Werbung? No way! 

Unabhängige und gemeinnützige Medien verzichten oft ganz auf Werbung. Könnten nicht gerade sie einen Beitrag zu besserer Werbung leisten?
Augsburg, Bavaria, Germany – November 18, 2024: No advertising material on a letterbox in an apartment building. Symbol
Manche Medien wollen sich nicht durch Werbung finanzieren lassen. (© Imago)

„Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass wir in irgendeiner Form Werbung zulassen. Wir würden vielleicht mal ein Banner schalten, von einer gemeinnützigen Organisation wie dem Zukunftstag, mit dem wir auch zusammenarbeiten. Aber das läuft dann ohne finanzielle Gegenleistung. Richtige Werbung: No way.” Das sagt Saidi Sulilatu. Er ist Chefredakteur von Finanztip, einem journalistischen Angebot, das als unabhängiger Geldratgeber zur gemeinnützigen Finanztip-Stiftung gehört. 

Finanztip finanziert sich vor allem über Affiliate-Links, also Links, bei denen der Anbieter eines Produkts eine Provision für einen Abschluss zahlt, wenn User davor auf den entsprechenden Link geklickt haben. Formal gilt Finanztip damit nicht als werbefrei: „Wir dürfen nicht behaupten, dass wir werbefrei sind, weil Affiliate-Links rechtlich auch als Werbung zählen. Aber: Es kann uns niemand Geld dafür geben, dass er bei uns erscheint. Klassische Werbeformate haben wir gar nicht.”  

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Finanztip-Chefredakteur Saidi Sulilatu: „Wir sind unabhängig, weil uns niemand Geld geben kann, für das, was wir schreiben.“ (© Finanztip)

Die Journalistinnen und Journalisten von Finanztip beschäftigen sich also mit Fragen, die für Nutzende relevant sind. Und erst wenn das unabhängige Testergebnis dann feststeht, kümmert sich die Vermarktungseinheit darum, entsprechende Affiliate-Links zu bekommen. „Gibt es keine, ändert das aber nichts an den Empfehlungen. Das passiert auch ganz oft”, sagt Sulilatu. Neben den Affiliate-Links setzt Finanztip auf ein Unterstützermodell für Leserinnen und Leser: „Davon finanzieren wir dann Journalismus, der sich nicht über Affiliate-Links finanzieren lässt. Zum Beispiel sowas wie Ratgeber für Wohngeld. Das kann man schlicht nicht monetarisieren.”  

Keine Werbung, egal wie gut der Zweck ist 

Auf diese Art unabhängig arbeiten zu können, ist für Medien wie Finanztip entscheidend. Sulilatu könnte sich daher nicht vorstellen, für Unternehmen zu werben. Selbst dann nicht, wenn sie einen gesellschaftlichen Mehrwert bieten oder die Welt ein Stück weit besser machen wollen: „Wir sind unabhängig, weil uns niemand Geld geben kann, für das, was wir schreiben”, meint er. 

Auch andere werbefreie Medien wie Correctiv schließen Werbung – egal wie gut ihr Zweck auch sein mag – gänzlich aus: „Mit der genannten Fragestellung beschäftigen wir uns aktuell gar nicht, auch nicht hypothetisch.”

Etwas offener zeigt sich Atmo, ein Magazin, das im Frühjahr 2025 zum ersten Mal erscheint. Dahinter steckt das Redaktionsteam des ehemaligen Greenpeace Magazins, das im September 2024 zum letzten Mal erschienen ist. Katja Morgenthaler, Journalistin und Co-Gründerin, versucht mit ihrem Team nun, die DNA des Magazins zu Atmo zu transferieren: „Schon, weil es noch einen sehr großen Abonnentenstamm gab, 50.000 Leute um genau zu sein.” Viele Leserinnen und Leser hätten gesagt, dass sie für ihr Abo sogar bereit wären mehr zu zahlen. Und so hat Atmo eine Abo-Kampagne gestartet. 17.000 Abonnements waren zur Finanzierung nötig, inzwischen hat das Team über 18.000 zusammenbekommen. 

Werbung wurde mit den Leserinnen diskutiert 

Katja Morgenthaler, Journalistin und Co-Gründerin von Atmo: „Ohne Anzeigen kann man sich sicher sein, dass man nie auf diejenigen angewiesen sein wird, über die man da berichtet.” (© Alexandra Polina)

Diese Abos finanzieren das Magazin. Werbung gibt es hingegen nicht – obwohl das im Gründungsprozess durchaus ein Thema war: „Wir haben dann aber ein wenig Marktforschung gemacht, mit den Leuten, die damals schon unseren Newsletter abonniert hatten. Die haben wir qualitativ befragt. Einige wenige hätten Werbung nicht so schlimm gefunden. Die haben gesagt, mit guten Firmen könnten sie sich das schon vorstellen. Aber die große, Mehrheit fand es wichtig, genau das nicht zu machen. Für die ist das der Inbegriff von Unabhängigkeit. Die wollen wissen: Dieses Heft wird für mich als Leser und Leserin gemacht und für niemanden sonst.” Es würde sich aber ohnehin die Frage stellen: Wie hilfreich wäre Werbung für ein Printmagazin überhaupt, in einer Zeit, in der die Erlöse für gedruckte Werbung deutlich eingebrochen sind. 

Das größere Problem wäre aber wohl praktischer Natur: Wie wählt man „gute” Werbekunden überhaupt aus? Morgenthaler sagt zwar, dass es eine Menge Firmen gebe, die sich auf den Weg gemacht haben und tolle Dinge tun. Für diese Firmen könnte ein Magazin wie Atmo ein glaubwürdiges Werbeumfeld darstellen: „Aber wo setzt man die Grenze? Es dürften schon mal keine Firmen sein, die in Atomkraft oder fossile Projekte investieren oder die Menschenrechte verletzten. Klar. Aber was noch alles?”, fragt Morgenthaler. Dafür bräuchte es aus ihrer Perspektive eine Positivliste mit allgemeinverbindlichen Kriterien: „Ich kann nicht eine Preisliste rausgeben und dann trotzdem der Nase nach entscheiden.” Zwar will Morgenthaler Werbung für die Zukunft nicht gänzlich ausschließen. Die genannten Argumente wiegen dennoch schwer. 

Greenwashing: Mitgefangen, mitgehangen 

Mit diesem Cover geht das neue Magazin Atmo im Frühjahr an den Start. (© Atmo Magazin)

Ein zusätzliches Problem an einer Positivliste für Werbekunden: Wenn vermeintlich vorbildliche Marken wie GotBag irgendwann mit Greenwashing-Vorwürfen konfrontiert werden, dann könnte auch ein Medium Imageverlust erleiden, wenn es sich auf diesen Werbepartner einlassen würde. Die eigentlich gute Sache wirkt dann nicht mehr ganz so gut. Doch auch diese Probleme scheinen nicht unlösbar. Eine Möglichkeit wäre es, zusammen mit der Community zu entscheiden, wer Werbepartner sein könnte: „Da müsste man sich ein Format der Mitbestimmung überlegen. Ein Leserinnenbeirat, beispielsweise,” sagt Katja Morgenthaler. Doch auch das ist mit Aufwand verbunden. 

Auch rein wirtschaftlich wären Werbepartner gar nicht so einfach zu handeln, wie es auf den ersten Blick scheint, meint Morgenthaler: „Wenn von 18.000 Abonnierenden einige keine Lust mehr auf uns haben, lässt sich das hoffentlich auffangen. Wenn ein großer Anzeigenkunde wegbricht, dann schmerzt das schon mehr. Will man sich darauf wirklich verlassen müssen?” 

Letztendlich spielt auch für Morgenthaler die Frage von Unabhängigkeit und Selbstbeschränkung eine große Rolle. Sie denkt dabei an ein Adbusting-Format, das es im Greenpeace Magazin gab: „‘Keine Anzeige’ war eine Rubrik auf der letzten Seite, da haben wir jedes Mal eine Anzeige satirisch verfremdet. Das hat ziemlichen Spaß gemacht. Uns und den Lesern und Leserinnen. Damit haben wir Greenwashing auf die Schippe genommen.” Mit Anzeigenkunden beschränke man sich unter Umständen selbst, meint Morgenthaler: „Ohne Anzeigen kann man sich sicher sein, dass man nie auf diejenigen angewiesen sein wird, über die man da berichtet.” 

(fms, Jahrgang 1993) ist UX-Berater, Medien- und Wirtschaftsjournalist und Medien-Junkie. Er arbeitet als Content-Stratege für den Public Sector bei der Digitalagentur Digitas. Als freier Autor schreibt er über Medien und Marken und sehr unregelmäßig auch in seinem Blog weicher-tobak.de. Er hat Wirtschafts- und Technikjournalismus studiert, seinen dualen Bachelor im Verlag der F.A.Z. absolviert und seit mindestens 2011 keine 20-Uhr-Tagesschau verpasst.