Wird Marketing-Kommunikation endlich zählbar?

„Marketing ist the new finance“ – Diese Äußerung von Adobe Marketing-Chefin Ann Lewnes gegenüber der absatzwirtschaft wird Realität: Das Handeln digitaler Werbung wird automatisiert. Dahinter stehen intelligente Algorithmen, die genau analysieren, wo der für den Werbungtreibenden interessante User gerade ist. Mit Cross Channel Attribution sind Unternehmen dem Kunden auf der Spur.
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Von Christian Thunig und Anne-Kathrin Keller

Audience Management, Allokations- und Attributionsmodelle: Vorbei scheint damit die Zeit, wo Marketer nicht wussten, welcher Teil des Budgets zum Fenster hinausgeworfen wird. Im Zuge des Realtime Advertising scheint jedes Werbemittel zählbar, dem man ein Cookie oder Pixel mitgeben kann. Ermittelbar ist im Grunde jede einzelne Aktivität eines Nutzers oder potenziellen Käufers ohne freilich seine IP-Adresse oder gar Namen zu kennen – über alle Kanäle, zu jeder Zeit in jedem Website-Kontext in Echtzeit.

Aller Euphorie zum Trotz kommen kritische Stimmen. „Online Marketing fokussiert immer noch viel zu stark auf alles was technisch messbar ist beispielsweise Klicks“, sagt Dr. Christian Bachem, Partner bei Companion Strategieberatung. „Viel wichtiger wäre es, sich auf das zu konzentrieren, was man nicht unmittelbar messen kann, wie Werbewirkung.“ Targobank-Vorstand Jürgen Lieberknecht pflichtet ihm bei. Er hat angekündigt, dass Unternehmen bei Online-Werbung eher wieder kürzer treten werden. „Wenn man Online mit Fernsehen oder Print vergleicht, bleiben einfach in der Online-Werbung noch zu viele Fragen offen.“

Dennoch: Die wachsende Zahl an technischen Lösungen zeigt den Wandel der Branche. Die Rolle von Mediaagenturen wird neu bestimmt, Vermarkter, Publisher und insbesondere Werbekunden verschaffen sich Zugriff auf die Systeme.
Wie verändern diese Systeme tatsächlich das digitale Marketing?

Usercentric versus Umfeld

Belegten Werbungtreibende wie Procter & Gamble bestimmte Umfelder auf Websites, können sie sich heute mit Hilfe der Attributionssysteme auf den einzelnen Nutzer konzentrieren. Nicht das Werbeumfeld einer Publikation ist entscheidend, sondern der einzelne Surfer, der auf Websites unterwegs ist. Somit müssen die Unternehmen keinen breitgestreuten Traffic mehr kaufen.
Experten schätzen, dass Werbungtreibende zukünftig nur noch 25 Prozent der angebotenen Page-Impressions nehmen und den Rest wieder an das Network oder die Agentur zurückgeben. Die datengetriebene Entscheidungen im digitalen Marketing erfasst dabei zwei Komponenten: einmal die granulare Bewertung und Selektion der Werbekontaktchance vor dem Kauf anhand von Attributionsmodellen. Zum anderen die Echtzeit-Entscheidung über die inhaltliche Werbebotschaft für exakt diesen Werbekontakt mit Hilfe von Realtime-Bidding-Systemen.

Auswertung der Customer Journey über Attribution

Die User können genau ausgewertet werden. Jeden einzelnen Schritt, jeder einzelne Klick von einer Suche in Google, über einem Banner auf einer Website y, mobile Ads x zu einem E-Mail-Newsletter z und dann im Idealfall zum Kauf. Dieses lückenlose Multichannel-Tracking der Reise eines Users (Customer Journey-Analyse) können Datenanalysten auf ihrem Bildschirm verfolgen und jeden einzelnen Schritt bewerten. Die Folge ist die Verbesserung des Zusammenspiels der Kampagnen. Bei einigen Systemen ist es sogar unerheblich, ob der Nutzer den Banner klickt oder nur sieht. Einige Programme können heute schon errechnen, ob der Banner im Sichtfeld des Nutzers war oder nicht.

Weitere Daten fließen ein

Neben der Customer Journey sind Daten aus dem Customer Relationship Management (CRM) nutzbar. Damit kann auch die Kundenhistorie in die Bewertung eines Nutzers mit einbezogen werden. Beispielsweise können E-Commerce-Anbieter einzelne Kunden mit deren Retouren in Verbindung bringen. „Wir können anonymisiert über Warenkorbanalysen sowohl margenstarke Kunden identifizieren als auch Kunden mit hohen Stornoquoten herausfiltern und so die Effizienz von Display Werbung für den Werbungtreibenden nachhaltig steigern“, sagt Mischa Rürup, Geschäftsführer des marktführenden Technologieanbieters für Bid-Management und Multichannel-Tracking Intelliad. „Attributionsmodelle führen letztlich dazu, dass auch Branding Werbung zukünftig messbar wird und damit performanceorientiert eingekauft werden kann.“

Mischpult der Kommunikationskanäle

In einer weiteren Ausbaustufe können künftig nicht nur strukturierte Daten wue CRM Einträge und Click gemessen werden. In dem Trend „Big Data“ stecken Geschwindigkeit, Vielfalt, Menge und die Analyse-Fähigkeit, den Wert auch entschlüsseln zu können. Gerade in der Vielfalt der Daten liegt Potenzial um Marketing Maßnahmen genauer zu steuern. Daten-Experten von Splunk und System-Integratoren wie T-Systems beschäftigen sich unter dem Stichwort Campaign Analytics mit der Verknüpfung von klassischen Werbekampagnen mit Viralität und den Bewertung in sozialen Netzwerken. „Wir sind damit in der Lage, alle Systeme, die Daten liefern, wie E-Mail-Kampagnen-Management-Systeme, CRM, Webtracking-Tools oder Adserver zusammenzuschließen und mit semantischen Analysen aus Social Media Plattformen zu ergänzen“, so Christian Glatschke, technischer Direktor bei Splunk.

Aufgrund der permanenten Analyse der Wirksamkeit von Kanälen, können jederzeit Budgets in Kanäle umgehoben werden, die besser funktionieren. Zudem lassen sich aufgrund der wachsenden Daten touchpoint-orientierte Strategien entwickeln.

Broker statt Marketer

Das erfordert allerdings auch einen völlig neuen Typ von Marketingmenschen. „Wir suchen Banker, die Lust haben, den ganzen Tag auf Monitore zu schauen und wie Broker um das Werbegeld ständig neu umzushiften“, betont Jan Möllendorf, Geschäftsführender Gesellschafter bei DefactoX. In eine ähnliche Richtung gehen die Wünsche von Spree7-Chef Oliver Busch: „Unsere Kampagnen-Manager müssen heute weit mehr technisches Know-how mitbringen sowie eine hohe Affinität zu Arithmetik und Statistik aufweisen.“

Wer die Cookies hat, hat die Macht

Daten werden künftig der wichtigste Rohstoff. In diesem Sinne, kann jeder, der die für die Messung notwendigen Cookies auf Werbemitteln ausliefern darf, seine Vormachtstellung in Sachen Nutzerwissen ausbauen. Große Mediaagenturen hatten hier bisher einen Vorteil, denn sie liefern Cookies international auf den Werbemitteln ihrer Kunden aus und haben damit die Möglichkeit, sich einen riesigen Datenpool zu erarbeiten. Unternehmen könnten da auf die Idee kommen, dieses Wissen für sich zu reklamieren und auszuwerten. Procter & Gamble beispielsweise kommt schätzungsweise über ihre Kommunikation für Produkte in verschiedensten Sparten mit 40 Millionen Nutzern in Deutschland in Kontakt. Das bedeutet ein riesiges Potenzial an auswertbaren Daten für zukünftige Ansprachen, die mit jedem einzelnen weiteren Tag den Nutzer im Netz surfen, immer genauer und feiner werden.

Big Data ist nicht nur Buzz

Attributionsmodellen sind in der Lage je nach Anbieter zwischen 250. 000 bis 800.000 Datenpunkten von einer fünfstelligen Nutzerzahl auszuwerten und in 30 bis 50 Millisekunden anhand von einigen Parametern, die dem Nutzer entsprechen, zusammenzustellen und das Online-Werbemittel auszuliefern. Das bedeutet aber auch, dass mit jeder Operation das Wissen und damit die Datenmenge exponentiell wächst und leicht unüberschaubar wird. Wird Big Data allerdings richtig und zeitnah analysiert, können Handelsunternehmen ihre Marge um bis zu 60 Prozent verbessern, europäische Behörden sparen durch effizientere Prozesse 250 Millionen Euro pro Jahr ein, so eine Studie von McKinsey.

Viele neue Marktplayer

Der Marktplatz rund um die Bereitstellung, Auslieferung und Kontrolle digitaler Werbemittel füllt sich kontinuierlich. Experten schätzen, dass eine Marktbereinigung stattfinden wird, da sich das Spiel über die Fähigkeit zu internationalisieren entscheiden wird. Audience Management kommt im Zweifel nur für die großen Werbungtreibenden in Frage.

Kommen die Mediaagenturen in Bedrängnis?

Die Chancen der werbungtreibenden Kunden ohne Agenturen auskommen zu können, steigen. Allerdings richten sich auch kleinere Agenturen sukzessive darauf ein, Tradingdesks in irgendeiner Form anzubieten. Auch hier muss es allerdings zu einer Konsolidierung und Konzentration kommen. In den USA laufen 95 Prozent des Inventars bereits über die Plattform The Trade Desk. Für die großen Mediaagenturen wie Mediacom, die 850 Marken betreut, scheint es daher ein Gewinn zu sein: „Der Wettbewerb hilft uns, da bei zunehmender Fragmentierung der Kommunikationskanäle übergreifende Vermarktungsspezialisten gefragt sind“, sagt Oliver Blecken von Mediacom. Dabei geht es sicherlich nicht um das Handling der Masse des Inventars sondern um die Steuerung der begehrten Inventarplätze und um den Nachweis der Qualitätsmerkmale der Plätze. Und Kunden könnten es zwar selbst regeln, aber die Erfahrung zeigt, dass gerade die großen Kunden Angst haben, den Anschluss verpassen und daher auf eine Buy-Lösung bevorzugen.

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