es ist eine Welt, in der beide Seiten ermutigt werden, Erwartungen transparent und realistisch zu äußern, eine Welt, in der Probleme gemeinsam angegangen und effektiv gelöst werden. 

In dieser Welt kann die Kreativität in ihrer reinsten Form ungehindert fließen. Wenn „Creativity, Inc.“ auf „Radical Candor“ trifft, entsteht eine Welt, die uns an das ungeheure Potenzial erinnert, das unsere Branche zutage führen kann. 

Franziska Duerl ist GWA Vorständin und Strategiechefin bei Jung von Matt. Die Kolumnistin schreibt bei uns im Wechsel mit Larissa Pohl und Roland Bös über Kollaborationen von Agenturen und Kunden.