Was von der CES 2017 übrig bleibt: das vorlesende Kopfkissen und die sechs Trends der Hightech-Messe

Was in Las Vegas passiert, bleibt in Las Vegas? Nun ja, dieses geflügelte Wort über Sin City hat sicher nur begrenzte Gültigkeit für das, was die CES in Las Vegas uns nun seit 50 Jahren – erstmalig fand sie übrigens 1967 in New York City statt – als Trends präsentiert! Allerdings werden es viele der ausgestellten Ideen nie in die globalen Märkte schaffen, weil sie die Massen-Relevanz zwar enthusiastisch beschreiben, aber keine Chance beim Konsumenten haben werden.
Wolf Ingomar Faecks über die CES-Messe in Las Vegas und all die skurrilen Erfindungen

Von Gastautor Wolf Ingomar Faecks, Geschäftsführer und Vice President Kontinentaleuropa bei SapientRazorfish

Es ist bemerkenswert, wie sich die CES-Messe über die Jahre von einer Produkt-Innovations-Ausstellung etablierter Firmen zu DEM Experimentierforum der globalen Produkterfinder-/Gründerszene entwickelt hat. Der mittlerweile mehrere Fußballfelder große Eureka (altgriechisch: ‚Ich habe ES gefunden‘)-Park ist ein Marktplatz für mehr als 600 Produkt- und Service-Startups, der vor Erfindergeist nur so strotzt. Der Park befindet sich im fensterlosen Erdgeschoss des CES Tech West-Geländes im Sands Expo & Convention Center des bis vor 2 Jahren noch weltweit größten Hotels, The Venetian (7128 Zimmer!), das den Las Vegas-Gästen eine geleckte Version von Venedig inklusive Markusdom bietet.

Wofür steht die CES?

Die Frage nach dem „Warum“ für Innovationen wird in vielen Fällen eher mit dem „Weil es technisch geht“ und nicht „Weil es jemand braucht und kaufen wird“ beantwortet. Es geht also mehr um Grundlagen-Forschung als Endkunden-Nutzen. Viele der Ideen werfen auch die Frage nach dem „Wie wollen wir als Individuen und als Sozialsysteme in Zukunft leben?“ auf. Sollen unsere Unterhosen strahlungssicher sein, unsere Kinder von Erziehungs-Robotern ausgebildet und bespaßt sowie unsere Haustiere von Maschinen in der Wand überwacht und gefüttert werden? Man darf bei aller Euphorie für Neues skeptisch bleiben, aber die Zeit wird es schon zeigen.

Bevor ich zu den wichtigsten Trends der diesjährigen Jubiläums-CES komme, sei allen Neugierigen die Hoffnung auf bahnbrechend Neues genommen. Insgesamt ist die CES 2017 eher eine Weiterentwicklung bereits in den letzten Jahren entstandener Neuigkeiten: Innovation 2.0. Aber nun zu meinen Trends 2017.

Trend 1: Vom Produkt zum System

Es ist nicht weniger als ein Paradigmen-Wechsel, dass die Frage nach dem System, in dem einzelne Komponenten funktionieren, nun im Vordergrund steht, und nicht das eine Produkt mit einzelner Funktionalität. Plattformen/Hubs wie Amazon Alexa, Google Echo oder Samsung Smart Home (mit dem Kühlschrank als Zentrale) sollen helfen, die Komplexität unzähliger Teil-Komponenten zu orchestrieren. Natürlich nicht ohne das Ziel, die dabei entstehenden Nutzungsdaten als digitaler Wegelagerer gewinnbringend selbst zu vermarkten.

Trend 2: Reduktion von Friktionen im Nutzer-Interface

Einst explizite Interfaces wie zum Beispiel das gerade erst in der Adoleszenz angekommene Smartphone werden von impliziten Interfaces wie der Steuerung durch natürliche Sprache oder der Steuerung durch Gesten im freien Raum nach dem Sonar-Prinzip erweitert oder ersetzt.

Dies bedeutet eine radikale Vernatürlichung und damit Vereinfachung der Steuerung. BMW und Bosch bringen in ihren jeweiligen Concept Cars bereits kombinierte Gesten- und Sprachsteuerung im Cockpit zum Einsatz. Hier lässt sich eine sehr starke Verbesserung von Verlässlichkeit und Funktionsweise dieser Steuerungs-Komponenten im Vergleich zu letztem Jahr feststellen. Man könnte diese Entwicklung auch mit „Vom Consumer Product zur Consumer Experience“ oder die „Digitalisierung des Lebens“ überschreiben. Unter Aufgabe der Daten-Hoheit steuern wir alle eingesetzten und in unserer Umwelt bereits untereinander kommunizierenden Geräte ohne große Mühe.

Wahrscheinlich wird Alexa in kurzer Zeit die Standard-Plattform werden. Sie stellt bereits zu dieser CES über 400 anschließbare Services und Produkte (Fernseher, E-Commerce-Seiten, Hotel Room Service etc.) zur Sprach-Steuerung zur Verfügung, Tendenz schnell steigend. Voraussetzung dafür ist die ständige Belauschung der Umgebung, um im gewünschten Moment den entsprechenden Sprachbefehl auch tatsächlich im Kontext korrekt mitzubekommen. In den USA wurden übrigens bereits erste Fälle bekannt, bei denen die Behörden zur Strafverfolgung die privaten Alexa Sprach-Protokolle aus Wohnzimmern zur Aufklärung von Verbrechen angefordert haben sollen. Brave New World, aber alles freiwillig! Sind wir nicht mittlerweile alle willfährige, unkritische Technologie-Lemminge im Namen der Bequemlichkeit?

Trend 3: On Demand Ökonomie

Ein sich schon seit geraumer Zeit in Entwicklung befindlicher Trend, der immer prominenter zu Tage tritt, ist der Ersatz des eigentlichen Besitzes durch den flexiblen Nutzungs-Zugang zu Produkten und Services. Dadurch entstehen massiv gestiegene Erwartungen an alle Experiences – an deren Intuitivität, deren Aktualität, deren Verfügbarkeit, deren Geschwindigkeit, deren Portierbarkeit, deren Nutzbarkeit, deren Nützlichkeit und deren Unsichtbarkeit. Produkte werden als Services verkauft. Das autonom fahrende Auto etwa dient nicht mehr als physikalisches Statussymbol, sondern als bequeme Umgebung für den Medienkonsum. Es dient also der Unterhaltung und bringt nebenbei auch von A nach B. Und der selbstbestellende Kühlschrank wird nicht mehr als Möbel angeschafft, sondern als Kommunikationszentralen-Service eingekauft. Spannende neue Geschäftsmodelle entstehen, und wie bereits beim Autohersteller Tesla werden sämtliche vernetzte Hausgeräte nun per OverTheAir (OTA) Update aktualisiert und so in ihrer Funktion korrigiert oder erweitert.

Trend 4: Alles wird instrumentiert und damit intelligent, smart und selbständig lernend

Auf nahezu jeder Standbeschriftung der CES findet sich der Begriff „Smart“ oder „Intelligent“, um damit völlig neue Eigenschaften von Produkten zu beschreiben. Der Begriff Artificial Intelligence (AI), also Künstliche Intelligenz (KI), hat die Labore der Universitäten wie schon einmal vor einigen Jahren erneut verlassen und dient nun in inflationärem Gebrauch dazu, die Menschenähnlichkeit im Denken von Haarbürsten, Turnschuhen und Waschmaschinen zu proklamieren. Eine klare Definition fehlt noch. Gemeint ist im weitesten Sinne unter Zuhilfenahme von Methodik und Technologie die menschliche Intelligenz zu simulieren. Wichtig ist dabei insbesondere die Anwendung des richtigen Kontexts. In den meisten Fällen ist jedoch die Intelligenz auf die Beobachtung, Aufzeichnung und spätere Wiedererkennung von Mustern (pattern recognition) beschränkt. Ein wirklich intelligentes Verarbeiten, Ableiten oder Schließen ist in den wenigsten Fällen zu erkennen.

 

Trotzdem wird alles, aber auch wirklich alles, instrumentiert, vernetzt und ausgewertet: Zahnbürsten, die das vollständige Putzen überwachen, Haarbürsten, die den Zustand der Haare erkennen, oder Hundehalsbänder, die die Hundebewegung tracken. Auch findet man vernetzte Muttermilchpumpen, vorlesende Kopfkissen, Weinzapfanlagen, die passend zum Essen Wein zapfen oder bestellen, Regenschirme, die den Regen ankündigen, Sonnenschirme, die mit Kameras die optimale Ausrichtung erkennen, Sportschuhe, die per Sensor nach fünfmal Hüpfen die Tagesform beurteilen können und T-Shirts, die feststellen, wenn der Athlet im Training pausiert.

Der wirklich sehr ernst zu nehmende Trend in diesem Zusammenhang ist der gesamte Smart Home-Bereich, also die vernetzte Fernsteuerung aller Haus-Funktionen wie Steckdosen, Lichtschalter, Türen und Fenster, Rauchmelder, Wasserhähne, Heizkörper und Heizung, die Küchengeräte, die Beleuchtung, die Entertainment Systeme etc.

Neben der Instrumentierung von Alltagsprodukten ist natürlich auch die Robotik einen Schritt weiter in die normale Welt vorangekommen. Der süße, freundliche Roboter gehörte zum guten Ton auf vielen Messeständen, aber schon morgen finden wir sie in jedem anständig sortierten Haushalt. Kleine, sympathische und hilfsbereite Weggefährten wie zum Beispiel Bosch’s Roboter ‚Kuri’ werden ihren Weg in unser Leben finden. Es wird spannend, welche Zimmer tabu bleiben.

Trend 5: Demokratisierung der Technologie

Insbesondere eine schnell wachsende Gruppe chinesischer Produzenten (z.B. Meizu, Xiaomi oder LeEco) kopiert geschickt in den USA oder Europa entstandene Geräte und bringt sie zu einem Bruchteil der Originalpreise auf die globalen Märkte. So werden sie dann mit ihren vergleichbaren Features auch für die weniger gut Betuchten erschwinglich und führen zu einer Beschleunigung der Massenverbreitung. Insgesamt ist dies also ein durchaus wünschenswerter Beitrag, der der ohnehin galoppierenden Spaltung der Gesellschaft in eine Technologie- und Digitalisierungs-Elite einerseits und ein digitales Analphabetentum und digitales Ausschlussproletariat andererseits entgegenwirken kann.

Trend 6: Transformation des Transports

Der Flächen-Anteil, den Automobilhersteller und -zulieferer belegen, hat sich jedes Jahr erhöht und erreicht dieses Jahr erstmalig über 20 Prozent. Alle großen namhaften Hersteller außer Audi, die sich wohl von VW vertreten ließen, waren vor Ort, und alle hatten ihre Vision vom autonomen und intelligenten Fahrzeug in mehr oder weniger fahrtüchtigen Prototypen mitgebracht. Besonders geheimnisvoll präsentierte sich bereits zum zweiten Mal der chinesische Hersteller Faraday Future mit seinem Tesla Konkurrenten FF91: Ein einzelner Wagen, aufwendig präsentiert, umgeben von einer begehbaren Balustrade, begleitet von mystischer Musik, ohne irgendeine Erklärung am Stand. Alle hoffen, der Serienwagen kommt noch vor Godot. Gerüchte gibt es reichlich. Emotionalisierende Inszenierungen des Fahrzeugs als verständigen, mitfühlenden, stets lernbereiten und allein dem Wohlbefinden des Gastes – ja, nicht mehr des Fahrers – verschriebenen Partner, ja fast Freund, finden sich aber auch auf allen anderen Ständen! Das Zeitalter von Michael Knight und K.I.T.T. aus der 80er-Serie Knight Rider ist angebrochen.

Während Google (auf der CES nicht als Automobil-Anbieter vertreten) bereits seit geraumer Zeit am schwierigsten technologischen Problem, nämlich dem sogenannten ‚Level 5 voll autonomen fahrerlosen Fahren’ tüftelt, entwickeln die großen Anbieter durch die Bank Strategien und Konzepte, wie sie ihre Millionen Bestandskunden auf eine sanfte vermittelbare Reise mitnehmen können: Eine Reise, die über die Einführung von immer weiter reichenden Assistenz-Systemen langsam das Vertrauen in die Übertragung der ursprünglichen eigenen Steuerungsaufgaben an die Kameras, Radar- und Sonar-Systeme des Fahrzeugs aufbauen und dann in naher Zukunft in den Level 5 der Autonomie münden lassen sollen. Alle verbinden dies auch mit einer vollständigen oder zumindest teilweisen Elektrifizierung der Antriebe.

Für das autonome Fahren erweist sich neben der Umwelt-Erfassungstechnik das zur Navigation notwendige Karten- und Situations-Material als der zentrale Erfolgsfaktor. Die gemeinsame Investition der Autobauer BMW, Mercedes und Volkswagen in den Kartendienst HERE, wird sicher ein massiver Wettbewerbsvorteil und Unabhängigkeitsfaktor von Google, Apple und Microsoft werden. Auf dem Stand von Mercedes wurde mit der Vorstellung eines autonomen Paketauslieferungs-Vans die Brücke zu den Drohnen geschlagen. Denn dieser Vision-Van beherbergt auf seinem Dach einen Doppel-Heliport für seine beiden Auslieferungs-Drohnen, die Pakete dann bis zum jeweiligen Empfänger transportieren können. Dieser Trend, den momentan allen voran Amazon mit einem Drohnen-basierten Pilotprojekt in London austestet (die strengeren Regularien der FAA verbieten das in den USA noch), wird den Transport von kleineren Gütern mit Sicherheit revolutionieren. Neben der Drohne werden auch kleine Transport-Roboter helfen, die Last der Auslieferung der rasant zunehmenden Paketsendungen zu bewältigen.

Ein spannender Nicht-Trend: Das Ende des Moore’schen Gesetzes für PCs!

Anders als in den Jahren zuvor hatte keiner der Hersteller einen Quantensprung (Moore sagte Verdopplung) in der PC-Leistung und Speicher-Ausstattung zu vermelden. Wir werden sehen, ob das mal wieder das Ende des PCs einläuten wird oder nur eine Verschnaufpause wegen zu viel künstlicher Intelligenz darstellt.

Fazit

Es lohnt sich, in Las Vegas bei der CES zu sein! Es ist wahnsinnig inspirierend, mit so viel technologischer Kreativität in Kontakt zu kommen und dabei zu sehen, wie sich die neuesten Errungenschaften ihren Weg ins Alltagsleben zu bahnen beginnen. Neben der Begeisterung für Neues hilft aber auch eine gute Portion Skepsis und die dauernde Frage: Was machen wir jetzt damit, was erzähle ich meinen Kollegen und vor allem meinen Kunden, mit welchen für sie relevanten Themen sie sich schleunigst beschäftigen und welche sie getrost noch weiter köcheln lassen sollten? Das ist unsere Rolle als Partner in der Digitalen Transformation! In diesem Sinne: „Viva, Las Vegas!“