Wie sich Kundenbindung im Multichannel-Vertrieb umsetzen läßt

Multi-Channel-Strategien liegen stark im Trend und werden generell als Erfolgsfaktor insbesondere für den Handel angesehen. Leider bleiben die Potenziale, die durch Integration des Multi-Channels in ein leistungsstarkes CRM mit dem Ziel der langfristigen Kundenbindung zu oft unerkannt und ungenutzt. Dies ist ein Zwischenergebnis einer im Auftrag vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) vom Lehrstuhl für Distribution & Handel im Marketing Centrum Münster durchgeführten internationalen Benchmarking Studie in Dienstleistung und Handel.

Im Wettbewerb um den Kunden verfolgen immer mehr Anbieter Multi-Channel-Strategien. In Zeiten der Internet-Ökonomie ist damit in aller Regel der Aufbau eines neuen Absatzweges durch die Implementierung eines Online-Shops gemeint. Wurden die Produkte des Anbieters bisher nur über stationäre Geschäftsstätten vertrieben, so sollen sie in Zukunft auch über das Internet bestellt werden können. Das Potenzial einer jeden Multi-Channel-Strategie liegt in der nutzenbringenden Verknüpfung der Kanäle. Diese nutzenbringenden Wechselwirkungen können sich bei sinnvoller Ausschöpfung auf den kompletten Marketing-Mix, und dabei neben der Distribution besonders auf die kanalübergreifende Kommunikation, erstrecken. Viele derzeit noch ungenutzte Synergien und Potenziale ergeben sich besonders für den Bereich des Customer-Relationship-und Kundenbindungs-Managements.

Beim Customer Relationship Management (CRM) steht die ganzheitliche Kundenorientierung aller Geschäftsprozesse im Mittelpunkt. Multi-Channel-Strategien bilden dabei einen ersten Ansatzpunkt, indem versucht wird, jedem Kunden seinen bevorzugten Absatzweg anzubieten. Kunden informieren sich beispielsweise online und kaufen offline, aber auch der umgekehrte Fall ist durchaus realistisch. Individuelle Bedürfnisbefriedigung fängt mit der Bereitstellung unterschiedlicher Absatzwege für den Kunden aber erst an. Ziel einer jeden CRM-Konzeption ist es daher den Kunden an das Unternehmen zu binden. Dazu ist es nötig, Einfluß auf die emotionalen Determinanten der Kundenbindung, also Kundenzufriedenheit und Kundenloyalität, zu nehmen.

Abb. 1: Wirkungskette zwischen CRM und Kundenbindung

Wissen über den Kunden hilft bei Individualisierung
Aber erst die Möglichkeit, die Kunden in Abhängigkeit vom jeweiligen Kundenwert (z.B. dem Customer Lifetime Value) differenziert zu bearbeiten, lässt eine individuelle Bedürfnisbefriedigung im Sinne eines CRM wirtschaftlich erscheinen. Eine damit verbundene Segmentierung – Ziel ist die Segmentgröße „1“ – setzen eine umfassende Datenbasis über die Kunden voraus. Derartige Daten können im Rahmen eines Database-Marketing gespeichert, ausgewertet und ständig aktualisiert werden, so dass im Laufe der Zeit ein immer detaillierteres Kundenprofil entsteht. Entscheidend ist, dass die Daten sowohl in allen Kanälen erhoben als auch genutzt werden.

Die Informationsgewinnung kann besonders im Bereich des Internet durch den Einsatz von Kundenbindungsinstrumenten unterstützt werden. Ein umfassendes Database-Marketing stellt somit die Grundlage für die Individualisierung der Geschäftsbeziehung im Sinne eines CRM dar. Der Einsatz von Online-Kundenbindungsinstrumenten erleichtert dabei die Gewinnung der benötigten Informationen. Durch die gezielte Umsetzung dieser Konzepte, kann ein Unternehmen den Aufbau von komparativen Konkurrenzvorteilen unterstützen.

Kundenbindungsinstrumente im Überblick
Mit Hinblick auf die angestrebte Individualisierung der Anbieter-Kunden-Beziehung im Rahmen des Multi-Channel-CRM lassen sich die Online-Kundenbindungsinstrumente in Instrumente, die der Information, der Interaktion, der Integration und schließlich der Individualisierung dienen, einteilen. Die dargestellte Reihenfolge ist dabei zwingend, da in der Regel eine Interaktion ohne einen zuvor stattgefundenen Informationsaustausch nicht erfolgen kann.

Abb. 2: Klassifizierung von Kundenbindungsinstrumenten und ihre Bedeutung
für das Multi-Channel-CRM

E-Mails, als Newsletter oder elektronische Werbeflyer versandt, erleichtern es dem Anbieter, seine Kunden jederzeit mit sehr aktuellen Informationen zu versorgen. Da sich der Kunde für solche Services registrieren muss, hat den Vorteil, dass so bereits eine große Anzahl an Kundeninformationen gesammelt werden. Dadurch wird es möglich die Zielgenauigkeit der vermittelten Informationen zu erhöhen, denn der Kunde erhält nur Informationen, die er wirklich angefordert hat bzw. die seinem Profil entsprechen. So wird gleichzeitig dem Phänomen des Information-Overload entgegengewirkt.

Im Bereich der Interaktionsinstrumente eröffnen sich durch das Internet viele neue Möglichkeiten für ein kundenorientiertes Beschwerdemanagement. Durch das Einrichten eines E-Mail-Beschwerde-Centers kann der unzufriedene Kunde per Mail mit dem Unternehmen in Kontakt treten. Aufgrund der direkten Datenübertragung kann dem Kunden durch eine Bestätigungsmail signalisiert werden, dass sein Anliegen bearbeitet wird. Dies fördert das für ein CRM wichtige Gefühl einer individuellen Behandlung. Ein einheitliches und standardisiertes Online-Beschwerdeformular erleichtert dabei dem Kunden die Beschwerdeführung und dem Unternehmen die Bearbeitung.

Die Einschaltung eines klassischen Call-Centers ermöglicht im Internet, neben dem bloßen Publizieren einer Telefonnummer, auch die Installation eines Call-Back-Buttons. Dabei kann der Kunde seine Telefonnummer und eine gewünschte Rückrufzeit in ein Dialogfenster eingeben und um Rückruf bitten. Für den Kunden geht so keine wertvolle Zeit in der Warteschleife eines Call-Centers verloren. Die Möglichkeit der schnellen internen Weiterleitung von E-Mails führt zu verkürzten „Postlaufzeiten“ und folglich zu einer schnelleren Bearbeitung des Kundenanliegens, was die Kundenzufriedenheit fördert. Beschwerdedaten und Angaben der Kunden sind wichtige Informationen, die auch in das Kundenprofil im Rahmen des Database Marketing einfließen sollten. Dadurch können evtl. unzufriedene Kunden sorgsamer behandelt werden. Aber auch aus den Grunddaten der Beschwerde wie Region, Geschlecht und Alter können interessante Rückschlüsse gezogen und als Informationsvorsprung, im Sinne von Frühwarnsignalen für mögliche Schwachstellen, interpretiert werden.

Virtuelle Communities, sei es als Newsgroups oder Chats, bieten als Plattform für den Gedankenaustausch zwischen verschiedenen Mitgliedern oder dem Unternehmen selbst, zum einen die Möglichkeit, den Kunden emotional an das Unternehmen zu binden, zum anderen profitiert das Unternehmen von den stattfindenden Dialogen. Positive und negative Mund-zu-Mund-Propaganda innerhalb der Community kann das Unternehmen analysieren und sich zu Nutze machen. Rückschlüsse auf Präferenzen und Defizite werden möglich.

Bei den Integrationsinstrumenten geht es im Internet größtenteils darum, dass der Kunde durch Informationspreisgaben über seine Vorlieben und Präferenzen in den Leistungserstellungsprozess integriert wird. Demzufolge dienen alle bereits genannten Kundenbindungsinstrumente der Kundenintegration, da sie Kunden- bzw. Marktforschungsdaten generieren. Tracking-Tools ermöglichen die Kundenintegration dadurch, dass der Kunde seine Bestellung online verfolgen kann, oder er seitens der Unternehmung durch Mails über den Stand seiner Bestellung auf dem Laufenden gehalten wird.


Angebotsindividualisierung
und personalisierte Websites („my-sites“) als Ausprägungen der Mass Customization im Internet ermöglichen es dem Unternehmen, seinen Kunden individuell zu begegnen. Verfahren wie Rule-Base Matching, Content-Based Matching und Automatic Collaborative Filtering weisen den Kunden aufgrund seines Profils und anhand bestimmter Regeln individuelle Produkte oder Leistungen zu. Genau wie das Instrument der Angebotsindividualisierung bauen personalisierte Websites auf Kundenangaben und –präferenzen auf. Entsprechend seinen Interessen baut der Kunde sich dabei seinen „eigenen“ Online-Shop auf. Neben dem Prestigeeffekt, den personalisierte Websites für Kunden haben, haben sie für den Anbieter den Vorteil, dass sie so ein Bild vom idealen Shop der Kunden erhalten. Durch Clusterbildung können dann generelle Tendenzen der Kundschaft ermittelt werden und im Rahmen der Multi-Channel Strategie abgewandelt auch auf stationäre Shop angewandt werden.

Bei dem übergreifenden Instrument des Service geht es um die Bereitstellung von Informationen für den Kunden. Je nachdem, ob der Kunde die Informationen explizit nachfragt, abonniert oder aus einem Pool an Informationen einfach abruft, kann zwischen „on demand-“, „on delivery-“, oder „on stock-“ Informationen unterschieden werden. Derartige Informations- und Suchinstrumente erleichtern dem Kunden das Zurechtfinden im Angebot und stellen für ihn einen echten Mehrwert dar.

Mit dem Instrument der Bonus- und Prämiensysteme wird versucht, den Kunden durch die Gewährung von Rabatten und Prämien, ab einer bestimmten, gesammelten Punktzahl, längerfristig an das Unternehmen zu binden. Die Beteiligung an externen Systemen, die Kooperationen darstellen, oder die Entwicklung eines eigenen Systems hängt von dem generell verfolgten Zweck des Anbieters ab. Die generell leichten Umsetzungsmöglichkeiten im Internet aufgrund digitalisierbarer Prozesse, machen Prämiensysteme schon fast zu einem Pflichtteil im Internetauftritt. In anbetracht einer verfolgten Multi-Channel-Strategie erscheint es sinnvoll, Systeme zu nutzen, bzw. sich ihnen anzuschließen, die auch in der Offline-Welt akzeptiert werden.

Douglas als Bestpractice
Eines der Unternehmen, welches weite Teile der oben genannten Zusammenhänge im Rahmen einer Multi-Channel-Strategie nutzt, ist die Douglas Holding AG. Der Unternehmensteilbereich Parfümerie, setzt sich dabei aus stationären Shops und der Internetpräsenz Douglasbeauty.com zusammen. Die kanalübergreifende Nutzung und Gewinnung von Kundeninformationen und deren Verwaltung, Speicherung und Analyse in einer allen Kanälen zugänglichen Database im Rahmen einer Multi-Channel-CRM Strategie, stellt zukünftig einen nachhaltigen Erfolgsfaktor dar. Nach den ersten Fehlschlägen rein transaktionsorientierter Dotcoms, ist nun die Phase der effizienten Nutzung der zahlreichen Potentiale einer Internetpräsenz angebrochen. Die stationäre Welt kann vom richtig genutzten Cyberspace viel lernen. Gespeist wird die Kundendatenbank von Douglas durch das Offline-Kundenbindungsinstrument der Douglascard und durch die Ausschöpfung der oben genannten Informationspotentiale von Online-Kundenbindungsinstrumenten. Dem Multi-Channel-Gedanken wird hier schon beim Aufbau der Database Rechnung getragen.

Weiter wird dem Mehr-Kanal-Gedanken dadurch entsprochen, dass die Kunden die Möglichkeit haben, online bestellte Artikel auch in einem stationären Laden umtauschen zu können. Um den Kunden mit individuellen Informationen zu versorgen, stehen verschiedene Newsletter und spezielle, ständig wechselnde Themenbereiche auf der Website zur Verfügung. Die Newsletter spiegeln optisch die übersichtliche Startseite wieder, was die einfache Navigation unterstützt. Im Rahmen eines online Geschenkefinders, wo der Kunde Angaben zu dem Beschenkten macht und ein Programm ihn zu entsprechenden Produkten führt, erfährt der Kunde eine annähernd individuelle Beratung. Bei entsprechender Bestellung ist es für Douglas möglich Rückschlüsse für die künftige Produkt- und Preispolitik in allen Kanälen zu ziehen.

Gleiches gilt für die Rubrik „my Douglas“, wo sich der User einen Bereich einrichten kann, in welchem ihm nur Produkte angeboten werden, die seinem vorher bekanntgegebenen Profil entsprechen. Neben dem hohen Individualisierungspotenzial kann von einem kundengetriebenen Category Management gesprochen werden, was durchaus auch für die Gestaltung von stationären Geschäftsstätten genutzt werden kann. Über Foren, aber durch Unterstützung eines Testimonials, werden Meinungen von Kunden herausgefiltert und analysiert. Durch ein Call-Center oder per E-Mail kann der Kunde direkt mit Douglas Kontakt aufnehmen und sich durch geschultes Personal Auskünfte über Produkte und evtl. im Zusammenhang damit auftretende Probleme oder Reklamationen einholen. Jeder Weg sollte genutzt werden, sich beschwerenden Kunden zu stellen; denn jede Beschwerde ist als Chance aufzufassen, den Kunden wieder zufrieden zu stellen.

Für die Zukunft kann davon ausgegangen werden, dass Händler die ihre Multi-Channel-Strategie als Erfolgsfaktor begreifen und diesen im Rahmen ihres CRM umsetzen, langfristig zu den „Gewinnern“ gezählt werden können.


Rainer Evanschitzky ist Assistent am Lehrstuhl für Distribution & Handel im Marketing Centrum Münster unter Prof. Dr. Dieter Ahlert
eingestellt am 22. März 2002