Daten gegen Vertrauen

Die Digitalisierung des Handels schreitet seit dem Beginn der Pandemie mit großem Tempo voran. Doch wie kann und soll der Datenschutz da mithalten? Wie können gerade kleinere Händler von den neuen technischen Möglichkeiten profitieren, ohne unter der Bürokratie- und Kostenlast zu ersticken?
Die Digitalisierung schreitet auch im Handel voran. (© Unsplash/Oliur)

Verbraucherschützerin Simone Vintz, Technik- und Payment-Experte Ercan Kilic und Stephan Tromp, stellvertretender Hauptgeschäftsführer des HDE, diskutieren am handelsjournal-Roundtable – und legen dabei auch ihre persönlichen Karten auf den Tisch.

Frau Vintz, Herr Tromp, Herr Kilic, wann haben Sie das letzte Mal eine Kundenkarte genutzt?

Vintz: Ich habe nur eine einzige Kundenkarte von einer Modekette, die ich wirklich gut finde. Die habe ich zuletzt bei einer Aktion eingesetzt.

Tromp: Ich besitze mehrere, setze aber sehr gerne die der Lufthansa ein. Mit ihr werde ich laufend über alles informiert, was mit meiner Reise zu tun hat. Eine Kundenkarte sollte dem Verbraucher immer einen Nutzen bringen.

Kilic: Berufsbedingt habe ich viele, aber nicht aus Plastik in meinem Portemonnaie, sondern als Apps auf meinem Smartphone. Aktuell habe ich mit der türkischen Hopi-App positive Erfahrungen gemacht, weil ich Laufschuhe gebraucht habe. Die App hat mich in einen Store geführt, wo ich dann mit Rabatt sehr günstig mein gewünschtes Paar kaufen konnte.

Ercan Kilic, Vice President Global Head of Payments bei Rezolve ©privat

Herr Tromp, in den vergangenen drei Jahren hat sich im Handel eine Menge beim Thema Digitalisierung getan. Wo steht die Branche aus Ihrer Sicht heute in Sachen Omnichannel und Datenwirtschaft?

Tromp: Omnichannel ist das Modell der Zukunft. Von wenigen Spezialisten abgesehen, wird der rein stationäre Handel allein nicht ausreichen, um eine breite Masse an Kunden zu erreichen. Das bedeutet, dass sich der Staat, der Handel insgesamt, aber vor allem jedes einzelne Handelsunternehmen in der Infrastruktur darauf ausrichten müssen, dass Kunden sowohl stationär als auch online unterwegs und die Übergänge barrierefrei möglich sind. Es gibt da aufseiten der Verbraucher ein digitales Paradoxon: Im stationären Geschäft wollen sie oft nur so wenig wie möglich von sich preisgeben. Aber sobald sie online unterwegs sind, hinterlassen sie eine viel breitere Datenspur. Damit umzugehen, ist die große Herausforderung für die Handelsunternehmen.

Für die Großen der Branche ist das sicherlich leichter als für kleine Händler, die aus der analogen Zeit Daten mitbringen, mittlerweile einen Onlineshop aufgebaut haben und nun mit Problemen im Datenmanagement konfrontiert werden. Was können die tun?

Tromp: Die sind auf Hilfe von kompetenten Partnern angewiesen. Ein Mittelständler ist mit der Umsetzung aller Anforderungen komplett überfordert, wenn er neben dem Tagesgeschäft alles allein machen will. Der HDE hat daher Initiativen gestartet, mit Amazon und Ebay sowie mit Google, um konkrete Hilfestellung zu geben und Brücken in die Digitalisierung zu bauen.

Herr Kilic, um am E-Commerce-Geschäft zu partizipieren, benötigen Händler auch eine IT-Infrastruktur sowie die Möglichkeit, Daten zu nutzen. Wie groß sind die Herausforderungen, einen Omnichannel-Ansatz aufzusetzen und dann auszubauen?

Kilic: Dazu muss man unterscheiden zwischen den großen Handelskonzernen, mittelgroßen Filialisten und den wirklich Kleinen. Diese Unternehmen haben jeweils ganz andere Anforderungen und weisen untereinander meist eine ganz unterschiedliche digitale Reife auf. Ein lokaler Händler vor Ort mit einem Ladenlokal hat vielleicht eine eigene Website, aber noch keinen eigenen Onlineshop. Für ihn gibt es Dienstleister wie Shopify und andere, die standardisierte E-Commerce-Lösungen anbieten. Aber dann benötigen sie meist noch Partner beim Thema Payment. Zusätzlich müssen sie den Shop bekannt machen und Traffic schaffen. Und sie müssen sich um AGB, Lieferbedingungen und Datenschutz kümmern. Über die von den Verbänden gestarteten Initiativen können sie sich informieren und erhalten teilweise auch juristische Hilfe. Aber der Händler muss dafür selbst aktiv werden und sich darum kümmern. Diese Verantwortung kann ihm aufgrund des Haftungsrechts niemand abnehmen.

Mit welchen Anforderungen kommen Kunden aus dem ­Handel typischerweise auf Sie zu?

Kilic: Da wir global aufgestellt sind, müssen wir unterscheiden zwischen dem Geschäft zum Beispiel in China und dem in der ­Europäischen Union.

Tromp: China ist das Stichwort. Hier sind wir genau bei einem Knackpunkt im digitalen Zeitalter mit regional unbegrenzten Einkaufsmöglichkeiten. Unternehmen mit Sitz in der EU müssen sich an die hiesigen gesetzlichen Vorgaben halten. Ob das ein chinesischer Onlineshop tut, bei dem Verbraucher aus Deutschland etwas bestellen – dafür kann kaum jemand seine Hand ins Feuer legen.

Kilic: China ist wirklich ein eigenes Thema. Und ich gebe Ihnen recht: Jede Region oder jedes Land hat eigene Datenschutzregelungen, die es zu beachten gilt. Wenn wir über die EU und Deutschland sprechen, müssen wir unterscheiden zwischen den großen Plattformen wie Amazon und Ebay, die auch aus dem Ausland zugänglich sind, und einem Händler, der einen eigenen Onlineshop aufmachen will. Inhalte, AGBs, Datenschutzregelungen – all das muss vorher geprüft und sauber aufgesetzt werden. HDE, der Händlerbund und das EHI unterstützen hier.

Stephan Tromp, Stellvertretender Hauptgeschäftsführer des Handelsverbandes Deutschland ©Hoffotografen

Frau Vintz: Für Verbraucher sind E-Commerce und digitale Instrumente ein zweischneidiges Schwert. Oft gibt es einen konkreten Nutzen, etwa Rabatte, allerdings nur, wenn Nutzer im Gegenzug Daten hergeben. Wird hier noch die Balance gehalten?

Vintz: Das ist von Branche zu Branche verschieden. Grundsätzlich sind Kundenbindungsprogramme nichts Neues. Die hat es vor Jahrzehnten schon in Form von Rabattmarken gegeben. Mit der Digitalisierung und dem Onlineshopping sind zeitgemäße Formen entwickelt worden. Die Datenthematik ist dabei relativ komplex. Ich sehe zum einen die Anforderung, Transparenz gegenüber dem Verbraucher herzustellen. Sie haben gesagt, dass viele Händler damit selbst erst mal überfordert sind. Standard­lösungen, wie etwa Shop­ify, ändern daran grundsätzlich nichts, denn auch dort müssen bestimmte Dinge konfiguriert und juristische Texte angepasst werden. Es gibt zwar auch Datenschutzgeneratoren, aber entscheidend ist, wie deren Inhalte dann auch implementiert werden. Wenn ein Programmierer eine App baut, nimmt er fertige Module, manchmal ohne zu wissen, welche Daten diese Module abgreifen. Die technische Seite ist sehr komplex. Das Gleiche gilt beim Thema Sicherheit. Aber damit müssen sich die Händler beschäftigen, denn am Ende investieren sie, um mehr Umsatz zu machen.

Herr Tromp, was sind aus Ihrer Sicht die digitalen Schmerzpunkte für den Handel?

Tromp: Händler müssen sich über ihre digitale Geschäftsidee und die Erwartungen ihrer Kunden im Klaren sein. Wer sich für online entscheidet, muss es auch sauber aufsetzen. Deshalb raten wir gerade kleineren Händlern dazu, zuerst mit einer Marktplatzlösung zu beginnen. Erst wenn sich das Geschäft dort signifikant entwickelt, sollte über einen eigenen Onlineshop nachgedacht werden. Der Marktplatz hat den Vorteil, dass erst einmal der Betreiber dafür geradesteht, dass bestimmte Dinge rund um den Datenschutz eingehalten werden. Natürlich fallen auch dort Kundendaten an. Aber die Komplexität ist für Händler noch überschaubar. Darüber hinaus bieten Verbände wie der HDE Know-how im Bereich Datenschutz an. So unterstützen wir gerade mittelständische Unternehmen.

Frau Vintz, braucht es eine Art Daten-TÜV, der ­Onlineshops prüft und Qualitätssiegel vergibt?

Vintz: Gute Frage. Marketplace-Lösungen haben den Vorteil, dass sie sicherheitstechnisch eine stabile Struktur aufweisen, die geprüft worden ist. Auf unternehmensindividueller Ebene ist das schon schwieriger zu beurteilen. Wir haben im vergangenen Jahr einen Test dazu gemacht, bei dem wir einen Modellshop mit Fehlern präpariert hatten. Dabei sind wir auch beim TÜV gelandet. Der Abstimmungsprozess war extrem langwierig und verlief kompliziert. Ein Händler hätte das Prozedere finanziell und zeitlich nicht durchgehalten – und es wurden nicht mal alle Fehler gefunden.

Tromp: Man muss auseinanderhalten: Geht es darum, einen kompletten Onlineshop zu prüfen oder nur die Daten- oder Sicherheitsarchitektur? Das sind unterschiedliche Dinge. Wir sind mit gutem Beispiel vorangegangen und haben unsere Tochter IFS Management GmbH nach der ISO 27.001 zertifiziert. Das war ein Prozess, der über drei Jahre gedauert hat. Das wird sich nicht jeder leisten können und es ist für einen mittelständischen Kaufmann auch überdimensioniert. Viele Anbieter machen allerdings einen guten Job, indem sie bei den Webshops, die sie bauen, auch darauf achten, dass formale Dinge wirklich sauber erfüllt sind.

Wo sehen Sie beim Thema Datenschutz das größte Verbesserungspotenzial?

Tromp: Das große Streitthema lautet: Wie werden Kundendaten ausgewertet und genutzt? Aus Sicht der Verbraucher kann ich nur empfehlen, sich die Mühe zu machen und die jeweilige Datenschutzerklärung zu lesen. Dann wissen sie im Detail, was mit ihren Daten passiert – und können sich dafür oder eben dagegen entscheiden.

Herr Kilic, was denken Sie: Wie sehen Omnichannel und E-Commerce in drei bis fünf Jahren aus?

Kilic: Speziell beim Thema Datenschutz haben wir schon eine gute Basis, auf der weitere Innovationen aufbauen müssen. Oft wird zum Beispiel zwar nach wie vor mit Bargeld bezahlt, aber digitale Zahlungsformen setzen sich künftig immer stärker durch. Was der Kunde im Einzelfall gekauft hat, also den Kassenbon, geben die Händler nicht an den Zahlungsdienstleister. Das ist bei Payback vielleicht etwas anders. Bei der Optimierung von Algorithmen, die daraus abgeleitet werden, wird im Moment an spannenden Dingen gearbeitet. Ob eine App dafür Informationen und Daten abfragen und auswerten darf, muss der Konsument selbst entscheiden. Und da hilft nur eines: Die Verbraucher müssen noch stärker sensibilisiert und aufgeklärt werden. Zudem werden sich immer mehr Apps durchsetzen, die den Kundinnen und Kunden ortsbezogene, individuelle Angebote unterbreiten.

Simone Vintz, Testleiterin für Dienstleistungsuntersuchungen der Stiftung Warentest ©Stiftung Warentest

Frau Vintz, Herr Kilic sprach über die Aufklärung von Verbrauchern. Wer soll das denn leisten?

Vintz: Dazu gehören Verbraucherorganisationen wie die Verbraucherzentralen und die Stiftung Warentest. Aber es ist auch sinnvoll, wenn der Händler selbst etwas tut. Vertrauen ist dabei das Stichwort. Ich zum Beispiel habe die eingangs erwähnte Kundenkarte, weil ich dem Unternehmen vertraue. Ob dieses Vertrauen berechtigt ist, weiß ich natürlich nicht. Es ist ein gefühltes Vertrauen. Aber das scheint mir doch ein Weg in unruhigen Zeiten, wenn Händler zum Beispiel die juristische Aufklärung zur Datennutzung irgendwo gesondert kurz und verständlich zusammenfassen. Das würde für Vertrauen sorgen. Ebenso wie eine andere Fehlerkultur – etwa ein schnelles, radikales Einräumen von Datenpannen.

Tromp: Das ist ein wichtiger Punkt. Mit einer anderen, sehr offenen Kommunikation gerade beim Thema Daten lässt sich für Handelsunternehmen bei den Kunden eine Menge gewinnen. MediamarktSaturn zum Beispiel informiert über seine Datenschutzerklärung per FAQ, die in verständlichem Deutsch statt Juristensprache formuliert sind. Diese Form der Transparenz würde ich mir häufiger wünschen.
Au diese Weise entsteht das Vertrauen.

Wohin geht aus Ihrer Sicht die Reise des Handels in den ­kommenden Jahren?

Tromp: Wir sind mittendrin im Prozess Richtung Omnichannel-Handel. Mit den einzelnen Instrumenten, wie etwa Apps, werden verschiedene Vertriebskanäle rauf und runter bespielt – stationär und digital. Und die Kunden agieren entsprechend. Auch das Thema künstliche Intelligenz wird stationär und im Onlinehandel immer wichtiger. Aber ich stelle mir die Frage, ob es sinnvoll ist, den Einsatz von künstlicher Intelligenz als Hochrisiko-Anwendung zu klassifizieren, so wie das derzeit diskutiert wird. Ein kassenloser Supermarkt etwa, der ja viele Verbraucher interessiert, weil sie genervt sind von Schlangen am POS, kann nur mithilfe von KI realisiert werden. Das Erfassen von personenbezogenen Daten ist dafür aus meiner Sicht aber nicht notwendig.

Vintz: Uns ist es außerdem sehr wichtig, zu verhindern, dass durch die fortschreitende Digitalisierung bestimmte Kundengruppen benachteiligt oder diskriminiert werden oder gar nicht mehr an bestimmte Angebote herankommen.


Stephan Tromp ist stellvertretender Hauptgeschäftsführer des Handelsverbandes Deutschland (HDE) und gleichzeitig Geschäftsführer der Verbandstöchter HDE Trade Services GmbH und IFS Management GmbH. Der diplomierte Betriebswirt verfügt über ein Vierteljahrhundert Erfahrung in leitenden Funktionen von Unternehmen und als Verbandsgeschäftsführer. Bis 2006 war er Mitglied des Abgeordnetenhauses von Berlin.

Simone Vintz ist seit mehr als 25 Jahren Testleiterin für Dienstleistungsuntersuchungen der Stiftung Warentest in Berlin. Daneben ist die Soziologin und Marktforscherin (MBA) Dozentin für Forschungsmethodik an der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin und sitzt im Beirat der digitalen Marktbeobachtung der Verbraucherzentrale Bundesverband.

Ercan Kilic ist bei Rezolve, einer Mobile-Commerce & Engagement-Platform, als Vice President Global Head of Payments für die weltweiten Pay-ment-Aktivitäten verantwortlich. Zuvor war er Gründer und Leiter des Competence Center eCommerce & Financial Services bei GS1 Germany. Kilic ist seit mehr als 20 Jahren in leitenden Positionen im Mobile ­eCommerce sowie Omnichannel-Commerce tätig.


Dieses Interview erschien zuerst im Handelsjournal.