„Wir können den Erfolg von Produkten mit Twitter vorhersagen“

Durch die Analyse einer großen Menge von Tweets lassen sich nicht nur Rückschlüsse über Zielgruppen ziehen, sondern auch exakte Vorhersagen für den Erfolg von Produkten am Markt treffen. Die amerikanischen Forscher Bernardo A. Huberman und Sitaram Asur vom Social Computing Lab bei Hewlett-Packard haben anhand von rund 2,89 Millionen Tweets von 1,2 Millionen Twitter-Nutzern herausgefunden, dass durchschnittliche Tweet-Raten und die Einspielergebnisse von Kinofilmen am Startwochenende korrelieren. Dazu fünf Fragen an Direktor Bernardo A. Huberman.

Herr Huberman, wie haben Sie analysiert, welche Zusammenhänge zwischen der Häufigkeit der Tweets zu einem bestimmten Film und dessen tatsächlichem Kassenerfolg am Startwochenende bestehen?

BERNARDO HUBERMAN: Wir nutzten zwei Methoden. Erstens: Bevor die Kinofilme herausgebracht wurden, maßen wir die Frequenz, in der Menschen über einen bestimmten Film twitterten. Indem wir diese mit vorhergehenden Freigaben kalibrierten und ein lineares Regressionsverfahren anwendeten, konnten wir die Twitter-Frequenz über einen gewissen Film mit den Einspielergebnissen am Startwochenende verbinden. Zweitens: Sobald ein Film veröffentlicht und von Twitterern gesehen worden war, maßen wir die Frequenz, in der sie twitterten und unterzogen die Inhalte der Nachrichten einer Empfindungs-Analyse. Diese klassifizierte Text-Inhalte automatisch als positiv, negativ oder neutral. Mithilfe dieser beiden Techniken gelang es uns in den folgenden Wochen, den Erfolg von Kinofilmen am Markt ziemlich präzise vorherzusagen.

Die Einnahmen am Startwochenende der Filme konnten sogar mit einer Treffgenauigkeit von 97,3 Prozent vorhergesagt werden. Worin liegt der Vorteil Ihrer Erhebung gegenüber der allgemein als treffsicher geltenden Prognosebörse „Hollywood Stock Exchange“?

HUBERMAN: Man muss ein bisschen vorsichtig sein, hinsichtlich dessen, was mit Zielgenauigkeit gemeint ist. Es ist wahr, dass wir besser abgeschnitten haben als der Börseninformationsdienst „Hollywood Stock Exchange“. Die 97,3 Prozent beziehen sich aber auf die Tatsache, dass nahezu alle Einspielergebnisse in der Twitter-Frequenz enthalten sind. Mit anderen Worten wurde keine andere Größe gebraucht, um den Erlös zu prognostizieren. Manchmal fallen die Vorhersagen mit dieser Technik sehr gut aus, zu anderen Zeiten allerdings nicht. Gleiches gilt für den Börsen-informationsdienst. Beides sind wahrscheinlichkeitstheoretische Techniken und deshalb sind sie nicht immer vollkommen akkurat.

Spielen auch noch andere Faktoren eine Rolle oder lässt sich der künftige Markterfolg allein anhand der Aufmerksamkeit vorhersagen, die ein zu erwartendes Ereignis auf sich zieht?

HUBERMAN: Im Fall der Kinofilme scheint Aufmerksamkeit der bestimmende Faktor zu sein, gemessen anhand einer Zahl von Tweets innerhalb eines vorgegebenen Zeitintervalls. Aber es gibt andere Faktoren wie zum Beispiel die Demographie. Die Zielgruppe von Twitterern ist nicht repräsentativ für die gesamte Bevölkerung, sodass ich beispielsweise nicht auf diese zurückgreifen würde, um den Erfolg eines neuen Stücks klassischer Musik zu prognostizieren. Wir werden auch die Aufmerksamkeit in anderen Medien messen müssen.

Für welche anderen Produkte, auch außerhalb der Unterhaltungsindustrie, eignen sich Twitter-Analysen für Markterfolgsprognosen?

HUBERMAN: Twitter ist nur ein Beispiel für Social Media. Wir könnten auch andere Blogs nutzen. Aber wie bereits gesagt, können wir den Erfolg oder Misserfolg von Produkten vorhersagen, vielleicht von Werbekampagnen oder sogar Wahlausgängen, wenn das Datenmaterial es hergibt.

Welche weiteren Untersuchungen sind bereits im Gange?

HUBERMAN: Zum Beispiel solche, aufgrund derer sich der Effekt vorhersagen lässt, den Social Media in Bezug auf die Festigung der sozialen Vorstellungen eines Landes oder einer Stadt haben wird. Wie wichtig Social Media-Forschung im Jahr 2015 für Marketingverantwortliche sein wird, ist wegen des Hypes um Social Media derzeit aber schwer zu sagen. Dennoch schätze ich, sie wird wichtig bleiben.

Die Fragen stellte Martina Monsees.

Mehr Informationen gibt es unter:
www.hpl.hp.com

Hilfe zum Verständnis von Kalibrierung und Regressionsverfahren:

www.de.wikipedia.org/Kalibrierung,
www.de.wikipedia.org/Regressionsanalyse