Wie entwickelt sich das Digitale Fernsehen?

Das terrestrische Fernsehen erlebt zurzeit eine Renaissance. Nachdem Zuschauer jahrelang nur eine sehr begrenzte Anzahl von Sendern über die Antenne empfangen konnten, überlegen sich nun, nach Einführung des digitalen terrestrischen Fernsehens (DVB-T), ob sie weiterhin die Kabelgebühren zahlen. Sie könnten auch 100 Euro investieren, die notwendige Set-Top-Box kaufen und DVB-T empfangen.

Mit dem Kauf einer Set-Top-Box kann so der Nutzer kostenlos auf eine große Anzahl von Programmen in den betroffenen Regionen zugrei-fen. Während der private Kabelkunde monatlich bei Kabel Deutschland rund 14,13 Euro für den Kabelanschluss bezahlen muss, fallen für den Satelliten- oder DVB-T-Nutzer nach der Beschaffung der Hardware keine weiteren Kosten an.

Daher hat DVB-T erhebliche Auswirkungen auf den Wettbewerb um den Fernsehzuschauer. Insbesondere die Kabelnetzanbieter kommen in Bedrängnis, um ihre monatlichen Grundge-bühren gegenüber einem kostenlosen terrestrischen Empfang zu rechtfertigen. Durch den wachsenden Wettbewerbsdruck auf die Kabelnetzbetreiber werden diese zunehmend in die Kundenbindung und Neuakquisition investieren müssen, um so die drohenden Verluste aus-zugleichen. Somit werden von ihnen immer mehr Services bereitgestellt werden, die eine schnellere Diffusion des Digitalen Fernsehens – auch im Kabel – bedingen.

Die bisherige Verbreitung des Digitalen Fernsehens in Deutschland ist eher gering. Von den knapp 5,3 Millionen Haushalten, die Digitales Fernsehen, nutzen sind knapp 3 Millionen Pre-miere-Kunden. Zudem fällt auf, dass der Großteil der Digital-Zuschauer Satellitenempfang nutzt, was vor allem darin begründet ist, dass nahezu alle neu erworbenen Satellitenanlagen einen Digital-Receiver beinhalten. Vor diesem Hintergrund kommt der Einführung des DVB-T in Deutschland eine hohe Bedeutung zu. Da die analogen Frequenzen nach und nach in den betroffenen Regionen abgeschaltet werden, kommen nun die Nutzer der terrestrischen analo-gen Frequenzen in Entscheidungszwang. Sie können sich entweder für DVB-T entscheiden und eine Set-Top-Box kaufen, oder sie wechseln zu Kabel und Satellit.

Trotz der hohen Relevanz sind konkrete Prognosen zur Entwicklung des Digitalen Fernsehens Mangelware. Wir adressieren dieses Problem und stellen im Folgenden unsere Ergebnisse einer Delphi-Befragung vor, mit der wir eine Prognose der Entwicklung des Digitalen Fernse-hens in Deutschland bis 2010 vornehmen. Die Prognose stellt auf die Diffusion digitaler End-geräte (Erstgeräte) ab, die sich auf die Digitalisierung des (1) Kabelnetzes, (2) Satellitenemp-fangs und (3) terrestrischen Empfangs aufteilt.

Prognose der Digitalisierung bis 2010
Die aktuelle Empfangssituation im Bundesgebiet stellt sich wie folgt dar: Mehr als 55% der deutschen TV-Haushalte empfängt das Programm über das Kabelnetz, knapp 40% über Satel-lit und nur 4,5% der Haushalte nutzt das terrestrische Signal. Das Kabelnetz ist der dominie-rende Verbreitungsweg in Deutschland und erreicht 20,13 Millionen Haushalte. Diese Marktmacht begründet die zentrale strategische Position der Kabelnetzbetreiber.

Aufgrund der zahlreichen Interdependenzen mit anderen Märkten und Technologien, der um-fangreichen Einflüsse der von den unterschiedlichen Marktteilnehmern eingesetzten Marke-ting-Instrumente und der bislang nicht erfolgreichen Diffusion von Services, die es den Nut-zern ermöglichen, sich ein konkretes Bild über die Vorteilhaftigkeit des Digitalen Fernsehens zu machen, wird im Folgenden auf die Methodik der Delphi-Befragung zurück gegriffen (Brockhoff 1979). Bei der Delphi-Befragung werden Experten nach einem vorgegebenen Schema befragt. Dieses Schema stellt sicher, dass eine individuelle Prognose durch die Exper-ten vorgenommen und diese dann erst anschließend zur Diskussion gestellt wird. Fünf ausge-wiesene Experten prognostizieren die Anteile für 2010 in den verschiedenen Übertragungs-wegen (Terrestrisch, Satellit und Kabel) sowie deren Digitalisierungsgrad. Dabei wurde aus-schließlich auf das Erstgerät abgestellt, von dem angenommen wird, dass es nach wie vor als Hauptempfangsgerät im Wohnzimmer stehen wird.

Den Experten wurden die bekannten Anteile der Übertragungswege im Jahre 2003 vorgegeben und sie wurden gebeten, ihre Einschätzung der Anteile für das Jahr 2010 anzugeben. Dasselbe Vorgehen wurde für den Anteil der Digitalisierung je Übertragungsweg gewählt. Neben der Prognose des Endzustands wurden die Teilnehmer gebeten, den Verlauf des Zuwachses bzw. Abgangs je Übertragungsweg sowie den Verlauf der Digitalisierung in den einzelnen Übertragungswegen zu prognostizieren. Hinter den einzelnen Verlaufsarten standen Diffusionsraten, so dass auch unterschiedliche Einschätzungen des Verlaufs quantifiziert werden konnten. Nach den Schätzungen wurden diese hinsichtlich der Annahmen diskutiert, um darüber einen Konsens herbeizuführen. Erst wenn dies nicht mehr möglich war, wurde der Mittelwert der Experten herangezogen.

Die Delphi-Befragung wurde im Sommer 2004 durchgeführt. Die entsprechenden Ergebnisse sind im Folgenden dargestellt. Es wird erwartet, dass die Digitalisierung der Erstgeräte (Zweitgeräte werden nicht einbezogen) über alle Verbreitungswege hinweg deutlich zunehmen wird (Abbildung 1).

Insgesamt erwarten wir ein Absinken des Marktanteils des Kabelnetzes von 56% in 2003 auf 40% in 2010. Dabei wird geschätzt, dass die Digitalisierung der Kabelhaushalte von heute 10% auf 44% anwächst. Erste Schritte in die digitale Richtung unternimmt zurzeit Kabel Deutschland mit seinem eigenen Programmangebot „Kabel Digital Home“, das für neun Euro pro Monat angeboten wird. Durch den Markteintritt von Kabel Deutschland kommt Premiere zunehmend in Zugzwang und wird die eigenen Angebote weiter ausbauen – und gegebenen-falls die Preise weiter senken. Damit steigt die Attraktivität des digitalen Kabelfernsehens weiter an und die Diffusion nimmt zu.

Deutliche Marktanteilszuwächse werden hingegen bei den Satelliten- und terrestrischen Emp-fängern erwartet. Die Satellitenhaushalte werden von heute 40% bis 2010 weitere 10% zule-gen können (davon sind dann in 2010 65% digital). Auch wird DVB-T laut Prognose Einzug in die Haushalte finden und den Marktanteil der terrestrischen Haushalte von 4% in 2003 auf 10% in 2010 steigern. Entgegen der Ankündigung des Bundes wird auch im terrestrischen Bereich vermutlich keine 100%ige Digitalisierung erreicht werden, sondern nur 94%, weil erwartet wird, dass grenznahe Haushalte sich weiterhin an der analogen Ausstrahlung im Aus-land orientieren.

Abbildung 2 und 3 verdeutlichen den prognostizierten Anteil der Digitalisierung in Deutsch-land. Insgesamt wird erwartet, dass 59,2%, das sind absolut gesehen 21,46 Millionen Haushalte, bis 2010 mit ihrem Erstgerät auf Digitales Fernsehen umgestiegen sind. Die Experten nehmen also an, dass keine 100%-Abdeckung erreicht wird, weil private Sender umsteige-unwillige Haushalte nach wie vor über Kabel oder Satellit bedienen werden.

Spätestens im Jahr 2009 wird der Anteil der digitalen TV-Haushalte den Anteil der analogen Haushalte übersteigen (Abbildung 3).

Abbildung 4 unterteilt die Digitalisierung in den einzelnen Verbreitungswegen. Die Digitalisierung der terrestrischen Verbreitung wird im Jahre 2010 nahezu vollständig vollzogen sein, wohingegen insbesondere im Kabel aber auch im Satellitenbereich noch Wachstumspotenziale vorliegen.

Wenngleich Prognosen nur ex post validiert werden können, so ist ein Vergleich mit Prognosen anderer Institute sinnvoll, um so festzustellen, wie optimistisch bzw. pessimistisch die hier vorgelegte Prognose ist.

Es konnten drei themenverwandte Studien identifiziert werden, wobei die ersten drei Studien nur bedingt für den Prognosevergleich geeignet sind.

  • German Entertainment and Media Outlook: 2003 – 2007 (PriceWaterhouseCoopers 2003)
  • Daten zur Informationsgesellschaft (BITCOM 2004) sowie
  • Media Transmission Infrastructures 2009 (Goldmedia 2004).

Der „German Entertainment and Media Outlook: 2003 – 2007“ befasst sich mit Unterhal-tungs- und Medienmärkten (Film, TV, Musik…), wobei Fernsehen nur einen Unterpunkt dar-stellt. Dort wird vornehmlich auf das Kabel- und Satellitenfernsehen (als so genannte „Multi-kanal-Haushalte) fokussiert. Die terrestrische Verbreitung wird nicht angesprochen und auch die Entwicklung der Digitalisierung wird nicht angegeben.

In den „Daten zur Informationsgesellschaft“ werden alle digitalen Verbreitungswege von Da-ten betrachtet (also auch ISDN, UMTS, Internet, WLAN Hotspots…). Problematisch ist die fehlende Abgrenzung des Digitalen vom Interaktiven Fernsehen in der Studie. Digitales Fern-sehen bedeutet noch längst kein Interaktives Fernsehen, das über einen Rückkanal verfügen muss und auch analog darstellbar ist (z.B. über die Microsoft Media Center Edition). Es wird lediglich vorausgesagt, dass bis 2007 16% der Haushalte in Deutschland Digitales Interakti-ves Fernsehen haben werden. Ein Vergleich mit der eigenen Prognose ist daher schwierig, da nicht nach Verbreitungswegen differenziert wird und auch keine absoluten Angaben getroffen werden. Im Gegensatz zur Studie „Daten zur Informationsgesellschaft“ erwarten wir einen Digitalisierungsgrad (insgesamt) von 37% im Jahre 2007 (Abbildung 4).

Die Studie „Media Transmission Infrastructures 2009“ (Goldmedia 2004) erwartet bis 2010 einen Digitalisierungsgrad von weniger als 50%. Dort wird insbesondere die Digitalisierung im Kabelnetz als sehr schleppend erwartet. Wir erwarten hingegen einen Digitalisierungsgrad im Jahre 2009 von 53,5%. Der wesentliche Unterschied zwischen der eigenen und der Gold-media-Prognose ist die Einschätzung der Entwicklung der terrestrischen Verbreitung. Wäh-rend Goldmedia bis 2009 nur 700.000 terrestrische Erstgeräte erwartet, prognostizieren wir knapp 3 Millionen Endgeräte für DVB-T (Abbildung 3). Dafür sieht Goldmedia eine etwas bessere Diffusion der digitalen Satellitenempfänger bis 2010 mit etwa 12 Millionen Satelli-tenhaushalten, wohingegen wir bis Ende 2009 knapp 10,9 Millionen Haushalte erwarten.

Im Vergleich zeigt sich, dass die eigene Prognose den Digitalisierungsgrad an sich nicht ex-trem anders prognostiziert. Allerdings misst die eigene Prognose der terrestrischen Verbrei-tung ein höheres Gewicht zu.

Fazit
Die Prognose verdeutlicht erhebliche Änderungen der Übertragungswege: So wird die Satelli-tenverbreitung auch in Zukunft maßgeblicher Übertragungsweg des Digitalen Fernsehens sein. Allerdings wird die digitale terrestrische Verbreitung durch die Umstellung auf DVB-T eine Renaissance erleben und insbesondere den Kabelnetzbetreibern Kunden abnehmen.

Autoren:

Dr. Michel Clement ist Habilitand am Lehrstuhl für Innovation, Neue Medien und Marketing an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel. Er beschäftigt sich mit dem Management von Medien und dem Marketing von Innovationen. Zuvor war drei Jahre in verschiedenen Management-Positionen bei der Bertelsmann AG tätig.

Dipl.-Kfm. Holger Schneider ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Innovation, Neue Medien und Marketing an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel. Seine Forschungsschwerpunkte liegen im Bereich des Digitalen Fernsehens und der Preissetzung in elektronischen Märkten.

Prof. Dr. Sönke Albers ist Inhaber des Lehrstuhls für Innovation, Neue Medien und Marketing an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel. In der Praxis ist er als Vorsitzender des Aufsichtsrats der Bidbizz AG, Kiel, sowie als Vorsitzender des Wissenschaftlichen Beirats der AMCON GmbH in der Beratung aktiv. Seine Forschungsschwerpunkte liegen in den Gebieten des Vertriebsmanagements, der Marketing-Mix- und Neuprodukt-Planung, insbesondere im Öffentlichen Personennahverkehr, sowie des Electronic Commerce und der Marktdurchsetzung von Innovationen.

Literatur