Der Nachschub wird knapp

Kein Segment erreicht Entscheider zielgenauer als die Wirtschaftspresse. Doch zusätzliche Medienkanäle führen zu einem breiteren Budget-Mix. Außerdem disponieren Werbekunden derzeit vorsichtig. Daran haben die Verlage zu knabbern.

Von Roland Karle

Auf die Ergebnisse der Leseranalyse Entscheidungsträger (LAE) warten die Verlage der Wirtschafts- und der überregionalen Medien ähnlich gespannt wie Schüler auf ihre Zeugnisse. Aber so richtig Freude mochte nicht aufkommen dieses Mal, dazu waren die Ergebnisse zu durchwachsen. Die Hälfte der 24 gelisteten Zeitschriften und Zeitungen hat gegenüber dem Vorjahr an Reichweite verloren.

Keine wirkliche Überraschung allerdings, wenn man sich die Entwicklung im Vertrieb betrachtet. So hat unter den Zeitschriften lediglich „Brand eins“ binnen Jahresfrist spürbar zugelegt und im 1. Quartal dieses Jahres mit 65 334 „hart verkauften“ Exemplaren (Einzelhandel plus Abonnement) fast das Niveau des „Manager Magazins“ (70 503) erreicht.

„Brand eins“ (Index 108) ist neben „Börse online“ (109) das einzige Wirtschaftsmagazin, das in der Entscheider-Zielgruppe nennenswert Leser gewonnen hat, während die monatlichen Traditionstitel „Manager Magazin“ (Index 91) und „Capital“ (83) deutlich einbüßten. Was den Blick für die Relationen jedoch nicht vernebeln darf: Beider Reichweite ist mehr als zweieinhalbmal so hoch wie jene von „Brand eins“.

Es ist wie in der Schule: Fleiß und Verbesserungswillen schlagen sich nicht immer direkt im Zeugnis nieder. Das Unternehmermagazin „Impulse“ zum Beispiel hat unter Chefredakteur Nikolaus Förster und seit dem Relaunch vor drei Jahren publizistisch an Profil gewonnen, kämpft aber weiterhin gegen Auflagen- und Reichweitenschwund. Selbst der weithin angesehenen „Wirtschaftswoche“ bescheinigt die aktuelle LAE weniger Leser als ein Jahr zuvor. „Die Wirtschaftspresse verliert nicht an Qualität“, sagt Sebastian Grassmann, Seniorberater Media bei der Agentur Pilot in Hamburg. „Aber die Informationsbeschaffung der Leser findet heute über immer mehr Medienkanäle statt.“

Diese Entwicklung schlägt sich in den erhobenen Reichweiten nieder, ebenso im Anzeigengeschäft. „Die Werbebudgets müssen auf mehrere Kanäle verteilt werden“, ergänzt Grassmann. Die LAE-Daten bestätigen die Einschätzung des Mediaexperten. Zunehmend werden die Onlineausgaben, Smartphone- und Tablet-Applikationen der Wirtschaftstitel angesteuert. Laut Studie haben 28 Prozent der Entscheider innerhalb der vergangenen vier Wochen auf eine der abgefragten Smartphone-Apps zugegriffen, bei den Tablet-Apps sind es 14 Prozent. „Es zeigt sich, dass die gedruckten Medien ihre Kompetenz auch auf den Mobile-Bereich übertragen können“, folgert Pilot-Manager Grassmann.

Er habe zwar mit einer Nutzungszunahme bei den mobilen Angeboten gerechnet, sagt Jan Honsel, Verlagsleiter Gruner + Jahr Wirtschaftsmedien, „doch in dieser Ausprägung haben sie doch überrascht“. Andererseits staunt Jan Kluge, Account Director der Mediaagentur PHD Germany, über „den relativ großen Anteil von 44 Prozent, die mit ihrem Smartphone das Internet nicht nutzen“. Mal wieder eine Frage des Blickwinkels.

Laut LAE haben sämtliche Titel ihre Reichweite im Internet steigern können. Unter den reinen Business-Angeboten wuchs die Zahl der Onlineleser von Wirtschaftswoche.de (plus 65 Prozent) und Handwerk-magazin.de (plus 64 Prozent) am stärksten, Platz eins im Wettbewerb der Wirtschaftstitel verteidigt Handelsblatt.com, das 17 Prozent der Entscheider erreicht.

Von allen Zeitungen ist Sueddeutsche.de die von Entscheidern meistgenutzte (23,5 Prozent), dicht gefolgt von Welt.de (22,3 Prozent) und Faz.net (21,9). Unangefochten die Nummer eins in der Internetrangliste der LAE ist Spiegel.de mit 42,2 Prozent. Bei näherem Hinsehen fällt auf, dass die Rangliste der digitalen Angebote und der gedruckten Titel weitgehend übereinstimmt. Harald Fritzsch, Leiter Marketing Service bei IQ Media Marketing, der Vermarktungstochter der Verlagsgruppe Handelsblatt, stellt fest: „Die starken Printmarken setzen sich auch online durch.“

Während sich die Mediennutzung verschiebt und auf mehrere Kanäle verteilt, gerät die Statik des bisherigen Geschäftsmodells in Schieflage. Sinkende Auflagen ziehen nämlich geringere Vertriebserlöse nach sich, das lässt sich durch höhere Copypreise kaum kompensieren. Hinzu kommt, dass die Werbepreise im Internet noch stärker unter Druck stehen als in Print, die Brutto-netto-Schere klafft noch weiter auseinander. Zugleich ist der Aufwand für die Verlage gestiegen. „Der Großteil der Kampagnen für Entscheider-Zielgruppen ist heute konsequent crossmedial ausgerichtet und bezieht mobile Endgeräte mit ein“, berichtet G+J-Verlagsleiter Jan Honsel. „Daneben suchen Werbungtreibende nach weiteren Kommunikationsformen, um ihre Kunden anzusprechen.“ Gemeinsame Events, Studien oder Entscheiderpanels sind dafür Beispiele. „Das Geschäft wird kleinteiliger“, bestätigt Fritzsch. Die Zielgruppe und die Kommunikationsbotschaft statt die Mediengattung in den Mittelpunkt zu rücken – dieser Trend zeichnet sich bei den Business-Titeln immer stärker ab.

Die wirtschaftliche Grundversorgung garantieren bis auf Weiteres die Anzeigen in den Magazinen und Zeitungen. Da wird allerdings der Nachschub knapp, die Hefte magern ab. Zwischen Januar und Mai 2012 haben beispielsweise das verbraucherorientierte „Guter Rat“ (minus 27 Prozent), die Finanztitel „Börse online“ (minus 21 Prozent) und „Der Aktionär“ (minus 18 Prozent) sowie Klassiker „Manager Magazin“ (minus 18 Prozent) gegenüber dem Vorjahreszeitraum kräftig an Anzeigenumfang eingebüßt. Wolfgang Schuldlos, Inhaber des IWM Institut für Werbeerfolgs-Messung in Kochel am See, überrascht das nicht. „Werbekunden orientieren sich stärker hin zu reaktionsschnellen Medien wie dem Internet“, sagt er. „Außerdem üben sich viele europäische Konzerne in Zurückhaltung bei Imagekampagnen, die traditionell wichtig für die Wirtschaftsmedien sind. Hier fordert die Krise ihren Tribut.“ G+J-Manager Honsel sieht es ähnlich: „Die andauernde Schuldenkrise der Euro-Länder verunsichert viele Werbungtreibende, vor allem aus den Bereichen Anlage-, Finanz- und Versicherungsprodukte.“ Zudem beeinflussen Sportevents wie Fußball-EM und Olympia die Media-selektion zu Lasten der Entscheidermedien. Und: Die Autoindustrie, seit jeher einer der wichtigsten Anzeigenkunden der Wirtschaftspresse, drosselt aufgrund verhaltener Auftragslage ihre Werbeausgaben.

All das verhagelt die Kalkulation der Verlage. Ob auf ein schwaches erstes Halbjahr nun ein besseres zweites folgt oder ob der Kummer bleibt? Eine seriöse Prognose wagt niemand. Sicher scheint nur: „Die Budgets werden noch kurzfristiger freigegeben als bislang schon“, sagt Vermarkter Fritzsch. „Das wird sich so schnell nicht ändern.“

Printwerbung kehrt zurück

Das Gespräch führte Roland Karle

Frank B. Werner, Geschäftsführer Finanzen Verlag, über enttäuschte Erwartungen und erfreuliche Trends.

Sie hatten zur Jahreswende einen wachsenden Werbemarkt prognostiziert. Tatsächlich sind die Anzeigenerlöse gesunken. Woran liegt es?
Frank B. Werner: Da habe ich ziemlich danebengelegen. Wobei in unseren Objekten die Lage nicht einheitlich ist: Die Magazine „Euro“ und „Artinvestor“ liegen mit den Anzeigenerlösen leicht über Vorjahr, „Euro am Sonntag“ deutlich darunter. Die fortgesetzte Euro-Verschuldungskrise und ihre negative Abstrahlung auf die Finanzmärkte finden hier ihren Niederschlag. Einige Kunden haben ihre Budgets gekürzt, andere haben sie eingefroren. Wir erwarten vorerst keine nennenswerten Steigerungen, aber auch keine großen Rückgänge.

Wird die Wirtschaftspresse als Werbeträger unterschätzt?
WERNER: Ja, das ist wohl so – und zwar in doppelter Hinsicht mit Blick auf die Kaufkraft. Der Leser eines Wirtschaftsmagazins oder einer -zeitung hat für privaten Konsum sicherlich mehr Geld in der Tasche als ein durchschnittlicher Mediennutzer. Und als Entscheider in Unternehmen wäre er gleichfalls ein wichtiger Adressat von Werbung. Ein positiver Trend ist allerdings erkennbar: Digitale Budgets wandern teilweise wieder in Print. Das beobachten wir bei Fondsgesellschaften und Zertifikate-Emittenten. Ihre Begründungen sind identisch: Im Gegensatz zu digitalen Auftritten schlägt sich Printwerbung bei ihnen in den Orderbüchern nieder.

Worauf legen Werbungtreibende und Mediaagenturen besonderen Wert?
WERNER: Redaktionelle Umfelder und gute Platzierungen sind mehr denn je gefragt.

Auflagen und Reichweiten stagnieren oder sinken. Wie geht es weiter?

WERNER: Der Abschmelzprozess ist zu Ende. Unter den Verlagen wird der Kostenwettbewerb schon bald wieder durch einen Qualitätswettbewerb ersetzt. Allein Anzeigenumfelder bereitzustellen, wird nicht mehr reichen. Wir werden den Leser wieder in den Mittelpunkt stellen müssen. Rückbesinnung auf das Kerngeschäft sozusagen: die unübersichtliche, riesige Informationsflut filtern, einordnen und lesbar verpacken. Dazu müssen wir eine intelligente Ergänzung mit digitalen Angeboten entwickeln.

Ihre Titel sind aus der LAE ausgetreten. Welche Vor- und Nachteile hat das?
WERNER: Diese Entscheidung wurde noch zu Konzernzeiten bei Axel Springer getroffen. Betrachtet man die Marktanteilsentwicklung, hat es uns nicht geschadet – allerdings auch nicht genützt. Wir werden im kommenden Jahr alle Optionen prüfen.