Zentrale Grundsätze für erfolgreiches Beziehungsmanagement

Im Feld des Beziehungsmanagements im Internet herrscht momentan eine Inflation der Begriffskreationen, die bereits seit Jahren aus der klassischen Werbung bekannt sind. Gastautor Dr. Oliver Nickel, Geschäftsführer der ICON-WEBMAX GmbH, Nürnberg, erläutert worauf es wirklich im Internet ankommt.

In der Vergangenheit wurde „Beziehungsmarketing“ sehr häufig aufgrund verschiedener Partikularinteressen von der parallel stattfinden Markendebatte entkoppelt, so dass oft ein sehr unterschiedliches Verständnis darüber herrscht, wie Beziehungsmanagement und Markenmanagement zusammenhängen. Beziehungsaufbau ist Bestandteil der Markenbildung. Aufgrund der bekannten Veränderungen der Rahmenbedingungen ist er einem starken Wandel unterzogen. Die Beziehungskonstellationen werden hierbei zunehmend komplexer: Der Beziehungsaufbau findet an allen Berührungspunkten mit dem Kunden statt. Um diese Beziehung nutzbringend zu entwickeln, müssen die jeweiligen Leistungsfaktoren und die entsprechenden Leistungskriterien ermittelt und systematisch ausgerichtet werden.

Verschiedene Ebenen der Ansprache
Icon hat die Ebenen des Beziehungsmanagements auf ein Modell der Verarbeitungstiefe übertragen, um eine ideale Umsetzung im Internet aufzuzeigen: Das „Internet-Customer-Elaboration-Model“. Im Web existieren verschiedene Ebenen, auf denen die User angesprochen werden können. Auf der ersten Stufe geht es zunächst einmal um Awareness, also um das Wissen in der Zielgruppe über die Existenz der Site. Die Site wird dann entweder aktiv angesurft, oder der User wird über Traffic-Massnahmen, wie Bannerschaltungen oder Pop-Ups dorthin geleitet.

Zunächst erfolgt hier immer Kommunikation in eine Richtung. Der Site-Besucher nimmt Inhalte auf, die für ihn mehr oder weniger verständlich und relevant sind. Viele Marken verfolgen eine reine Showroom-Strategie, präsentieren ein digitales Bilder- bzw. Lesebuch, mehr nicht. Auf der nächsten Elaborationsstufe geht es um Interaktion. Einige der Surfer wollen mit der Site in Interaktion treten und generieren in einer nächsten Stufe idealerweise Umsätze. Die engste Bindung an eine Site entsteht durch eine „Virtual Community“, eine Gemeinschaft mit anderen Usern, die den Surfer zum wiederholten Besuchen der Site bringt, weil er dort auf Gleichgesinnte trifft.

Marktanteile erhöhen
Aus jeder dieser Elaborations- bzw. Konversionsstufen lassen sich konkrete Ziele ableiten. Der Site-Betreiber kann auf die Steigerung der Awareness und des Traffic abzielen, damit möglichst viele User auf die Seite kommen. Er kann versuchen sie dort möglichst lange zu halten, ihnen etwas mitzugeben, was entweder auf die Identität der Marke einzahlt oder für die User relevant ist. Er kann seine Schnittstellen optimieren und damit die Interaktion der Nutzer adäquat auffangen, damit sie nicht einseitig ins Leere läuft. Und er kann mit seiner Site versuchen, bestehende Umsätze weiter zu steigern beziehungsweise segmentspezifisch Marktanteile zu erhöhen.

Gewisse Kundensegmente können über das Internet besser erreicht werden. Diese Zielgruppe hat gelernt, dass man eine halbe Stunde im Internet investieren muss, und neben der kostbaren Zeit auch noch Geld spart. Und natürlich nicht zu vergessen: Das Zusammenspiel von Frontend und Backend. Die Optimierung von Bestellprozessen ist ein großes Problem zahlreicher junger Handelsunternehmen im Internet, die nicht mit der Erfahrung der klassischen Handelsmarken ausgestattet sind.

Markenaussage fehlt
Awareness schafft man im Internet vor allem über Traffic-Strategien, Key-Word- und Banner-Advertising. Auch auf dem klassischen Weg Print- und TV-Werbung lässt sich die Awareness für Webmarken erzeugen und steigern. Bei jungen Internetmarken trifft man häufig auf Anzeigen, die mit einem unklaren und wenig attraktiven Branding versucht, in den klassischen Medien zu werben – eine Bemühung die fehlschlägt. Häufig wird zudem anstelle der Marke generisch die gesamte Branche beworben. „Lesen Sie Bücher?“ – nur eines von vielen Beispielen für generische Aussagen von Internetbrands in der klassischen Werbung.

Der Einstieg in eine Site – die Begrüßung – stellt die Eintrittsphase für ein erfolgreiches oder weniger erfolgreiches Beziehungsmanagement dar: Wie ist die Begrüßung gestaltet ? Ist die Navigation verständlich ? Gibt es vertraute Faktoren, wie zum Beispiel das Markenlogo ? Wird der User von einem Feuerwerk von Bannern und Pop-Ups empfangen ? Ist der Nutzen der Site sofort ersichtlich, oder müssen hierzu erst mehrere Navigationsebenen durchsurft werden ? Alle diese Faktoren werden auf den ersten Blick vom User wahrgenommen und bewertet. Zielgruppenansprache und Relevanz sind auf dieser Ebene sehr wichtig. Kommt der User auf die Site, sollte er sich in der emotionalen Ansprache wiederfinden und auf den ersten Blick erkennen, ob die Site für Ihn von Interesse ist.

Entscheidend: Content und Technik
Ein vermeintlich selbstverständlich erscheinender, sehr einflussreicher Faktor sind die Ladezeiten. Untersuchungen von icon-webmax zu diesem Thema zeigen, dass wichtige Wirkungsfaktoren wie Relevanz, Markenpassung und Navigation von zu langen Ladezeiten extrem negativ beeinflusst werden. Die Ladezeit hat somit einen großen Einfluss auf die Gesamtperformance der Site. Katastrophal wirkt sich hingegen nicht-relevanter Content gepaart mit unzureichender Technik oder Over-Engineering aus. Solche Marken, sogenannte „Electronic Enabled Brands“, für die das Internet vor allem eine weitere kommunikative Plattform zur Ansprache darstellt (z.B. Mercedes), müssen von reine E-Brands, sogenannten „Electronic Generated Brands“ (z.B. Consors oder Scout 24), bei denen die Web-Site ein elementarer Bestandteil der Markenidentität ist, unterschieden werden. Bei den letzteren fallen technische Unzulänglichkeiten wesentlich stärker ins Gewicht und können in letzter Konsequenz die Existenz gefährden.
Zielgruppenansprache und Relevanz sind im gesamten Surfverlauf ein sehr wichtiges Thema. Unsere Untersuchungen haben ergeben, dass der Dialoggrad einer Website einen enormen Einfluss auf die Wirkungsdimensionen „Relevanz/Information“, „Emotion/Marke“ und „Struktur/Navigation“ haben kann.
Einige Auftritte glänzen wiederum mit Chatrooms und dialogischen Elementen, zu den gelernten Markencodes, zu dem was der Verbraucher von der Marke kennt, gibt es jedoch keine Verbindung. Die Identität der Marke gerät bei manchen Sites ins Hintertreffen.

Customizing
Extrem wichtig und das eigentlich Innovative am Medium Internet, ist die Möglichkeit der Interaktion. Als ein Katalysator für eine Umsatzsteigerung der Site, wird dabei häufig das sogenannte „Customizing“ angesehen. Meist wird Customizing heute so eingesetzt, dass der Betreiber einer Site Daten über den User zusammenträgt und ihm bei wiederholtem Besuch, basierend auf diesen Daten, eine individuell gestaltete Site präsentiert. Im Hinblick auf das Beziehungsmanagement ist Customizing jedoch um ein vielfaches wirksamer, wenn der User sich seine Site selbst gestalten kann. Hier bietet sich eine relativ einfache Möglichkeit die emotionale Bindung an einen Internetauftritt zu steigern, wenn man, rein konstruktivistisch betrachtet, die Seite stärker in die Erlebenswelt des Nutzers integriert.

Eine optimal gestaltete Startseite allein reicht aber vor allem für ein E-Commerce-Angebot nicht aus, um zu einem erfolgreichen Verkaufsabschluß zu kommen. Denn der Verkauf findet meist eben nicht auf der Startseite statt, sondern in den Ebenen, die in der Navigationsstruktur in untergeordneten Bereichen liegen. Deshalb muss die gesamte Struktur im Hinblick auf diese Zielsetzung optimiert werden. So kommt der User bei manchen eShops zwar schnell von der Startseite weg, bleibt dann aber in der Grob- und Feinnavigation hängen und erreicht die Produktseiten nicht. Ein vereitelter Kaufimpuls schädigt unseren Untersuchungen zufolge nicht nur alle Markenwerte, auch die Wiederbesuchsrate dieser Sites geht gegen Null.

Soziale Nähe
Auf der letzten Stufe unseres Elaboration-Modells stehen die „Virtual-Communities“, die Gemeinschaften im Internet. Wir unterscheiden hier in fünf verschiedene Kategorien: Gemeinschaften, bei denen Transaktionen stattfinden, wie beispielsweise ebay, Gemeinschaften, bei denen die User gemeinsame Interessen teilen, wie bei Garden.web, Phantasiegemeinschaften, bei denen Spiele ausgetauscht werden, so wie bei Gamers.de, und Beziehungsgemeinschaften, siehe Friend-Scout24, oder auch Dachgemeinschaften, sogenannte Umbrella-Communities, wie Geocities. Im Rahmen der Markenführung ist hier vor allem der psychologische Aspekt von Interesse. Aus dem vorhandenen gemeinsamen Interesse der User entstehen Dialog und gegenseitiges Feedback unter den Usern. Hieraus resultiert eine engere soziale Nähe in diesem Netz. Aus gemeinsamen Einstellungen und Interessen wird letztendlich eine gemeinsame Kultur. Diese gewachsene Gemeinschaft begründet die enormen Austritts- und Wechselbarrieren, die man nach einiger Zeit bei Communities feststellen kann.

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Checkliste

Grundsätze für erfolgreiches Online-Beziehungsmarketing, um langfristig Vertrauen aufzubauen von Dr. Oliver Nickel.

  1. Optimieren Sie die emotionale Bindung durch vom Benutzer definierbares Customizing.
  2. Stellen Sie die Zielgruppe und deren Tonalitätserwartungen sowie deren Involvement über Designaspekte. Websites sind für die Zielgruppe, nicht für die Designabteilung oder für Design-Awards.
  3. Optimieren Sie Dialogkomponenten nicht nur auf der Startseite, sondern auch über die einzelnen Navigationsstufen hinweg.
  4. Stellen Sie nicht alles ins Web nur weil sich angeblich Ihre Zielgruppe generell für diese Thermen interessiert.
  5. Machen Sie kein Geheimnis aus dem, was es auf Ihrer Site gibt. Sorgen Sie schnell für Klarheit und Verständnis. Manchmal hilft „Kiss“, „keep it simple und stupid“.
  6. Denken Sie zunächst intensiv über ihre Marken nach. Markenforschung benötigt ein valides Konzept, Sie brauchen Handlungsorientierung und Explorationstiefe.
  7. Überprüfen Sie die Wirkung Ihrer Website anhand definierter Ziele.
  8. Übertragen Sie den Markenkern, die Identität, auch auf Ihren Internetauftritt. Ganz wichtig: „Web follows Brand“, nicht umgekehrt.
  9. Internet ist nicht nur Front-End, optimieren Sie also Ihre Back-End-Prozesse. Hier geht oft am Front-End erarbeitetes Vertrauen wieder verloren.
  10. Erhöhen Sie die Convenience mittels hierarchischer Informationsvermittlung. Die Folge: mehr Übersicht, geringere Ladezeiten.
  11. Und letztendlich: Benutzerfreundlichkeit geht vor Schönheit. Die meisten Dislikes beim Internetkontakt entstehen entweder durch Over-Engineering oder durch Technik-Mängel. Auch durch sichere und verlässliche Systeme entsteht Vertrauen.

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Autor: Dr. Oliver Nickel, Geschäftsführer der ICON-WEBMAX GmbH, Nürnberg
eingestellt am 20.06.2001