Wie aus Leitbildern wertschöpfende Instrumente werden

Axel Weber, frisch gekürter Präsident der Deutschen Bundesbank, sorgte schon in seinen ersten Amtstagen für Aufregung. Er kündigte seiner Mannschaft an, dass sie sich künftig an einem Leitbild ausrichten solle. Sein Ziel: „Leistung steigern und bessere Kontrolle“, so die Wirtschaftswoche. Dabei gab es Aufregung genug in jüngster Vergangenheit. Der Rücktritt Ernst Weltekes wegen seines Berlin-Ausflugs auf Kosten der Dresdner Bank hatte die „finanzpolitische Kathedrale der alten Bundesrepublik“ schwer erschüttert. Nun also ein Leitbild – was soll das bringen?

Weber zielt mit seinem ersten großen internen Projekt auf die Unternehmenskultur der Bundesbank. Und er signalisiert: kein sozialromantischer Luxus, sondern Problemlösungsprogramm und notwendige Maßnahme zur Sicherung, Steigerung und Kontrolle des wirtschaftlichen Unternehmenserfolgs. Seine Ankündigung, ein neues Leitbild einzuführen, ist somit ein deutliches Signal.

Die öffentliche Diskussion um das „Vergehen“ des zurückgetretenen Bundesbankpräsidenten war aber auch eine Diskussion um Moral im Unternehmen. Moral – ein Begriff der gerne als weich und gefühlsbetont verharmlost wird und eher dem Freiherrn von Knigge, als der Realität moderner Unternehmen zugeschrieben wird. Weit gefehlt: Moral liegt begründet im Handeln mit anderen und dieses Handeln setzt gemeinsame Wert-Orientierungen voraus. Die moralischen Grundsätze eines Unternehmens – eben sein Leit-Bild – bestimmen maßgeblich die Identität. Um so wichtiger ist es, dass angefangen bei der obersten Führungsetage bis hin zum Pförtner jeder Mitarbeiter die Grundsätze der Unternehmenskultur nicht nur kennt sondern in seinem täglichen Verhalten verankert.

Doch hier ist das nächste Problem. Viele Leitbilder erwecken den Eindruck auf, es gäbe eine Business-Welt aus lauter ‚Musterknaben‘. Denn Unternehmensleitbilder sind heute häufig genug Absichtserklärungen und Alibi-Dokumente zu ethisch, moralisch und sozial richtigem Handeln und Verhalten. Begriffe wie Vertrauen, Respekt, Teamarbeit, Kreativität, Offenheit, Toleranz, Integrität, Innovation und so weiter werden beinahe stereotyp aneinander gereiht. Sind das nicht Selbstverständlichkeiten? Offensichtlich nicht – denkt man beispielsweise zurück an EM-TV und den „Coup der Haffa-Brüder“ oder an die „Riesen-Sauerei“ bei Enron. Was läuft da falsch?

Punkt eins: Wenn das Verantwortungsbewußtsein der Führungsmannschaft blanker Gier und purer Bereicherung weicht, dann stinkt der Fisch vom Kopf. Und mit der Einhaltung von Unternehmensgrundsätzen kann es dann eben auch auf den unteren Etagen nicht weit her sein. „Was die da oben können…“. Führen heißt immer auch Vorbild sein, und da ist mehr als Symbolisches Management gefragt. Warum beispielsweise hat Aventis seine Mitarbeiter so lange in dem Glauben unterstützt, dass mit dieser Führung eine feindliche Übernahme durch Sanofi nie zu machen sei? Nur Tage später war der Deal perfekt, die Posten verteilt – und das Vertrauen dahin. Das Leitbild leben, wie es immer so schön heißt, fängt bei den Führungskräften an.

Punkt zwei: Ohne operative Relevanz nützen die schönsten Grund-Sätze nichts. Die allgemeinverbindliche Orientierung eines Leitbildes muss immer auch eine konkrete und operative Handlungsrelevanz besitzen. Der Schlüssel dafür sind Führungsleitlinien, Qualitätsstandards oder Kommunikationsleitlinien. Sie vermitteln detailliert und spezifisch jedem einzelnen Mitarbeiter, wie sie konkret an ihrem Arbeitsplatz das Leitbild umsetzen können. Damit wird der Rahmen für verantwortungsvolles Handeln jedes Einzelnen geschaffen. Und das Unternehmen besitzt mit diesen Leitlinien und Standards nachvollziehbare Kategorien für einen zielführenden Controlling-Prozess, der beispielsweise durch Zielvereinbarungen umgesetzt werden kann.

Punkt drei: Verhalten ändert sich nicht über Nacht und ein Leitbild als Druckmittel erzeugt nur Widerstand. Vielmehr sollte die Umsetzung eines Leitbildes in einem kontinuierlichen und mehrstufigen Brand-Engagement-Prozess erfolgen. Die Einbeziehung aller Mitarbeiter spielt dabei eine ebenso große Rolle wie eine strikt hierarchieübergreifende, authentische Kommunikation. Schon der monatliche Brief des Vorstands an die Mitarbeiter kann wahre Wunder bewirken, wie etwa Jürgen Dormann bei ABB vormacht. Bereitschaft, Motivation und Leistungswille der Mitarbeiter können nur stimuliert werden, wenn visionäre Zielsetzungen und Unternehmensgrundsätze sinnvoll, verständlich und vor allem ehrlich sind. Es geht darum, ein klares Commitment dafür zu schaffen, wofür die Organisation oder Marke steht, wohin sie sich entwickelt und welchen Beitrag jeder einzelne zu deren Erfolg leisten kann.

Eine konsequente Führungskultur, die Übersetzung generalistischer Leitbilder in handlungsrelevante Standards sowie die Etablierung eines kontinuierlichen Brand Engagement Prozesses sind somit treibende Erfolgsgaranten für eine Unternehmenskultur, die Motivation fördert, Leistungen steigert und Wert schöpft.

Über den Autor: Dr. Klaus Schmidt ist CEO des internationalen Beratungsunternehmens für Branding und Identitätsentwicklung Henrion Ludlow Schmidt (London, Hamburg) und Autor des aktuell im Luchterhand Verlag erschienen Fachbuches „Inclusive Branding– Methoden, Strategien und Prozesse ganzheitlicher Markenführung „.