„Zukunftsreparaturen“: Ideen für die Post-Corona-Wirtschaft

Ist spätestens nach der Corona-Krise ein grundlegender Strukturwandel in der deutschen Wirtschaft notwendig? Geht es nach Prof. Dr. Henning Vöpel vom Hamburgischen Welt Wirtschaftsinstitut (HWWI) und dem früheren Bildungsminister Dr. Klaus von Dohnanyi, kann die Antwort auf diese Frage nur „ja“ lauten, wie sie in einem Positionspapier deutlich machen. Eine Zusammenfassung der Kernaussagen, die auch den Rahmen für Marketing-Entscheidungen setzen.
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Wirtschaft nach der Corona-Krise: "Der Ausnahmezustand kann kein Modell, schon gar keine neue Normalität sein. Umso deutlicher zeigt sich dadurch, dass es an der Zeit ist, klügere Lösungen zu entwickeln." (© Unsplash)

In einem 18-seitigen Positionspapier haben sich HWWI-Wissenschaftler Henning Vöpel und der Jurist Klaus von Dohnanyi mit den ökonomischen Folgen der Coronavirus-Pandemie beschäftigt.

Die Corona-Krise treffe auf eine Welt, „die schon längere Zeit intensiv und beunruhigt über notwendige strukturelle Veränderung unserer Art zu wirtschaften diskutierte“, schreiben Vöpel und Von Dohnanyi. Und weiter: „Klimawandel, Klimaschutz, Umweltschutz, Digitalisierung und globale Abhängigkeiten, insbesondere im Bereich der Kommunikation, beherrschten die politischen Debatten. Diese Fragen bleiben bestehen und werden durch ein Konjunkturprogramm gegen die Folgen der Pandemie nicht beantwortet.“

Die Ausführungen der beiden Autoren sind auch für die Marketingbranche lesenswert, zahlen sie doch auf diverse gesellschaftliche und gesamtwirtschaftliche Entwicklungen ein. Ein Zusammenschnitt der Kernaussagen des Positionspapiers „Zeitenwende: Für ein Post-Corona-Zukunftsprogramm“:

Corona-Krise: Prosperität vs. Pessimismus

Gerade weil das Ende der Pandemie noch für viele Monate offen bleiben wird, braucht das Land in dieser Phase der Unsicherheit eine überzeugende Strategie für unsere wirtschaftliche Zukunft. Wenn der Krise nicht jetzt eine Idee neuer Prosperität entgegengesetzt werden wird, könnten sich mit Pessimismus und dem Verlust jeder Zuversicht auch die ökonomischen Verwerfungen weiter verstärken. Denn ein „Konjunkturprogramm“ beinhaltet schon als gewohnter Begriff kaum mehr als eine Strategie der Rückkehr zum Status quo ante, auch wenn die Bundeskanzlerin auf dem Petersberger Forum die Einbeziehung des Klimaschutzes in das Konjunkturprogramm zugesagt hat. Doch die Aufgaben sind größer, denn konjunktureller Anschub allein hätte schon ohne die Corona-Krise die vor uns liegenden Probleme auf dem Gebiet des Arbeitsmarkes nur begrenzt lösen können.

Die weltweite Lähmung wirtschaftlicher Aktivität hat einerseits Einkommen, Ersparnisse und Vermögen weltweit gefährlich schrumpfen lassen, aber andererseits werden die bisherigen Produktionsstätten zunächst fast unbeschädigt fortbestehen. So wird „nach Corona“ ein weitgehend unverändertes, für großen Wohlstand aufgebautes, globales Angebotspotenzial einer zwangsläufig deutlich verminderten und zögernden Nachfrage gegenüberstehen. Hier sind die dramatischen Folgen von Corona schon jetzt erkennbar: Die Einkommen sind bei einem großen Teil der Menschen geschrumpft, Ersparnisse wurden angegriffen.

Konsumkaufkraft entsteht durch nichts anderes als durch bezahlte Arbeit

Ebenso brechen die Erwartungen der Unternehmen massiv ein. Das wird vermutlich auch in den nächsten Jahren anhalten. Eine hartnäckige Deflation könnte die Folge sein. Im Kampf um das unternehmerische Überleben werden wir folglich einen harten Kosten- und Preiswettbewerb erfahren, mit möglicherweise einer Vielzahl von Insolvenzen. Besonders kleinere und mittlere Unternehmen werden wiederum betroffen sein. Das aber heißt, nur wenn es gelingt, auch die Nachfrage im Konsum wieder zu stärken, kann eine Überwindung der Corona-Folgen gelingen.

Konsumkaufkraft entsteht aber nur durch Arbeit, durch nichts anderes als durch bezahlte Arbeit – und diese wiederum nur durch eine entsprechende Nachfrage der Unternehmen und Verwaltungen nach Arbeit. Keine Marktwirtschaft, keine Gesellschaft kann nämlich über einen längeren Zeitraum eine substanzielle Konsumnachfrage durch staatliche Transferzahlungen finanzieren. Für jede demokratische Politik sind deswegen auch ertragreiche Unternehmen ein unentbehrliches Fundament.

Der Zeitpunkt für „Zukunftsreparaturen“ ist günstig

Diese Krise darf daher weder als das Ende von Wachstum und Marktwirtschaft noch als ein Beginn einer neuen Staatswirtschaft interpretiert werden. Das aber ist offenbar der deutschen Gesellschaft nicht überall klar genug. Denn die Debatte, ob Leben wichtiger sei als Wirtschaft, bringt niemanden weiter. Während wir bemüht sind, die Pandemie einzudämmen, müssen wir doch zugleich alles tun, um die Wirtschaft in Gang zu halten – letztlich finanziert ja nur Arbeit das Gesundheitssystem und den Sozialstaat. Es täte der gebeutelten Wirtschaft und dem Lande gut, wenn die Bundesregierung zu diesem unvermeidlichen Konflikt eine noch klarere Position beziehen würde.

Nicht nur in der Krise, sondern auch in der Zeit danach geht es um die Frage, wie Vertrauen und Zuversicht bewahrt und wieder gestärkt werden können. Es ist zu erwarten, dass sich daran harte Konflikte um die politische Deutungshoheit und ideologische Entwürfe von Gesellschaft, Staat und Ökonomie entzünden werden, und zwar vor dem Hintergrund möglicher schwerer sozialer und wirtschaftlicher Verwerfungen und in einem Umfeld von Populismus und Fake news. Umgekehrt besteht jetzt, in und unmittelbar nach der Krise, die Möglichkeit, unsere „Zukunft zu reparieren“, wie Andrew Keen es beschreibt, indem wir jetzt nachholen, was wir versäumt haben. Der Zeitpunkt für diese „Zukunftsreparaturen“ ist günstig; sie könnten unsere Wirtschaft stärken und mit neuen Arbeitsplätzen der drohenden Depression entgegenwirken.

Schon vor Corona war klar, dass Deutschland einen Kurswechsel braucht

Wir dürfen nicht vergessen, schon lange vor der Pandemie war deutlich geworden, dass allein die großen vor uns liegenden Herausforderungen: Klimawandel, Klimaschutz, Umweltbedrohungen und die säkularen Umbrüche der Digitalisierung, erhebliche Transformationsprozesse und große Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt zur Folge haben werden.

So wird zum Beispiel die Umstellung auf den Elektromotor in der Automobilindustrie die bisherige Beschäftigung bei Herstellern und Zulieferern ohne Zweifel deutlich verringern; ebenso werden notwendige Umweltschutzmaßnahmen die Kosten in den Unternehmen erhöhen und wir selbst werden viele, bisher liebgewordene Verbrauchsgewohnheiten, wie die Ferien in fernen Ländern, überdenken müssen, wenn die Klimabelastungen wirklich reduziert werden sollen.

Aber auch hier werden immer wieder Arbeitsplätze betroffen sein, die nur durch aktiven Strukturwandel in einer innovationsfähigen Marktwirtschaft in neue Arbeitsplätze transformiert werden können. Es sind dies für uns unausweichliche Entwicklungen, die auch einen tiefgreifenden Wandel von Qualifikationen verlangen werden; Qualifikationen, denen jedenfalls im Umbruch ein Teil der Beschäftigten nicht ohne Weiteres wird entsprechen können. Die heutige Entwicklung der Beschäftigung in der Automobilindustrie möge hier nur als Hinweis dienen.

Das aber sind nicht nur konjunkturelle Probleme, sie wirken dennoch zunächst immer auch unmittelbar begrenzend auf den Arbeitsmarkt. Würden wir jedoch aus „konjunkturellen“ Gründen nach Corona die bisherige Wirtschaftspolitik einfach so weiterführen, blieben nicht nur diese Aufgaben ungelöst – die Rechnungen des Klimawandels und der Umweltzerstörungen träfen unsere Gesellschaft später umso härter, der unausweichliche Strukturwandel würde zu hohen Kosten weiter verzögert.

Das gilt gleichermaßen für den schon aus Gründen des europäischen und internationalen Wettbewerbs unvermeidlich zunehmenden Einsatz von Technologien der Digitalisierung, der Automation und der Folgen des Einsatzes Künstlicher Intelligenz. Auch durch diese Entwicklungen wird der Arbeitsmarkt umgewälzt und dabei nicht nur wesentlich andere Qualifikationen gefordert, sondern möglicherweise auch die Gesamtzahl der Beschäftigten nicht unerheblich reduziert werden. Ein Konjunkturprogramm würde auch hier nicht das angemessene Instrument sein. Im Gegenteil: Es könnte bestehende Angebotsstrukturen mit zielgerichteter Nachfrage stützen und den doch unausweichlichen Strukturwandel erschweren. Ein Beispiel wäre die Forderung nach einer neuerlichen „Abwrackprämie“ für die Automobilindustrie.

Die Corona-Krise ist eine dringliche Mahnung für eine neue Politik

Der Klimawandel ist bereits in vollem Gange. Nun gilt es, diesen zu begrenzen und zugleich auf die bereits auftretenden Klimafolgen sehr zügig zu antworten: Dürre, Waldbrände, Überschwemmungen, Stürme und andere Umweltbedrohungen. Wiederum: Ein „Konjunkturprogramm“, das diese Aufgaben nicht zugleich im Auge hat, wäre ein großer Fehler.

Es ist ja auch nur wenige Wochen her, dass ungeduldige Jugendliche freitags auf die Straßen gingen, um Politik für eine Klimazukunft zu fordern, die sie schon fast für verloren gaben. „Weg mit den großen Autos! Ein Ende der weiten Ferienflüge! Ein Ende der Wegwerfgesellschaft beim Klamottenkauf!“. So und mehr klang es uns entgegen. Doch nun scheinen die Forderungen endlich erfüllt: Die Flotten der großen Fluggesellschaften stehen am Boden; Mercedes senkte die Produktion und verlor massiv an der Börse, die Frühjahrskollektionen lagern unberührt im Einzelhandel. Offenbar leistete ein Virus in wenigen Wochen, was nationale Politik im Verbund mit EU und den Vereinten Nationen in vielen Jahren nicht wirklich erreichen konnte: Im Shutdown der globalen Wirtschaft ging angeblich der CO2-Ausstoß zum ersten Mal leicht zurück – doch zu welchem Preis!

Der Corona-Ausnahmezustand kann kein Modell, schon gar keine neue Normalität sein. Umso deutlicher zeigt sich dadurch, dass es an der Zeit ist, klügere Lösungen zu entwickeln, als auf einen erzwungenen Stillstand zu warten – der im Falle des Klimawandels dann keinen Exit mehr hätte. So ist die Corona-Krise eine dringliche Mahnung für eine neue Politik.

Die Corona-Krise wirkt disruptiv und handlungsleitend zugleich

Jetzt geht es einerseits darum, wieder zu beleben, was noch vor wenigen Monaten zwar höchst leistungsfähig, aber eben zum Teil auch ökologisch bedenklich war, und andererseits in diesem Prozess zugleich eine ökologische Umsteuerung der Wirtschaft vorzunehmen, ohne die Substanz des Wohlstandes der Vor-Corona-Zeit zu verlieren. Nicht nur ein Konjunkturprogram wird also notwendig sein, sondern ein ökologisches Strukturprogramm, das zugleich konjunkturell den Anschub heimischer und europäischer Nachfrage leistet.

Ja, mehr noch: Die Corona-Krise selbst liefert den Anlass dafür, über wohlfahrtsteigernde Nachhaltigkeit und Wertschöpfung neu nachzudenken; sie wirkt also zugleich disruptiv und handlungsleitend.

Zeitenwende: Für ein Post-Corona-Zukunftsprogramm

Das komplette Positionspapier enthält tiefergehende Ausführungen unter anderem zu …

  • … einer Stärkung von Zuversicht und Prosperität
  • … den kostspieligen Folgen einer verschleppten Politik
  • … einer möglichen Erneuerung der Sozialen Marktwirtschaft
  • … der Stärkung eines föderalen Europas
  • … der Chance für ein neues Risikomanagement

Der Inhalt des Textes repräsentiert die persönliche Meinung der Autoren und stellt nicht zwingend die Meinung des HWWI beziehungsweise der ihm angehörenden Wissenschaftler dar. Das komplette Positionspapier steht Ihnen hier zum Download bereit.

(he, Jahrgang 1987) – Waschechter Insulaner, seit 2007 Wahl-Hamburger. Studierte Medien- und Kommunikationswissenschaften und pendelte zehn Jahre als Redakteur zwischen Formel-1-Rennstrecke und Vierschanzentournee. Passion: Sportbusiness. Mit nachhaltiger Leidenschaft rund um die Kreislaufwirtschaft und ohne Scheuklappen: Print, live, digital.