Zurück zum Wesen der Kommunikation

Kommunikations-Profis entschuldigen sich meist mit der Werbeflut, wenn die Wirkungswerte ihrer Maßnahmen sinken. "Zu kurz gegriffen", sagt Dr. Klaus M. Bernsau. Für den Experten heißt menschliche Kommunikation gegenseitiger Austausch. Und das habe Folgen.

Die Medienwissenschaft der letzten 40 bis 50 Jahre lenkt uns von einer Tatsache ab: Seit Menschen die Fähigkeit haben, zu sprechen, kommunizieren sie unverändert. Die Clan-Mitglieder am Feuer, die Jäger auf der Pirsch, die Handwerker bei der Arbeit, Liebespaare in inniger Zweisamkeit, Nachbarn am Gartenzaun, Kumpels in der Kneipe, Verkäufer im Laden oder Top-Manager am Handy – sie alle verhalten sich gleich. Das Wesen und die Ausprägung von Kommunikation entspringt unserer 100 000-jährigen Menschheitsgeschichte.

Kommunikation bedeutet, eine gemeinsame Sprache zu finden
In den letzten 40 bis 50 Jahren stand die Massenkommunikation, eine einseitige Kommunikationsform vom so genannten Sender zum so genannten Empfänger, im Zentrum des Interesses. Inzwischen beobachten wir, dass die Kommunikationsmaßnahmen weniger wirken und die vorherrschenden Erklärungsansätze nicht mehr genügen. Ein sehr einfacher Weg, das Wesen der Kommunikation zu begreifen, ist das so genannte Tangramexperiment. Beim Tangram legen Spieler aus sieben geometrischen Steinen Figuren. Unser Experiment ist ein gutes Stück einfacher: Der erste Teilnehmer kennt bereits die Lösung. Er hat eine Lösungsskizze oder die fertige Figur vor sich liegen und versucht nun, dem zweiten Teilnehmer zu beschreiben, wie dieser die Steine anordnen muss. Nummer eins kann allerdings nicht sehen, was Nummer zwei gerade macht. Wer je im technischen Telefonsupport gearbeitet hat, kennt die Situation.

Aber zu welchen Erkennnissen führt das Zusammenfügen von Steinen? Nun, probieren Sie es aus. Mit 100-prozentiger Garantie erleben Sie, dass derjenige, der die Steine legen soll, mit zunehmender Zeit und mit zunehmenden Misserfolg eine wichtige Rolle übernehmen wird. Eigentlich sollte er doch nur zuhören und die Anweisungen ausführen. Häufig übernimmt er durch ständiges Rückfragen und Rückversichern sogar die Gesprächsführung. Auch werden Sie erleben, dass beide Gesprächsteilnehmer beginnen, die Begriffe für die geometrischen Formen neu zu definieren und abzusichern, obwohl wir doch vermuten sollten, dass ‚Dreieck‘, ‚Quadrat‘, ‚rechter Winkel‘, ‚waagerecht‘, ’senkrecht‘ und ähnliche Begriffe seit der Grundschule zum Grundwissen gehören.

Die Gesprächpartner bilden ein lernendes System
Das Experiment gelingt immer, unabhängig davon, ob die Teilnehmer wissen, was sie erwartet oder nicht. In seltenen Fällen gerät der Test zu einem Krisenexperiment und einer der beiden Teilnehmer bricht das Experiment ab. Aber auch dies tut der Aussage zum Wesen der Kommunikation keinen Abbruch, eher im Gegenteil: Gelungene Kommunikation entsteht in einem wechselseitigen Prozess. Wenn man ein Paar wiederholt unterschiedliche Figuren lösen lässt, entstehen so Lerneffekte und Routinen, die die Gesprächanteile stärker zum Lösungsinhaber verlagern. Den Extremfall der quasi-militärischen Kommunikation praktisch ohne Rückfragen wird man nur bei größter Routine und fast nie durchgängig erreichen.

Der direkteste Weg von Mensch zu Mensch führt über einen Umweg
Welche Konsequenzen ergeben sich nun daraus für die Unternehmenskommunikation, beispielsweise für eine klassische Kampagne, die Pressearbeit oder die Gestaltung von Produktprospekten? Weit verbreitet, aber absolut irrig ist der Glaube, der Initiator der Kommunikation, der so genannte Sender, könne aktiv zum Gehirn oder zum Bewusstsein eines Empfängers durchdringen. Das Reden über Widerstände und deren Durchbrechen oder Überlisten, die vermeintlich direkte Wirksamkeit der Ausgestaltung von Kommunikationsbotschaften oder Kommunikationsträgern, all dies sind Modelle, die den gesicherten anthropologischen Konstanten von uns Menschen widersprechen oder zumindest nicht entsprechen. Es gibt keinen direkten Weg von einem Gehirn ins andere und auch keinen direkten Weg einer Botschaft oder einer Bedeutung ins Bewusstsein eines Menschen. Der Weg ist immer indirekt, es bedarf immer – wie beim Tangramexperiment – der aktiven Mitarbeit der Personen, die es gilt, zu erreichen.

Und man muss energisch darauf hinweisen: Es gibt tatsächlich nur eine Form der Kommunikation und die ist das Gespräch. Diese Fähigkeit haben wir ausgebildet, um als Gemeinschaft erfolgreicher zu sein, sei es bei der Jagd, der Erziehung unserer Nachkommen oder der Vermittlung von Zielen über den Tag hinaus. Menschen kommunizieren auch heute nicht über zwei, drei oder vier verschiedene ‚Programme‘ . Sie variieren nicht wie Computer-User zwischen Word, Excel oder PowerPoint, je nach dem, welche Aufgabe sie lösen. Es gibt keine extra Kommunikationsfähigkeit, je nachdem ob sie fernsehen, Zeitung lesen oder SMS schreiben. Auch bei Ulrich Wickert setzen wir uns quasi ans Lagerfeuer und lauschen ihm wie früher unseren Stammesältesten.

Kommunikationsführung heißt, den Gesprächsprozess zu steuern
Für Kommunikations-Profis hat dies grundsätzliche Folgen. Sie werden sich künftig viel stärker mit den Erkenntnissen der Konversationstheorie, der Gesprächsanalyse, der Ethnomethodologie oder Semiotik planen und agieren. Im Zentrum steht die qualitative Prozessgestaltung und Prozesskontrolle, weit mehr als Modelle und Theorien der Massenkommunikationsforschung, der Reiz-Reaktion-Psychologie oder einer quantitativen Konsumentenforschung. Auch die oft geschmäcklerische Bewertung der Gestaltung von Kommunikationsmitteln rückt in den in den Hintergrund.

Noch lebt die professionelle Unternehmens- und Marketing-Kommunikation ganz gut mit dem Dilemma, dass sie sich regelmäßig auf einwegige, statische Maßnahmen fokussiert, während Kommunikation im Wesen dialogisch und prozesshaft ist. Die Fachöffentlichkeit ist zurzeit noch eher der quantitativen Marktforschung verhaftet, einer mechanistischen Imagery-Technik, einem AIDA-Prinzip, das letztlich nur ein Viel-hilft-viel-Denken in pseudo-wissenschaftliche Formeln packt. Auch die populäre Neuropsychologie verpackt viel zu oft alten ‚Stimulus-Response-Wein’ in neue ‚bildgebende Schläuche’.

Doch die Warnzeichen einer abnehmenden Wirksamkeit oder besser eines stärkeren Bewusstsein für eine immer schon schwache Wirkung von Einweg-Kommunikation steigen und der Rechtfertigungsdruck auf die Kommunikatoren wächst. Neue individualistische Medien wie das Internet und das Handy tun ihr Übriges. So werden der Einfluss qualitativer Methoden, konstruktivistischer Strategien, lernender Systeme und einer kommunikativen Öffnung von Unternehmen für das Verständnis der Anderen – seien es Kunden, Vertriebspartner oder Mitarbeiter – stetig wachsen. Dann stehen sie wieder im Mittelpunkt – die Fragen über das Wesen der Kommunikation.

Autor:
Dr. Klaus M. Bernsau ist Inhaber der KMB Konzept Management Beratung für Unternehmenskommunikation. Der Fokus seiner Beratertätigkeit liegt auf der Effizienz- und Wirkungssteigerung für Kommunikation.

eingestellt am 22. September 2006