Die Markenlektion 2023: Was man von der KI lernen kann  

PC, Digitalkamera, iPod: Alle großen technologischen Innovationen brauchten zunächst eine konkrete Schlüsselanwendung, bevor sie ihren Durchbruch erlebten. Die KI hat eine solche Killer-Applikation gefunden, das Metaversum sucht noch. 
Michael Brandtner
Michael Brandtner ist Österreichs führender Markenpositionierungsexperte und Lead Partner of Ries Global. (© Ries Global)

Vor etwas mehr als einem Jahr standen zwei digitale Megathemen im Raum, nämlich das Metaversum und die KI. Damals hatte das Metaversum in den Medien und vor allem auch bei den Entscheidern im Management und im Marketing einen klaren Vorsprung in der Wahrnehmung.  

Dies hatte unter anderem drei Gründe: Mark Zuckerberg taufte bereits im November 2021 den Facebook-Konzern sehr medienwirksam in Meta um.  (Bereits zuvor hatte er im Juli 2021 das Metaversum zum digitalen Zukunftsthema Nr. 1 erklärt.) NFTs (Non-Fungible Token) waren ein heißes, wenn auch teilweise sehr spekulatives und auch umstrittenes Thema. Und zusätzlich gab es unzählige Studien und Papers großer und kleinerer Unternehmensberatungen, die das Metaversum als das eine disruptive Geschäftsmodell und folglich Milliardengeschäft für die Zukunft anpriesen.  Damals stand die KI ganz klar im Schatten des Metaversums. Heute steht das Metaversum im Schatten der KI. 

Die Macht der Schlüsselanwendung 

Damit sind wir bei einem wichtigen Punkt aus strategischer Sicht. Gerade bei sogenannten disruptiven Mega-Innovationen, die als das eine Zukunftsthema angepriesen werden, braucht es eine Initialzündung. Dabei ist oft eine „kleine“ Schlüsselanwendung oder Killer-Applikation entscheidend, die der großen Innovation echtes Leben einhaucht. Diese Killer-Applikation für die KI wurde am 30. November 2022 der Öffentlichkeit kostenfrei zugänglich gemacht. Die Rede ist natürlich von ChatGPT von OpenAI

Damit war die KI auf einmal nicht nur ein Zukunftsthema, sondern hatte eine konkrete Anwendung. Alleine in den ersten fünf Tagen meldeten sich über eine Million Nutzer bei ChatGPT an. Im Januar 2023 war die Zahl der Anwender bereits auf über 100 Millionen angestiegen. Aktuell sind es um die 180 Millionen und die KI ist als das bestimmende Megathema nicht mehr wegzudenken.  

Das belegt auch das aktuelle CMO-Barometer von Serviceplan für die DACH-Region. Beim Punkt „Top-Thema für das Marketingjahr 2024“ liegt die KI mit 32 Prozent klar vor Nachhaltigkeit (11 Prozent), Digitalisierung (6 Prozent) sowie Marketingautomation, Inflation und Personalisierung (jeweils 3 Prozent). Bei den „wichtigen Marketingtrends für 2024“ rangiert auch „KI, Machine Learning & Marketingautomatisierung“ auf Platz 1 vor „Emotional Brand Building“, „Content Creation“, „Journey Management & Personalisierung“, „Sustainibility“, „Omnichannel-Marketing“ und „Data-based Marketing“. Während „KI, Machine Learning & Marketingautomatisierung“ mit 51 Prozent Zustimmung als sehr wichtig angesehen werden, liegt diese bei „Metaverse, NFTs & Co“ nur bei mageren 5 Prozent. 

Aus der Geschichte lernen 

Wie wichtig die sogenannten Killer-Applikation oder auch Schlüsselanwendungen für disruptive Innovationen sind, zeigt auch ein Blick in die Geschichte. Nehmen Sie etwa den PC, der wahrscheinlich die wichtigste Produktinnovation des 20. Jahrhunderts war. Für diesen war die Tabellenkalkulation, vor allem Lotus 1-2-3, die eine Schlüsselanwendung. Sie hat den PC zu Beginn der 1980er Jahre in der Geschäftswelt etabliert und so gut wie unverzichtbar gemacht. Das war die Basis für den Durchbruch und damit auch für den weiteren globalen Erfolg des Personal Computers. 

Was die Tabellenkalkulation für den PC war, war die Pressefotografie für die Digitalkamera: die erste Massenanwendung in der digitalen Fotografie und damit der endgültige Startschuss für immer bessere Digitalkameras mit immer höheren Bildauflösungen. War für die Hobby- und auch die meisten Profifotografen zu Beginn der 1990er Jahre die schlechte Bildqualität der meisten Digitalkameras noch ein echtes Kaufhemmnis, überwogen für die Pressefotografen klar die digitalen Vorteile, nämlich dass man sehr schnell sehr viele Fotos ohne Film machen und diese ohne Entwickeln sofort digital übermitteln und weiterverarbeiten konnte. 

Ein drittes Beispiel ist der iPod, den der damalige Apple-CEO Steve Jobs 2001 als ersten MP3-Player mit Harddisc und dem Slogan „1000 songs in your pocket“ der Welt präsentierte. Der wahre Durchbruch der digitalen Musikverkäufe und damit des iPods erfolgte erst, als Jobs am 28. April 2003 den „iTunes Music Store“ vorstellte. Apple bot so als erstes Unternehmen Musik legal zum Download an. Zum Start standen damals „nur“ 200.000 Titel zur Verfügung.  

Große Ideen, konkrete Anwendungen 

Die Medien, Trendforscher und die Wirtschaft, allen voran das Top-Management und deren Beraterstäbe, lieben große Ideen, die nicht nur die Welt, sondern auch Geschäftsmodelle verändern und denen eine milliardenschwere Zukunft vorausgesagt wird. Doch genau bei diesen Innovationen oder Megathemen sollte man immer auch auf konkrete Schlüsselanwendungen achten und diese aktiv suchen. Für die KI ist das ChatGPT, für das Metaversum fehlt sie noch.  

Damit lautet die Markenlektion 2023 schlicht und einfach: „Achten und setzen Sie bei großen Innovationen auch auf eine ganz konkrete Schlüsselanwendung!“