WhatsApp als Vertriebskanal: Wann ein eigener Account nützt

N-tv versendet seine Breaking News ab sofort auch über den Kurznachrichtendienst What's App. Der TV-Sender ist damit nicht alleine. Die neue Vertriebsmethode spielt für Redaktionen eine immer wichtigere Rolle – vor allem in der jungen Zielgruppe.
Das größte Wachstum verzeichnen eindeutig Chat-Apps

Mit dem Mobile-Traffic kam auch das Mobile-Sharing. Weltweit erleben Redaktionen einen rasanten Anstieg an mobilen Zugriffen auf ihre Inhalte, der Grundgedanke „Mobile first“ hat sich nicht zuletzt deshalb in vielen Medienhäusern durchgesetzt. Und je mobiler das Web wird, umso mächtiger wird auch die virale Macht von WhatsApp. Der im vergangenen Jahr von Facebook übernommene Messenger zählt mehr als 30 Millionen Nutzer und beweist sich mit seiner Auslegung auf das Verschicken von Bildern, Videos und Links als ideales Social-Sharing-Tool – eine nicht wirklich neue Erkenntnis. Aber eine, die ihre Zeit brauchte, um in Digital-Redaktionen gewonnen zu werden. Unterstützt von Viral-Maschinen wie BuzzFeed, hat sich der grüne Sharing-Button auf mittlerweile viele Nachrichtenplattformen weiterverbreitet. Zwar kann immer noch nicht genau analysiert werden, wie viel ein Dienst wie WhatsApp zum Traffic beiträgt, das Sharing-Potenzial ist aber unumstritten. 

Kleine Redaktionen experimentieren, große sind interessiert, zögern aber

Vor allem kleinere Redaktionen scheinen bereit zu sein, um mit WhatsApp zu experimentieren. Seit Anfang Februar versucht die Berliner Morgenpost WhatsApp als neuen Vertriebsweg zu etablieren. Ihr neuer Online-Chef Jan Hollitzer begann das Projekt im Januar bei der Thüringer Allgemeinen, und auch die Hessisch Niedersächsische Allgemeine startet im März einen WhatsApp-Dienst. Dafür haben sich die Redaktionen einen WhatsApp-Account angelegt, den ihre Leser als Kontakt hinzufügen können. Auf Wunsch bekommen sie Meldungen mit weiterführendem Link als Direktnachricht geschickt.

https://www.youtube.com/watch?v=m3TFbwQmUTw

Seit Start Mitte Januar hat die Redaktion der Thüringer Allgemeinen rund 6.000 Kontakte gesammelt, die täglich Nachrichten via WhatsApp empfangen. „Der Vorteil ist, dass wir die Menschen dort erreichen können, wo sie sich tatsächlich aufhalten, außerdem besteht eine direkte Verbindung. Im privaten Bereich ist WhatsApp längst ein Massenmedium“, erklärt Hollitzer im Gespräch mit MEEDIA. Ob WhatsApp das Zeug hat, sich als direkter Vertriebsweg auch in großen Redaktionen durchzusetzen, ist derzeit fraglich. Zwar bestünde das Interesse, beteuert gegenüber MEEDIA beispielsweise FAZ.net-Redaktionsleiter Kai Pritzsche, allerdings erweise sich die Handhabung als zu umständlich. „Das Hinzufügen von Kontakten funktioniert manuell, genauso wie das Verschicken von Inhalten“, bemängelt Pritzsche. „Für die optimale Anwendung bräuchte es automatisierte Prozesse, wie wir sie beispielsweise bei Twitter haben.“

Redaktionen können bei WhatsApp so genannte Broadcast-Listen, also Verteiler-Listen, einrichten, und somit bis zu 256 Nutzern gleichzeitig eine Nachricht schicken. Für den 257. Abonnenten allerdings muss eine neue Liste angelegt werden. Dass WhatsApp sich seit Anfang des Monats auch von PCs aus bedienen lässt, gilt allgemein hin zwar als Vorteil für die redaktionelle Anwendung, überzeugt Pritzsche aber nicht. „Das kann sich ändern, sofern es technische Lösungen gibt, den Vertrieb aufwandsarm zu organisieren.“ Bis dahin setzt FAZ.net weiter auf den Sharing-Button, der eigenen Aussagen zufolge bereits in rund 20 Prozent aller mobilen Sharing-Fälle gedrückt wird, und verschickt seine Eilmeldungen via eigener Applikation.

Die Umständlichkeit bestätigt Benjamin Denes. Er hat eine kleine Redaktion mit großer Marke auf WhatsApp gebracht: Seit September beliefert Spiegel TV mittlerweile knapp 500 Nutzer mit Linktipps und Programmhinweisen zur Sendung. Hollitzer erfährt bei seinem Abonnentenkreis noch größere Probleme als allein die Handhabung. „Teilweise stellen wir auch Mängel im Versand fest, weil bei einigen Nutzern Nachrichten gar nicht erst ankommen.“ Dennoch sei das Feedback überwiegend positiv. „Führt man alle Bedenken an, die man beim Projekt haben könnte, kommt man vielleicht zu dem Entschluss, es zu lassen. Allerdings geht es in erster Linie um die Erfahrung und auch darum, seinen Lesern zu zeigen, dass man an Innovationen interessiert ist. Wenn ich mich an die Anfänge von Facebook erinnere, gab es damals auch Bedenken, ob der Aufwand dem Nutzen gerecht werden kann.“

WhatsApp bedeutet direkte Kommunikation

Ein weiterer Nebeneffekt: Mit dem Messenger entsteht nicht nur ein weiterer Vertriebs- sondern auch ein Kommunikationskanal. „Die Kommunikation hat den großen Vorteil, dass sie individueller und damit viel persönlicher ist. Während uns bei Facebook immer wieder stark negative, teils beleidigende Kommentare auffallen, beobachten wir bei WhatsApp einen persönlichen, freundlicheren Ton“, erzählt Denes. „Das mag daran liegen, dass sich der Nutzer bewusster darüber ist, dass am anderen Ende der Leitung ein Mensch sitzt.“ Hollitzer hat WhatsApp zudem für Leseraufrufe genutzt und beispielsweise Fotos gesammelt und die Galerie via WhatsApp zurückgespielt: „Der Rücklauf war enorm und die Interaktionsrate ist ungleich höher als bei Facebook“, berichtet Hollitzer. „Das erklärt sich wohl durch die Einfachheit, mit der Bilder per WhatsApp verschickt werden können. Und natürlich durch die Direktheit. Man landet eben direkt auf dem Sperrbildschirm und wird sofort mit seinem Anliegen wahrgenommen.“

Beitrag von SPIEGEL.TV.

Bei Spiegel TV ist WhatsApp eher eine reine Serviceleistung und weniger ein Traffic-Generator. „Für uns sind die Reaktionen unserer Freunde eine wichtige, qualitative Rückmeldung auf einzelne Filme“, erklärt Denes. „Quantitativ ist WhatsApp für uns keine wichtige Besucherquelle. Das liegt angesichts des momentan kleinen Abonnentenkreises auf der Hand.“ Seinem Team helfe die Kommunikation vor allem dabei, das Angebot besser auf Interessen der Nutzer abzustimmen, um Dokus und Reportagen möglichst Attraktiv bei Spiegel Online oder Facebook anzukündigen. Bei den Kollegen des Nachrichtenportals scheint das Projekt von Denes positiv aufgefallen zu sein. Auch Spiegel-Online-Chef Florian Harms und sein Team bereiten derzeit die Einführung eines WhatsApp-Accounts vor.

 

Linktipp: Auf seinem Blog hat Andreas Rickmann, Social-Media-Mann bei Bild, eine Übersicht mit WhatsApp-Diensten verschiedener Medien erstellt, die fortlaufend aktualisiert wird.

 

Dieser Beitrag erschien zuerst auf Meedia.de.