Zukunft der Innenstadt: An Ideen mangelt es nicht

Die Art des Shoppens ist seit langem im Wandel. Die Corona-Pandemie beschleunigt manches – das betrifft auch den Einkaufsbummel. An Ideen für ein neues Lebensgefühl in Innenstädten mangelt es nicht.
Ob die Lust am Shopping in den Innenstädten in alter Form zurückkehrt, darüber wird breit diskutiert. (© Imago)

Gut gefüllte Tüten nach dem Einkaufsbummel waren lange ein Signal: für den Erfolg der Shopping-Tour, für den Umsatz in Läden und manchmal sogar für Glücksgefühle über neue T-Shirts und Hosen. Corona hat diese Art des Konsum-Trubels zusammenkrachen lassen. Inzwischen registriert der Handelsverband Deutschland (HDE) zwar eine Rückkehr von Kunden in die Innenstädte.

Doch fühlt es sich in den Einkaufsmeilen von Berlin, Hamburg, Düsseldorf und München wieder so an wie vor der Pandemie? Ob die Lust am Flanieren und Einkaufen in alter Form zurückkehrt, darüber wird breit diskutiert.

„Manche hoffen noch“

„Manche hoffen noch, dass das klassische Einkaufsverhalten einfach zurückkommt – und es wie früher wird. Das wird so nicht passieren“, sagt Max Thinius, Berater und Experte für Zukunftsfragen aus Berlin.

Er beobachtet – außer dem schon breit beschriebenen Online-Boom – noch eine andere Verschiebung. Durch Corona und das damit verbundene Homeoffice hätten viele Leute ihr nahes Umfeld schätzen gelernt, erläutert Thinius.

Renaissance der Viertel?

Die Folge kann eine Renaissance der Viertel sein. Und: „Das führt dazu, dass Innenstädte, die schon vor Corona im Sterben lagen, jetzt umso mehr umstrukturiert werden müssen: Wohnungen, digitales Handwerk muss zurückkommen.“ Lange Wege, unübersichtliche Malls und Gedränge auf Rolltreppen sind für manche Kunden spätestens in der Pandemie zu Stimmungskillern geworden.

Das heißt auch: Es geht nicht nur um einen veränderten Einkaufsbummel. „Nicht erst seit der Corona-Pandemie zeichnet sich ein Wandel in den Innenstädten ab, über den wir nicht hinwegsehen dürfen“, stellt der Deutsche Städtetag als Zusammenschluss von rund 3400 Städten und Gemeinden fest.

Analyse zur Zukunft der Innenstadt

In der Analyse „Zukunft der Innenstadt“ von Juli 2021 listet der Verband den Wandel auf: den Wunsch vieler nach mehr Ökologie und regionalen Waren, nach weniger Lärm, aber auch nach der Bequemlichkeit des Einkaufs vom Sofa, nach Nähe von Wohnen, Arbeit, Konsum, Unterhaltung und persönlichen Kontakten. Trotz zahlreicher neuer Konzepte sei vieles noch offen: Innenstädte würden „Reallabore“ zum Erproben von Innovationen.

Ein Projekt, an dem ein kleiner Zukunftsaspekt ausprobiert wird, ist die „Flaniermeile“ Friedrichstraße in Berlin. Als Einkaufsort ist sie schon länger ein Problemkind mit Leerständen. Seit 2020 sind Autos von einem Teilstück verbannt. In der Mitte wurde eine zweispurige Fahrrad-Autobahn gelb-weiß markiert. Cafés haben sich mit Tischen und Stühlen auf Straßenteile und Bürgersteige ausgedehnt. Alltags sitzen dort Menschen – auch aus umliegenden Büros – und plaudern. In einem Kaufhaus und einem Modegeschäft ist es an diesem August-Tag eher leer. Verkäuferinnen tippen auf Handys herum.

Ein Sprecher der Projektentwickler sagt, der Versuch laufe erfolgreich – auch wegen der neuen, eher entspannten Stimmung. Er sei bis mindestens Ende Oktober geplant. An die schnellen Radfahrer würden sich Fußgänger beim Wechseln der Straßenseite rasch gewöhnen. Kritiker, etwa aus der Wirtschaft, monierten schon vor Beginn 2020, das Konzept sei zu wenig in einen Gesamtplan eingebunden.

Planer sollten mit Faulheit der Menschen rechnen

Auch aus Sicht von Theresa Schleicher, Handelsexpertin beim Zukunftsinstitut, erfordert der Wandel der Städte einen großen Wurf. „Die Menschen wollen weiter flanieren. Aber dafür nicht so weite Wege haben“, meint sie. Neue Verkehrskonzepte sind Teil des Wandels. Aber Planer sollten aus ihrer Sicht auch mit der Faulheit vieler Menschen rechnen. „Internethandel und die Geschäfte in den Innenstädten werden oft als Gegenpole gesehen. So einfach ist das nicht“, sagt Schleicher.

Es gehe um eine kluge Integration der Online-Optionen: Läden können zum Beispiel das Angebot machen, per Internet einen Parkplatz zu reservieren – und die Umkleidekabine. „Denn das Warten vor Kabinen wird als lästig empfunden.“ Ein Platz im nahen Restaurant könnte dort buchbar sein. „Außerdem muss es eine super Logistik geben, um die Einkäufe nach Hause zu liefern.“

Das Modell der „15-Minuten-Stadt

Schleicher, Thinius und andere halten Modelle einer sogenannten „15-Minuten-Stadt“ für spannend, wie sie etwa in Paris vorangetrieben werden. Dabei sollen Bürger und Bürgerinnen möglichst zu Fuß oder mit dem Fahrrad in 15 Minuten alles im Alltag Wichtige erreichen können: etwa Job, Kita, Schule, Arzt, Park, Sporteinrichtungen, Theater, Kino und Läden.

Als Optimistin erwartet Schleicher „auf längere Sicht kein Handelssterben in den Innenstädten“, sondern eher ein höheres Aufkommen. „Aber dabei wird es viel kleinere Einzelflächen geben, nicht die großen Läden“, sagt sie. Thinius meint: „Es geht bei diesem Umbruch nicht nur um den Handel, sondern auch um eine regionale, nachhaltige Fertigung der Waren.“

Sparsamkeit vs. Konsum-Lust

Der Einkaufsbummel dürfte sich in einem anderen Umfeld also in Zukunft anders anfühlen. Trotzdem gilt weiter, dass der Körper bei einem kleinen Kaufrausch oder dem Gefühl, Bedürfnisse zu befriedigen, Glückshormone ausschütten kann. „Wenn die Pandemie ihren Schrecken verliert und die damit verbundenen Restriktionen wegfallen, werden wir keine vernünftigen, sparsamen und nachhaltigen Konsumenten erleben, sondern Menschen, die den erzwungenen Lust-Verzicht wieder aufholen wollen“, prognostiziert der Diplom-Psychologe und Autor Hans-Georg Häusel.

Ob Menschen ihre „Glücks-Tüten“ stärker im Ladengeschäft oder stärker online kauften, hänge weiterhin vom Typ der Ware, dem Wohnort und dem Alter ab, urteilt der Experte für Konsumverhalten. Auch Stadtplaner könnten hier sicher ihren Teil beitragen.

Von Petra Kaminsky, dpa