Beenden KI-Chatbots die klassische Online-Suche? 

Künstliche Intelligenz (KI) wird die Online-Suche revolutionieren. Welche Folgen die nächste Suchmaschinen-Generation auf das Marketing hat und warum Entscheider*innen umdenken sollten.
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Eva Adelsgruber ist Vorsitzende der Geschäftsführung von Plan.Net Performance und Plan.Net Media. (© Plan.Net)

In den vergangenen 20 Jahren nutzten Menschen ganz selbstverständlich die Google-Suche. Allein in Deutschland verzeichnet das Unternehmen einen Marktanteil von mehr als 90 Prozent. Doch seit seinem Launch hat ChatGPT diesen Markt erschüttert. Der KI-Chatbot knackte innerhalb von nur fünf Tagen die Schwelle von einer Million Nutzer*innen. Seitdem schießen Start-ups mit ähnlichen Open AI-Anwendungen nur so aus dem Boden; und die großen Tech-Unternehmen liefern sich ein Wettrennen um die beste KI-Experience in der Online-Suche. Denn der Markt rund um generative KI wird sich voraussichtlich von aktuell 130 Milliarden auf 1,3 Billionen US-Dollar in den nächsten zehn Jahren verzehnfachen. 

Search Engines sind auch Marktplätze. Shopping-Funktionen bei Google oder Microsoft ermöglichen es Unternehmen, ihre Produkte direkt in Suchergebnissen zu präsentieren und befähigen Kund*innen, ihre Einkäufe nahtlos auf den Suchplattformen abzuschließen. Sollte sich die Online-Suche in die neuen KI-Tools verlagern, wird diese Entwicklung nicht nur die Online-Suche als Marketingkanal, sondern auch Plattformen und Prozesse des Wachstumstreibers E-Commerce nachhaltig transformieren.   

Wettbewerb beschleunigt den Umbruch  

Wer das Rennen machen wird, bleibt abzuwarten. Doch erkennbar ist, dass der Wettbewerb zum Katalysator wird: Microsoft integrierte ChatGPT bereits vollständig in seine Suchmaschine Bing, inklusive Plugins von Marken wie Tripadvisor, Expedia oder Klarna. Durch diese Plugins greift die KI in Echtzeit auf Unternehmensdaten zu. So kann der Bing-Chatbot Nutzer*innen zukünftig bei ihrer Reiseplanung helfen und Flüge sowie Hotels buchen. Der Klarna-Plugin soll für eine personalisierte Einkaufsberatung mit kuratierten Produktempfehlungen sorgen.  

Nach Aussage von Microsoft hat sich die durchschnittliche Länge von Suchanfragen seit der Chat-Integration mehr als verdreifacht, während die Zeit bis zur Transaktion deutlich verkürzt ist. Ein Zeichen, dass die neue Form von Suchergebnissen von den Nutzer*innen angenommen wird, so Microsoft. 

Technologien führen zu neuen Ökosystemen

Ein weiterer Gigant im Wettbewerb ist Google. Der Konzern brachte seinen Chatbot Bard, der mittlerweile auch in Deutschland verfügbar ist, mit dem Ziel an den Start, diesen eng mit dem eigenen Produkt- und Serviceportfolio zu verknüpfen. Parallel arbeitet Google mit seiner KI-Forschungssparte DeepMind an einem neuen Large Language Modell (LLM) namens Gemini. LLMs liefern die algorithmische Grundlage für generative KI-Programme wie ChatGPT oder Bard. Sollte Googles LLM fortschrittlicher sein als das von ChatGPT, könnte Google das Rennen um die KI-Vorherrschaft gewinnen. Zudem ist Google bei Suchmaschinen Marktführer; Bings Marktanteil liegt weit darunter, man schätzt zwischen 10 und 20 Prozent. 

Auch E-Commerce-Riesen wie Amazon investieren in KI-Entwicklungen. Schon bald will Amazon die KI-Plattform Bedrock herausbringen. Dabei geht es dem Unternehmen nicht allein um die KI-Funktionen, Text- und Bildinhalte zu erstellen. Vielmehr sollen Industrie-Kund*innen hierüber auch eigene KI-Chatbots mit unterschiedlichsten Anwendungen entwickeln können. Das fördert weiter den Markt der spezialisierten Nischenanbieter*innen. Auch sie werden die etablierten Player wie Google und Microsoft herausfordern – insbesondere um reine Suchplattformen mit KI gestützten Tools zu kombinieren und Inventare noch stärker in die faktenbasierte Nutzenkommunikation für die Werbetreibenden zu integrieren. In diesem Umfeld der Plattformerweiterung zu „Platform Ecosystems“ sind weitere spannende Entwicklungen zu erwarten. 

Fest steht: Die Technologien – und mit ihnen der Markt – entwickeln sich seit Ende 2022 rasant und führen bereits zu neuen Ökosystemen. Ob damit zwangsläufig immer mehr Menschen die Online-Suche über KI-Chatbots nutzen und damit die klassische Online-Suche ausstirbt, bleibt abzuwarten. Asien könnte hier Vorbote sein. Dort hat der „Conversational Commerce“ über Chats die klassischen Webportale für Suche und E-Commerce bereits abgelöst. 

Marketer stehen vor strategischer Neuausrichtung 

Auf diese Entwicklung sollten sich Marketer vorbereiten und sicherstellen, dass sie über das erforderliche Fachwissen verfügen. Es gilt, die Möglichkeiten der KI-Suche zu beobachten, Mitarbeiter*innen Fortbildungen und die Auseinandersetzung mit dem Wandel zu ermöglichen und technische Neuerungen – wie E-Commerce-Plugins – für das eigene Produkt- und Serviceangebot zu testen. Dabei ist die KI-Transformation immer nur so gut wie es die Impulse sind, die durch Fachexpert*innen zugefüttert werden. Agenturen bleiben hierbei Kompetenzzentren für Unternehmen.  

Eine der zu erwartenden Änderungen wird eine Aufsplittung der Suche in transaktionale Suchen zum Beispiel für den direkten Produktkauf und eine wissensorientierte Suche für umfassendere Informationsgewinnung sein. In der Chat-Experience wird sowohl für Website-Links als auch für bezahlte Anzeigen eine andere Sichtbarkeit bereitstehen. Hier wird die Nutzerwartung deutlich stärker in Richtung Beratung gehen und die Informationsbereitstellung vielfältiger werden.  

Auch Social Media hat diesen Trend erkannt: So hat das soziale Netzwerk TikTok bereits angekündigt, zukünftig mit Keyword, mit Verhaltens- und Interessen-Targeting und Demographics in den Suchmarkt mit entsprechender KI und Werbemöglichkeiten einzusteigen. Generell gewinnt die Interaktion zwischen Nutzer*innen und Onlineplattformen – wie Paid-Media-Kanäle, die eigene Website und der eigene Onlineshop – an Bedeutung: Communities werden zu Recruitern für Neukund*innen, Marken zu Autoritäten.