Wie die Volksseuche Digitalgutschein gute Kunden verdirbt

Couponing zählt den bewährten Kundengewinnungsmethoden im Marketingmix. Leider gelten für digitale Gutscheine andere Voraussetzungen als im echten Leben und allzu viele Marketer bekommen davon nichts mit. Oder hat das alles Methode?

Von Frank Puscher

Verzeih mir Marketer, denn ich habe gesündigt. Ich wollte eigentlich gar nicht, aber es kam so über mich. Als ich letzte Woche bei der Lufthansa einen Rückflug von einer Veranstaltung im Juni buchen wollte, hat es mich hingerissen. Obwohl der Flugpreis mit 59 Euro all inclusive – bei der Lufthansa wird auch der kostenlose Check-in als Inklusivleistung beworben – bereits deutlich günstiger war als eine Zugfahrt, drängte mich mein Unterbewusstsein dazu, ein neues Browser-Tab zu öffnen. Dort erscheint Google als Startseite. Unwillkürlich fingen meine Finger an zu tippen, und als ich mein Bewusstsein wiedererlangte, stand dort „Gutschein Lufthansa“ in der Suchmaske. In Panik geratend, versuchte ich noch das Auslösen der Suche zu verhindern, aber es war zu spät. Nullkommadreiundzwanzig Sekunden später erschienen sechs Millionen Treffer und gleich der erste von einer Website namens Gutscheinsammler verhieß Erfolg: „Lufthansa Gutschein 20 Euro Lufthansa Gutscheincode April 2012“ stand dort. Zwei Mal noch geklickt, die E-Mail-Adresse an Lufthansa übermittelt und Sekunden später klingelte der virtuelle Postbote mit der frohen Kunde, ich könne nun meinen Warenkorb auf der Lufthansa-Seite um ein sattes Drittel verringern.

Es mag Leser geben, die an dieser Stelle anfangen zu gähnen, oder andere, die direkt auf Lufthansa.de wechseln. Gutschein-Bashing gehört zum guten Ton unter Marketern. Keiner mag´s, aber jeder macht´s, auch wenn Groupon 40 Prozent Provision vom bereits um 50 Prozent rabattierten Verkaufspreis haben möchte.

In meinem Fall ist die Sachlage etwas differenzierter. Erstens wusste ich, dass es irgendwo immer einen Lufthansa-Gutscheincode gibt. Zweitens hätte ich den Flug auch ohne Gutschein gebucht. Drittens hat Lufthansa selbst aus mir einen Gutschein-Junkie gemacht. Viertens bin ich gar kein FC Bayern-Fan (für die war die Gutscheinaktion gedacht). Und fünftens hat Lufthansa bereits alle meine validen Daten, weil ich registrierter Vielflieger bin und bereits vor einem halben Jahr bei einer ähnlichen Aktion meine Daten gegen einen Gutschein eingetauscht habe.

Möge es einen geneigten Leser geben, der aus diesem Konstrukt einen ROI errechnet, dann lade ich ihn hiermit ausdrücklich zum Abendessen ein. Irgendwo habe ich noch ein Buch mit 2:1-Gutscheinen. Allerdings nur für Hamburg.

Man sollte vielleicht erwähnen, dass ich Schwabe bin. Ein Tag ohne Gutschein ist für mich kein guter Tag. Als verantwortungsbewusster Journalist muss ich also meine ego-zentrierte Sichtweise relativieren. Das kann man ganz gut mit einem Tool namens Google Insights for Search. Da kann man heraussuchen, was die Welt sucht. Gibt man dort also den Begriff „Gutschein“ ein und beschränkt die Suche auf Deutschland, so erscheint eine blaue Linie recht weit oben in der Grafik. Spannend wird es nun, wenn man diesen Suchbegriff mit anderen vergleicht. Man nehme zum Beispiel „Qualität“ (zugegeben, danach sucht keiner wirklich), „Obama“, „Merkel“ und „Borussia Dortmund“. Zumindest letzteres ist ein Thema, das die Deutschen in den vergangenen Wochen wirklich bewegt hat.

Nun zeigt die Grafik weiterhin die blaue Linie ganz oben und darunter, knapp oberhalb der Nullgrenze, noch ein paar andere farbige Linien. Tatsächlich verteilt sich die Suchhäufigkeit bei 100 Suchanfragen so: Gutschein 81 Prozent, Qualität acht Prozent, Merkel neun Prozent, Obama sechs Prozent und Borussia Dortmund elf Prozent. Es gibt also auch ein paar Suchanfragen nach mehr als einem Begriff. Meine gute Kinderstube hindert mich daran, an dieser Stelle zu fragen, was eine Suche nach „Merkel Gutschein“ zum Zweck haben könnte.

Deutschland ist ein Volk von Gutscheinsuchern. Und Gutscheinkäufern. Und das geht so: Sie wollen nächste Woche mit der Bahn verreisen und das Ticket würde mehr als 49 Euro kosten? Dann gehen Sie zu Ebay, geben dort in die Suche „Bahn Gutschein“ ein und man bietet Ihnen jede Menge Kronkorken von Krombacher an, in denen 10-Euro-Gutscheine versteckt sind. Sie wechseln die Ansicht auf „Sofortkauf“ oder „Bald endende Angebote“ und schlagen bei einem Anbieter zu, der Paypal-Zahlung akzeptiert. Die Kaufabwicklung und Bezahlung ist eine Sache von Sekunden und wenn der Anbieter auf Zack ist, bekommen Sie den Gutschein innerhalb der nächsten halben Stunde per E-Mail. Natürlich nicht den Kronkorken, sondern nur den achtstelligen alphanumerischen Code.

Sie werden einwenden, dass Sie bereits Bahn-Stammkunde sind und sogar eine Bahncard haben. Wurscht. Funktioniert trotzdem. Ist ja auch nicht nur zur Neukundengewinnung gedacht. Aber zu was sonst? In der gleichen Charge von Krombacher finden sich Probeabos von „Hörzu“ oder Gutscheine für den Onlineshop von Obi. Da wird die Mechanik deutlicher. „Hörzu“ kann süchtig machen oder man verpasst den Kündigungstermin für die Abo-Verlängerung. Und den Onlineshop von Obi kennt ja keiner, da kann ein Gelegenheitsbesuch schon mal incentiviert werden. Aber die Bahn, die Lufthansa, Luxushotels, Premiummarken, Gourmetversender? Alle bieten unverhohlen Gutscheincodes im Netz an, die digital übertragbar sind. Das ist sozusagen die in Bits und Bytes gemeißelte Garantie für Mitnahmeeffekte.

Verschleierungsstrategien gibt es zuhauf und keine davon funktioniert. Der Gutscheincode gilt nur für Erstkunden? Kauf ich eben für meine Freundin. Es wird nur ein Gutschein pro Mail-Adresse zugeschickt? Macht nichts, ich habe bei Strato ein Hosting-Paket mit 50 E-Mail-Adressen, von denen ohnehin 45 brach liegen. Konsequenterweise sollte man sie Gutschein1@Puscher.de (und folgende) nennen. Und ganz perfide wird es, wenn einer der größten E-Mail-Systemanbieter seinen Händlern empfiehlt, denjenigen Endkunden, die einen Warenkorb zwar gefüllt, aber nicht gekauft haben, im Zuge des Retargeting zwei Tage später einen Gutschein zuzuschicken. Wenn sich das herumspricht, werden wir viele, viele abgebrochene Warenkörbe in der nächsten Zeit erleben. Einfach mal zum Ausprobieren.

Und was soll an dem Ganzen so schlimm sein? Gar nichts. Je länger ich darüber nachdenke, möchte ich hiermit jeden Leser dazu ermutigen, endlich Digitalgutscheine in seinen Marketingmix zu packen. Ohne Mindestbestellwert, nicht nur an Neukunden gerichtet, übertragbar, Suchmaschinen-optimiert und mit einem deutlichen Sparbetrag. Nur mit einer solchen Graswurzel-Strategie wird es uns gelingen, diesen unmoralischen Sumpf quasi von unten auszutrocknen. Soll der Schnäppchenjäger an seinen Gutscheinen doch ersticken! Und noch ein kleiner Tipp an Filialisten: Machen Sie die Gutscheine als PDF ausdruckbar und zwar vollflächig vierfarbig. Dann tut das Ausdrucken wenigstens richtig weh.

Alle anderen bleiben eben bei der hoffnungslos veralteten Strategie, Gutscheine nur gelegentlich zu verteilen, um die eigenen Preise nicht zu beschädigen. Oder die eigene Leistung deutlich zu erklären, um vielleicht einen Stammkunden zu gewinnen. Oder einen Mindestbestellwert anzugeben, um den durchschnittlichen Warenkorb zu steigern und ähnlichen Unsinn eben.

Übrigens: Wer selbst ein solch abschreckendes Beispiel am eigenen Leib erleben möchte, sollte sich beeilen. Die Lufthansa-Gutscheine gelten nur noch bis Ende Mai. Und während man auf die Spar-E-Mail wartet, sollte man unbedingt gelegentlich mal Unsinn ins Buchungsformular bei der Lufthansa eingeben. Das hält die Session-ID frisch. Wäre doch zu schade, wenn man dann einen Gutschein hätte, aber keinen Flug dafür.

Frank Puscher ist Herausgeber des City-Golfguide, eines Gutscheinbuchs für Golfer (nur auf Papier).