Wie digitale Außenwerbung den öffentlichen Raum erobert

Verlagert sich Mobilität, verändert sich auch die Außenwerbung. Vom pandemiebedingten Einbruch hat sich Digital-out-of-Home jedoch erholt. Neue Locations und technische Innovationen sorgen dafür, dass es in der Branche spannend bleibt.
Auf 200 Parkplätzen wollen der Vermarkter Goldbach und das Start-up Numbat in diesem Jahr Schnellladesäulen mit digitalen Werbescreens installieren. (© Numbat/Ilenia De Vito)

In diesen Tagen werden die ersten installiert: Schnellladesäulen für E-Autos mit digitalen Werbescreens, Bildschirmgröße 75 Zoll. Die Idee: Wer Elektroauto fährt, ist mobil, verdient gut und hat Zeit, während die Batterien aufladen – Wartende sind eine ideale Zielgruppe für Außenwerbung. „Es soll zügig ein nationales Netz werden“, sagt Claudia Zayer, Managing Director von Goldbach DOOH. Der Münchner Vermarkter hat sich mit dem Allgäuer Start-up Numbat zusammengetan, das die Säulen entwickelt. Allein 2023 sollen rund 200 Parkplätze bestückt werden.

Die Digitalisierung hat Dynamik in die Außenwerbung gebracht. In der Branche, die viele bis heute mit der Litfaßsäule assoziieren, jagt eine Innovation die nächste: neue Locations, automatisierte Ausspielung, frische Formate wie Spots in 3D-Optik. Die Folgen der Lockdowns, als Außenwerbung kaum lohnte, spielen offenbar kaum noch eine Rolle. „DOOH ist nach der Pandemie schnell zurückgekehrt und heute stärker als je zuvor“, sagt Frank Goldberg, Geschäftsführer des Digital Media Institutes (DMI).

Gemessen an den Bruttowerbeausgaben hat DOOH ihren Marktanteil an der Außenwerbung stark ausgebaut, von 30 Prozent 2019 auf 37 Prozent zwei Jahre später. Diesen November erreichte das Segment sogar einen Anteil von 40 Prozent. Die Zahl der Screens an Straßen und Bahnhöfen, in Flughäfen und Malls wächst beständig: Mehr als 135.000 waren es im vergangenen Jahr, ein Plus von knapp zwei Prozent gegenüber 2021.

Viele Menschen arbeiten daheim – sind aber trotzdem viel unterwegs

Zu den größten Überraschungen gehört, dass das Homeoffice die Mobilität offenbar nur wenig beeinträchtigt. Tracking-Panels zeigten, dass die Kontakte heute sogar leicht über dem Stand vor der Pandemie liegen, sagt Goldberg. Ihn wundert das nicht: Wer im Home Office arbeitet, fährt ja trotzdem die Kinder in den Kindergarten, kauft ein, geht zum Arzt oder abends in die Kneipe. Was sich teilweise ändert, sind die Zeiten – und die Ziele: Der Nahbereich wird tendenziell stärker frequentiert. „Die Leute sind nicht weniger, aber anders unterwegs“, glaubt DOOH-Spezialistin Zayer. 

“Es soll zügig ein nationales Netz werden“, sagt Claudia Zayer, Managing Director von Goldbach DOOH, über die Pläne des Vermarkters. @Goldbach

Eine Konsequenz ist die verstärkte Werbung am PoS. Goldbach etwa hat Tankstellen neu entdeckt und kooperiert dabei mit Total Energies: 315 Standorte sind einbezogen, jede Woche kommt etwa ein Dutzend hinzu. Rund 1300 Screens sollen es sein, die an Ein- und Ausgang sowie im Kassenbereich montiert werden. Auch Lebensmittler haben die Chancen durch Retail-Media erkannt. Rewe beispielsweise installierte 2022 nach einem erfolgreichen Pilotversuch mit Bacardi über 2000 digitale Stelen in den Filialen, dieses Jahr sollen noch einmal 800 hinzukommen. Er sei „begeistert, ein skaliertes digitales Werbemedium so nah und unmittelbar eingebunden in der Customer Journey anbieten zu können“, sagt Sven Angel, Lead Customer Insights & Media der Rewe Group. 

Für die Zielgruppe Büroangestellte war Corona „ein Schlag ins Kontor“

Bei allen Vorteilen hat digitale Werbung aus Vermarktersicht allerdings auch Schattenseiten: Kund*innen reagieren hochsensibel und blitzschnell auf veränderte Parameter, und das kann eben auch Stornierung bedeuten. Als es etwa diesen Herbst noch so aussah, als drohe Deutschland eine mittelschwere Rezession, reduzierten sich sogleich die digitalen Bruttowerbespendings – während die für analoge Flächen noch wuchsen.

Besonders unter der Pandemie litten Vermarkter mit der Zielgruppe Büroangestellte, wie das Executive Channel Network (ECN). Die australische Firma versieht Foyers von Bürogebäuden mit digitalen Bildschirmen und war in Deutschland mit großem Erfolg gestartet: Innerhalb von fünf Jahren waren 200 Standorte unter Vertrag. Noch im März 2020 wurden neun Screens im Frankfurter „The Squaire“ installiert, das als größtes deutsches Bürogebäude gilt. Die Kontaktbeschränkungen während der Pandemie allerdings brachten das Neugeschäft nahezu zum Erliegen. „Corona war ein Schlag ins Kontor“, bestätigt Gunnar Ritzmann, Director Media Sales von ECN Germany.

Das ist vorbei, ECN expandiert wieder. Laut einer Studie des Vermarkters kommen Angestellte heute durchschnittlich an 3,5 Tagen ins Büro, die Bruttokontakte liegen bei 90 Prozent im Vergleich zu Vor-Pandemie-Zeiten. Und doch hat sich etwas geändert: Wo früher fünf neue Gebäude monatlich unter Vertrag genommen wurden, seien es jetzt im Durchschnitt zwei, sagt Ritzmann: „Man wird in seinen Planungen deutlich vorsichtiger.“ Die Losung: Klasse statt Masse.

Selbst gedruckte Plakate sind jetzt programmatisch zu buchen

Mag sich das Wachstum vereinzelt abschwächen – Experten zweifeln nicht daran, dass der Siegeszug von DOOH weitergeht. Als wichtigen Faktor nennt eine Studie der Unternehmensberatung PwC „weiter sinkende Technikkosten“. Etablierte Anbieter investieren in die Umrüstung analogen Inventars, Start-ups erobern Nischen wie digitale Plakate in Schaufenstern, Arztpraxen oder auf Lastenrädern. Überdies gibt es seit vergangenem Jahr eine verbesserte Planungsgrundlage: übergreifende, monatlich aktualisierte Mediadaten für den Indoor-Bereich, die das neu gegründete Institute for Digital Out of Home Media (IDOOH) zur Verfügung stellt.

Das Targeting gewinnt durch automatisierte Ausspielung – programmatisch, wie das in der Branche heißt – und stärkere Verzahnung mit anderen Kanälen an Möglichkeiten und Präzision. „PDOOH nimmt dramatisch zu und hat bei einigen Anbietern die klassischen Buchungen schon überholt“, sagt Kai-Marcus Thäsler, Geschäftsführer des Fachverbands Außenwerbung (FAW). Marktführer Ströer bietet seit September als „echte Weltneuheit“ die programmatische Buchung des kompletten Inventars an, auch von gedruckten Plakaten.

Das kommt auf die Branche zu: 3D-Kampagnen und Metaverse

Auf Kritik am Stromverbrauch hat die Branche mit Umstellung auf LED und Ökostrom reagiert; Vorreiter wie WallDecaux gleichen verbleibende CO2-Emissionen von Kampagnen auf eigene Rechnung aus. Auch technische Innovationen dokumentieren, wie viel sich in Sachen Nachhaltigkeit getan hat: Ströer-Tochter Blowup Media launchte kürzlich „The Green“, einen 140 Quadratmeter großen vertikalen Garten mit Riesenposter. Goldbach vermarktet seit August „CityBreeze“-Stelen, deren Moos-Filter die Luft kühlen und reinigen.

Ende 2021 startete am Berliner Mercedes Platz eine Duft-Werbung von Paco Rabanne, bei der ein Roboter scheinbar aus dem Bildschirm heraustanzte. @Goldbach

Spektakuläre 3D-Kampagnen hingegen, die an Times Square oder Piccadily Circus längst Touristenattraktionen sind, sind hierzulande selten – noch scheuen die meisten Kunden den Aufwand für solche Sonderumsetzungen. Immerhin: Ende 2021 startete am Berliner Mercedes Platz eine Duft-Werbung von Paco Rabanne, bei der ein Roboter scheinbar aus dem Bildschirm heraustanzte. Diesen Dezember rollten am Frankfurter Flughafen erstmals überdimensionale Whisky-Flaschen der Marke Glenfiddich in 3D-Optik über einen Screen.

Die nächste Herausforderung wartet schon: Metaverse. „Für die Branche ist das auf jeden Fall ein Thema“, bestätigt DMI-Chef Goldberg. Schließlich kann es Plakate oder Bandenwerbung auch in der virtuellen Realität geben. Kampagnen lohnen sich freilich nur, wenn Metaverse keine Nische bleibt – ganz abgesehen von einem grundsätzlichen Problem: Außenwerbung ist ein „One-to-Many“-Medium, Metaverse ermöglicht Personalisierung. „Eine Situation wie in der realen Welt, wo tausende das gleiche Plakat sehen, wird es dort kaum geben“, glaubt Goldberg. Es sei denn, ein Werbekunde will nicht in erster Linie verkaufen, sondern Gesprächsthema sein.

(mat) führte ihr erstes Interview für die absatzwirtschaft 2008 in New York. Heute lebt die freie Journalistin in Kaiserslautern. Sie hat die Kölner Journalistenschule besucht und Volkswirtschaft studiert. Mag gute Architektur und guten Wein. Denkt gern an New York zurück.