„Wir brauchen die erste und letzte Meile wieder“

Größe ist im Logistikgeschäft entscheidend. Erst ein gewisses Aufkommen an allen Handelsplätzen der Welt verschafft einem Carrier Vorteile und sorgt im Gegenzug für günstige Preise. Die absatzwirtschaft spricht mit Kühne + Nagel-Chef Klaus Herms über Güterflussketten, Services und Zukäufe im Unternehmen.

Herr Herms, Sie wollen mit „Integrierter Logistik“ die gesamte Güterfluss-Kette abbilden. Macht Sie das nicht auch angreifbarer?

HERMS: Nein, Sie müssen alle logistischen Dienstleistungen anbieten, um den durchgängigen Supply-Chain-Gedanken bei den Kunden verkaufen zu können. Das müssen Sie unter einem Dach gewährleisten, mit einem IT-Tool sowie von der Beschaffung bis zum Vertrieb. Nur so können Sie ein günstiges, komplexes Produktpaket mit gleichen Standards schnüren ohne Schnittstellenverluste und Angriffsfläche für Wettbewerber. Insofern wird man sogar weniger angreifbar. Durch das Abbilden der gesamten Kette sind Sie näher am Kunden dran und weniger Dienstleister als vielmehr Partner – und damit weniger austauschbar.

Warum ist Größe so entscheidend im Logistikgeschäft?

HERMS: Größe wäre nicht entscheidend, wenn die Beschaffung von Dienstleistungen bei den Reedereien und Luftfahrtgesellschaften nicht damit zusammenhängen würde. Sie müssen ein gewisses Aufkommen haben an allen wichtigen Plätzen dieser Welt, damit dem Carrier ein Vorteil durch die Zusammenarbeit mit Ihnen entsteht und Ihnen im Gegenzug günstige Preise anbietet. Dafür braucht man Volumen, ob für See-, Luft- oder Lkw-Fracht. Ohne eine weltweite Präsenz kommen Sie überhaupt nicht mehr zurecht. Der Kunde möchte wissen, wann Sie seine letzte Fuhre von Textilien aus dem Hinterland Chinas abholen und wann die Ware aufschlägt im Lager oder Einzelhandelsgeschäft in Europa. Nur dann sind gute Preise und Margen gerechtfertigt.

Sie kommen aus dem Seefrachtgeschäft und sind in der Luftfracht stark. In diesen beiden globalen Geschäften wird zwar gutes Geld verdient, dafür soll aber die Kundenbindung gering sein. Mit welcher Strategie sichern Sie hier Ihre Position?

HERMS: Ganz einfach, indem wir die richtigen Mengen am richtigen Platz unserem Carrier zur Verfügung stellen, um einen Preisvorteil im Einkauf zu bekommen. Durch unser integriertes Dienstleistungsangebot erreichen wir eine engere Bindung unserer Kunden. Deshalb legen wir uns doch diese Bürde auf, alle Services aus einer Hand erbringen zu können! In der See- und Luftfracht beispielsweise beträgt der Return on Asset mehr als einhundert Prozent. Warum machen wir alles andere, wenn dieser Wert so gut ist? Weil wir austauschbar wären, wenn wir nur diese Geschäfte betreiben würden. Schon wäre die Marge unter Druck und die Kundentreue nicht zu gewährleisten. Bei der Kontraktlogistik beträgt der Return on Asset ungefähr 20 Prozent, weil dort die Investitionen relativ hoch sind, dafür erhalten Sie aber Einblick über den Warenfluss der Industrie und können sich einklinken. Im Lkw-Verkehr stehen wir am Anfang und erzielen noch eine geringe Marge, aber ich bin davon überzeugt, dass dieses Geschäft in Zukunft einen Großteil zu unserem Gewinn beitragen wird.

In der Kontraktlogistik übernehmen Sie die Distribution und Lagerhaltung für Hersteller. Mit ACR haben Sie durch die teuerste Übernahme der Firmengeschichte weiter aufgerüstet. Hat sich die Stärkung dieser Sparte gelohnt?

HERMS: Oh, ja! Zumal Industrie und Handel sich zunehmend darauf verlegen, dies ganzheitlich an Logistik-Unternehmen abzugeben. In Zeiten schwacher Wirtschaftsentwicklung ist das ein weiterer Ansatz, um Kosten zu relativieren.

Im Ihrem vierten Geschäftsfeld, dem Landverkehr auf Straße und Schiene, wollen Sie den Umsatz von 2,5 auf fünf Milliarden Franken verdoppeln. Vor allem durch Zukäufe in Südwesteuropa. Warum gestaltet sich diese Aufgabe als so schwierig, und welche Fortschritte können Sie melden?

HERMS: Wir haben in Europa einen ruinösen Wettbewerb hinter uns. Das hat sich gelegt. Viele kleine Unternehmer hatten drei bis fünf Lkw, die Ehefrau machte die Buchhaltung, der Chef am Wochenende den Ölwechsel, und unter der Woche fuhren Vater und Sohn die Lkw. Mit zunehmenden Schwierigkeiten bei der Finanzierung der Lkws, übrigens kommt diesen kleinen Betrieben die aktuelle Bankenkrise viel näher, wird es für solche Mama-Papa-Shops immer schwieriger sich zu halten. Wir beobachten eine weitere Konsolidierung. Wir hatten uns schon vor zehn Jahren aus dem Lkw-Geschäft zurückgezogen, haben dann aber gesehen, dass wir in Abhängigkeit von Sub-Contractors geraten. Das bedeutet auch, bei der Verteilung von unseren Lägern, Konkurrenten beauftragen zu müssen. So lange die kleinen Anbieter noch ausreichend verfügbar waren, war das kein Problem. Mit der Konsolidierung reifte bei uns der Gedanke: Wir brauchen die erste und letzte Meile wieder. Langfristig sind wir damit auf dem richtigen Kurs.

Welche Zukäufe planen Sie im Landverkehr?

HERMS: (lacht) Das werde ich Ihnen im Detail nicht erzählen. Es wäre eigentlich eine ideale Lösung, wenn wir einen der großen Oberflächenmeister des europäischen Geschehens übernehmen würden. Das sind Schenker und DSV, was aber nicht zu realisieren ist.

Es heißt doch immer, alles habe nur seinen Preis. Oder hinderten strategische Gründe?

HERMS: Die Bahn hatte großes Interesse daran, mithilfe von Schenker ein umfassendes Dienstleistungs-Angebot machen zu können. Zum anderen zählte auch die Frage des Preises. Alternativ gab es viele kleine zu kaufen. Wir sind über die Akquisition von Mitgliedern der IDS-Allianz, mittlerweile mit einem Anteil von 40 Prozent, wieder ins Geschäft eingestiegen. Das ist nur der Anfang. Deutschland ist zwar das größte Industrieland Europas, aber Sie brauchen Alternativen und Partner für das Geschäft in Frankreich, Italien und Spanien. Mit einem Schenker-Kauf wäre das alles abgedeckt gewesen. In kleinen Schritten heißt das, Land für Land abzudecken. Wir sind dazu in Verhandlungen mit mehreren Parteien in Südeuropa. In Nord- und Osteuropa ist es unser Ziel, organisch zu wachsen.

Würden Sie bei den Zukäufen bitte etwas konkreter.

HERMS: Die Akquisitionsverhandlungen laufen positiv, aber sie können auch im letzten Moment immer noch am Preis scheitern. Deshalb kann ich Ihnen nicht sagen wo, wann und wie wir Vollzug melden. Wir sind in Zugzwang, denn wir brauchen diese südwesteuropäischen Länder dringend. Bei den Zukäufen muss jeweils die geografische Abdeckung der gesamten Nation gegeben sein; mindestens 60 bis 80 Prozent unmittelbar. Ein europäisches Netzwerk wird es uns erlauben, auch den Bedarf an Landverkehren seitens unserer Bereiche See- und Luftfracht sowie Kontraktlogistik noch besser abzudecken. Für eines der drei genannten Länder werden wir in diesem Jahr auf jeden Fall noch Vollzug melden. Die angesprochene Umsatzverdoppelung ist bis 2011 möglich. Bei diesen Aussagen belasse ich es jetzt aber.

Welchen Einfluss haben steigende Lkw-Mautgebühren und Kraftstoffpreise für Ihr Geschäft?

HERMS: Energiekosten können Sie nicht kontrollieren. Aber es muss transportiert werden, selbst wenn Sie die Globalisierung einstampfen. Dann würden aber mehr Oberflächenverkehre durch Bahn und Lkw entstehen. Die Maut ist leider ein notwendiges Übel; damit muss man leben. Kosten müssen ganzheitlich in den Raten eingeschlossen sein und dem Endverbraucher belastet werden. Das wird sich nicht ändern, aber auch nicht unseren Drang nach weiteren Expansionen stoppen.

Schaffen Sie es aber, die steigenden Kosten über die höhere Preise an Ihre Kunden weiterzugeben?

HERMS: Das ist ein Resultat der Konsolidierung in unserer Branche: Es überleben nur die wirtschaftlich starken Unternehmen. Kostenrechnungen haben nichts mit Emotionen zu tun. Und sie können sehr wohl Industrie und Handel beibringen, dass diese Teuerungen notwendig und unabwendbar sind.

Welche Branchen buchen Kühne + Nagel vor allem? Und was erwarten Ihre Kunden allesamt?

HERMS: Das Gros der Kundschaft kommt sicher aus der HighTech und Automobil-Branche. Eigentlich transportieren wir aber alle Industriegüter. Wir haben uns für viele Branchen spezialisiert, denn wenn Sie nicht deren Sprache sprechen, kommen Sie auch mit Marketing nicht weiter. Der Transport von HighTech-Gütern ist naturgemäß im Luftfrachtgeschäft größer als im Seefrachtgeschäft. Die Textilindustrie bedienen wir stärker auf dem Seeweg als in der Luft, obwohl hier wegen terminlicher Dringlichkeit auch noch viel geflogen wird. Wir sind also in allen großen Industrien stark vertreten. Was die Kunden allesamt verlangen? Zuverlässigkeit, Transparenz, Detailkenntnisse der Transaktionen und des Verlaufs des Transportes. Und zwar in Permanenz. Kunden wollen den Absatz ihrer Güter mit uns perfekt organisieren. Das Gespräch führte Thorsten Garber

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