WM oder Mozart? Warum „oder“?

„Mozart und die WM kommen sich nicht in die Quere“ – berichtet überrascht der Feuilletonist (in der NZZ), nachdem er einen Blick auf den dichten Terminkalender mit dem irritierenden Titel geworfen hat: „Mit Mozart durch das WM-Jahr“. Beängstigt versucht er sich diese gelungene Terminkoordination damit zu erklären, dass womöglich „die angesprochene Klientel sich für beides interessiert“.

Rechtfertigen lässt sich die offensichtliche Irritation über diese Möglichkeit nur mit einer tief verwurzelten Vorstellung davon, dass Hochkultur und Alltagskultur sich deutlich unterscheiden und dass Fußball eindeutig letzterem und Mozart eindeutig ersterem zuzuordnen ist. Beides verkennt aber die wirklichen Zusammenhänge und ignoriert damit auch einen wesentlichen Aspekt der Attraktivität von Fußball und Mozart. Denn beiden gemeinsam ist die Ambivalenz genau in Bezug auf das tradierte Gegeneinander von (anspruchsvoller und „ehrenwerter“) Hochkultur und (stumpfsinniger und „verdummender“) Alltagskultur. Diese Ambivalenz ist geradezu der Kern ihres jeweiligen marketingstrategischen und –technischen Erfolgsrezepts.

Dem Feuilletonist kann es heutzutage nicht mehr gelingen, dem intellektuellen oder dichtenden Fußballfan ein schlechtes Gewissen einzureden, wenn ihn das Fußballfieber packt. Er stellt nur noch sich selbst ins Abseits. Sicher ist Franz Beckenbauer der Zeit wieder einmal etwas voraus, wenn er „Fußball zur Hochkultur“ erklärt. Es ist aber offensichtlich längst so, dass Fußball nicht mehr nur am Stammtisch besprochen wird. Ganz offen bekennt sich stellvertretend Peter Bichsel zum Fußball: „Ich interessiere mich dafür, und er gefällt mir“. Und er beschäftigt sich in seinen Kolumnen nicht weniger als 65 Mal mit ihm – durchaus auch kritisch und differenziert. Mit den berühmten „gemischten Gefühlen“ eben. So wird dann Alltagskultur hoffähig.

Und genau umgekehrt verhält es sich wohl mit Mozart. Dessen Profil ist zunächst auch und vor allem ambivalent. Sein Name steht inzwischen für anspruchsvolle Opern und für leicht verdauliches Süßes. Die mit ihm verbundenen Produkte reichen vom Ohrwurm bis zum kaum mehr Repertoirefähigen. Seine Vertriebsmannschaft umfasst Massenvermarkter und Avantgardisten. Seine Lebensgeschichte hat inzwischen beliebig viele und unterschiedliche Bilder hervorgebracht. Der Feuilletonist (Die Zeit) bekommt ihn also nicht zu fassen: „Mozart ist ein Einfach-Schwieriger. Ist ein Kind-Gott-Engel-Mensch. Ist ein Witz-Ernst-Nacht-Sonnen-Künstler. Ist ein Bewahrer-Vollender-Erneuerer.“

Für ihn (den Feuilletonisten) hat die Ambivalenz der Mozart-Bilder geradezu unerträgliche Folgen. Der aktuelle Vermarktungserfolg des „Pop-Mozart“ wäre für ihn nur noch verachtenswert, wenn er darauf basieren würde, dass dieser „angeblich Musik geschrieben hat, die jeder auf der Welt versteht“. Hochkultur verliert in dieser Sicht in dem Moment ihren Glanz, wenn sie alltagstauglich wird. Den „übermutigen Komödianten“ mögen wir vergessen, den „Ironiker, den sarkastischen Spieler mit Täuschung und Wahrheit“ in unsere Herzen einschließen.

Ambivalenzen, zumindest wenn sie die Trennlinie zwischen Hoch- und Alltagskultur durchlöchern, scheinen nicht nach dem Geschmack des Feuilletons. Unter Vermarktungsgesichtspunkten sind sie dagegen offensichtlich kein Problem. Viele von uns mögen sie. Sicher auch, weil wir mit ihnen gut umgehen können.

Über den Autor: Dr. Jürgen Häusler ist CEO von Interbrand Zintzmeyer & Lux