„Werbung ist ein Spiegel der Gesellschaft“

Christian Rätsch, der CEO von Saatchi & Saatchi, spricht im Format "Drei Fragen an … " über Werbung, Werte und Arbeitsweisen nach Corona. Werteorientierung in der Unternehmensführung werde in der Zeit nach der Krise noch wichtiger und zum differenzierenden Faktor auf dem Arbeitsmarkt.
Christian Rätsch hat genug Marken gesehen, die sich bei den Konsumenten bedanken. (© Saatchi&Saatchi)

Herr Rätsch, wird die Corona-Pandemie die Werbung nachhaltig verändern?

CHRISTIAN RÄTSCH: Werbung ist ein Spiegel der Gesellschaft. Die Prä-Corona-Phase war von Purpose-Kommunikation geprägt, Haltung zu zeigen lag im Trend. Corona schlug in die Purpose-­Welle ein und der werb­liche Reflex war vorhersehbar: In diesen ­Tagen wird Solidarität gezeigt und Marken sagen Danke. So weit, so gut. Doch der Bogen ist bereits überspannt. Da quasi alle Marken kommunikativ auf den Danke-­Einklang setzen, wirkt solche Werbung mittlerweile überzeichnet, wenig differenzierend und teilweise sogar ­unglaubwürdig. Im Zeichen Corona-bedingter ­Lebenseinschränkungen wünschen sich die Menschen kurzfristig wieder Normalität in der Werbung, freuen sich über zurückkehrenden Humor und lassen sich mit attraktiver Angebotskommunikation ansprechen. Die Kaufbereitschaft kommt zurück und mit ihr etwas Normalität in der Kommunikation – nämlich Produkte mit Werbung auch zu vermarkten.

Was bleibt von gesellschaftlich breit diskutierten Initiativen wie „Fridays for Future“ – werden sie für eine werteorientierte Unternehmensführung weiterhin relevant sein oder zugunsten der zu erwartenden Rezession zurücktreten?

Die erwartete Rezession ist kein ­Freifahrtschein für wirtschaftlichen Erfolg um jeden Preis. Corona hat uns doch gelehrt, dass Toleranz, ­Miteinander und gegenseitige ­Ver­antwortung hohe und erstrebenswerte Güter sind. Auch in wirtschaftlich angespannten Zeiten gilt das Mantra, dass Talente Nomaden sind, die dahin ziehen, wo es interessant ist und die Rahmenbedingungen stimmen. Werteorientierung in der Unternehmensführung wird daher noch wichtiger und zum differenzierenden Faktor auf dem Arbeitsmarkt.

Wie wird sich die Agenturlandschaft durch Corona am Ende des Jahres verändert haben?

Arbeitsweisen werden sich verändern. Noch vor Wochen habe ich selbst gesagt, dass Kreativität ein sich erlebendes Team benötigt und Führungskräfte ins Büro gehören. Die vergangenen Wochen waren eine heilsame Erkenntnis mit Konsequenzen: Homeoffice wird verbreitet bleiben, Reisen werden eingeschränkt und die Rolle des Büros als Mittelpunkt des Geschäftsbetriebes wird infrage stehen.

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(vh, Jahrgang 1968) schreibt seit 1995 über Marketing. Was das Wunderbare an ihrem Beruf ist? „Freie Journalistin mit Fokus auf Marketing zu sein bedeutet: Es wird niemals langweilig. Es macht enorm viel Spaß. Und ich lerne zig kluge Menschen kennen.“