Willkommen in der neuen Realität

Die Krise ist im wahrsten Sinne des Wortes unfassbar. Sie hat kein Bild in unserem Kopf. Keine leere Autobahn. Kein zerstörtes Hochhaus. Keine brennende Ölquelle. So ungreifbar wie das Bild ist unsere Angst vor der Krise.
Frank Dopheide - Chairman Grey Düsseldorf 9/08

Was als globale Finanzkrise am anderen Ende der Welt begann wird zur persönlichen Wirtschaftskrise. Täglich ein bisschen mehr. Noch kauft der Deutsche tapfer ein. Er hört das tiefe Grollen der herannahenden Welle, aber bisher hat sie ihn nicht mit voller Wucht erwischt. Er hat den Kopf eingezogen und erwartet den 28. September, wenn die Wahl und damit seine Schonfrist vorbei ist.
Durch die Mutter aller Krisen ist unsere Welt anders geworden und mit ihr werden sich die Einstellungen der Konsumenten und das Marketing der Unternehmen für immer verändern.
Wir leben in einer neuen Realität.

Die kommende Zeit wird ein Crash-Kurs für Kommunikatoren.
In der harten Schule der Wirklichkeit müssen sie entscheidende Dinge lernen.

Werte
Die Phasen wirtschaftlichen Aufschwungs sind endlich, wie jeder nun aus eigener Erfahrung weiß. Konsum macht glücklich. Aber dieses Glück ist nicht von langer Dauer. Die langfristigen Werte im Leben – Familie, Partnerschaft, Freundschaft gewinnen wieder an Bedeutung. Aufgesetzte Werbeversprechen zum kurzfristigen Anheizen der Schnäppchenjagd werden weniger erfolgreich sein. Nie war es für Produkte und Marken wichtiger, echten Mehrwert zu liefern. Alles andere wird gnadenlos aussortiert, aus dem Einkaufskorb und aus dem Leben.

Nähe
Die Menge der vernichteten Geldwerte wird nur noch von der Menge des vernichteten Vertrauens übertroffen. Wem glaube ich noch? Der Politik? Dem Chef? Den Medien? Mehr denn je verlassen sich Menschen auf sich selbst und ihr persönliches Umfeld. Das Word-of-Mouth-Marketing bekommt weiteren Auftrieb. Mit dem verlorenen Vertrauen, ändert sich auch die Tonalität. Vertrauen gewinnt man bekanntlich nicht durch Anschreien. In Zukunft gilt: Nur wer ins Gespräch kommt, kommt auch ins Geschäft. Die Aufgabe der Kommunikation ist nicht mehr das Kreieren von Anzeigen, sondern die Schaffung von echtem Gesprächsstoff. Von einem Einstiegspunkt für den Dialog – denn das aktive Verkaufen im Gespräch wird zunehmen.

Haltung
Die Zeit des Schönredens und Zauderns ist vorbei. Wer jetzt nichts wagt, verliert. Die Entschlossenen fressen die Unentschlossenen. Ein wunderbarer Moment für Marken. Denn sie liefern Orientierung in einer Welt, die aus den Fugen geraten ist. Nun geht es darum, sich stabil und mit breiter Brust in den Wind zu stellen.
Menschen von heute kaufen keine Marken mehr. Sie schließen sich Marken an. Nun ist ein idealer Moment sichtbar zu beweisen, dass die Markenwerte keine toten Buchstaben sind, sondern gelebte Handlungsmaxime. Der USP ist tot. Es lebe der UAP. Die Unique Attittude Proposition. Hier gibt es viel zu gewinnen.

Trotz aller Hiobsbotschaften, gibt es in Deutschland viel Geld zu verdienen. Das Geldvermögen der Deutschen beträgt 1500 Milliarden Euro. Und die Deutschen haben durch die Finanzkrise und ihre hilflosen Banker gelernt: sparen alleine hilft auch nicht. Die Sparquote ist zur Überraschung aller nicht ins Unermessliche gestiegen.

Was können wir aus den Krisen der Vergangenheit lernen? Wie sollten sich Kommunikatoren in rauen Zeiten verhalten?
Sie müssen reflexhafte Preis-Promotions und Budgetkürzungen vermeiden. Millward Brown hat in umfassenden Untersuchungen eindruckvoll belegt, dass Preissenkungen vielleicht den Marktanteil erhöhen können aber direkt und langfristig zur massivern Vernichtung von Markenwerten führen.
Demgegenüber belegen internationale Studien und zahllose Case-Studies, dass Unternehmen, die auch in schwierigen Zeiten ihr Budget stabil halten oder sogar antizyklisch erhöhen, davon massiv und nachhaltig profitieren. Über alle Branchen hinweg.
Jetzt um jeden Euro Werbebudget zu kämpfen zahlt sich doppelt und dreifach aus.

Was kann man tun?
Krise kommt aus dem Griechischen, bedeutet Zuspitzung, Entscheidung, Wendepunkt.

Ein guter Moment, Dinge zu ändern.
Es ist an uns, das Beste daraus zu machen.

Über den Autor: Frank Dopheide ist Chairman Grey.