Werbeausspielung: Die Customer Journey ist tot

Gibt es im ganzen Buzzword-Bingo der letzten Jahre eines, dass weniger hinterfragt, unreflektierter angenommen ja sogar euphorischer auf den Thron gehoben wurde, als der Begriff Customer Journey? Dabei handelt es sich nur um die technisch gestützte Beobachtung von Häufungen in der Kontaktpunktreihenfolge
Kann eine ganzheitliche Customer Journey helfen? (© Fotolia 2015)

Wenn der Nutzungskontext verschieden ist

Ach und fast hätte ich es vergessen: Das Spiegelbild der User-Agent-Fragmentierung ist die Touchpoint-Atomisierung. Snapchat und Facebook gelten beide als Social Media, aber es ist so leicht zu erkennen, dass der Nutzungskontext so verschieden ist. Kann Onlinewerbung das abbilden? Für alle Touchpoints? Oder nur für die relevanten? Und welche sind das? Reagiert der User nicht auf das Plakat, weil er beim Vorbeilaufen auf sein Smartphone schaute, weil es ihn nicht interessierte, oder weil er die Botschaft schon kannte? Richard Ugwu, digitaler Innovationsstratege bei der Metro Group brachte das ganze Dilemma in zwei Sätzen auf den Punkt. „Bei manchen Kampagnen fällt es unseren Dienstleistern schwer, Männchen von Weibchen zu unterscheiden“. Das liegt nicht an der Qualität der Dienstleister sondern an der Qualität der Daten dahinter, denn bei deren Erhebung werden Annahmen getroffen, die halt manchmal nicht stimmen.

Und der zweite Satz betraf explizit Mobile Marketing: „Ich finde da draußen zur Zeit keine Plattform, die mir nennenswert qualitative Reichweite bietet außer Facebook und Google“. Eine Ohrfeige für die Branche, aber lauscht man den Advertisern landauf landab „of the record“, dann scheint mehr als ein Funken Wahrheit darin zu stecken.

Es wäre noch eine dritte Komponente ins Feld zu führen_ die begrenzten Ressourcen der Unternehmen und Agenturen. Selbst wenn ich die paar Hundert wichtigsten Journeys identifizieren kann, soll ich dann für jeden Touchpoint, für jedes Szenario Kampagneninhalte passgenau vorproduzieren? Und selbst wenn ich das schaffe, bringt dieser massive Kostenpunkt meinen ROI nicht in gewaltige Schieflage?

Es gibt eine ziemlich einfache Lösung aus diesem Dilemma. Sie besteht aus drei Bausteinen, die zugegeben vor allem einiges an Hirnschmalz fordern, technologisch aber überschaubar komplex sind.

1. Kluge Automatisierung

Auf höchster strategischer Ebene muss entschieden werden, welche Inhalte generisch bleiben dürfen, und welche in Richtung 1:1 dynamisch gewandelt werden. Klug ist eine Automatisierung auch dann, wenn man im monatlichen Turnus fragt, was der Algorithmus gerade so macht, was davon funktioniert und vor allem warum. Diese Fragen hören Automatisierungsdienstleister nicht gerne, weil das halt nicht skaliert. Aber sie sind wichtig.

2. Kluge Vereinfachung

Musste man eigentlich warten, bis Facebook mit Mindsights auf die Idee kam, neue Personakonzepte zu entwickeln? Dort suche ich eben nicht mehr nach 21, männlich, Großstadt, sondern nach dem „Funhunter“ und der kann halt auch weiblich oder 45 sein. Wenn wir uns den emotionalen Lebenswelten der Personas nähern, dann fällt es auch leichter sich vorzustellen, was die auf dem Smartphone machen, während vorne der TV vor sich hin rieselt.

3. Kluge Werbung 

Die macht im Zeitalter der Atomisierung der Touchpoints eines: Sie setzt auf OptIn. Die Werbung ist so gut, dass der Nutzer in Aktion tritt. Er recherchiert, teilt, registriert sich, kommentiert, fügt zu Favoriten hinzu oder scannt die Musik zu einem TV-Spot sogar mit Shazam. Jede dieser Handlungen zeigt dem Werber nicht nur, wo der Nutzer in seiner ganz persönlichen und situativ höchst variablen Kundenreise steht, sondern auch, dass ihn das interessiert, was da passiert. Hier lässt sich Adblock-free anknüpfen. Und wie schön wäre ein solches System für Re-Targeting: „Willst Du das noch sehen oder kann das weg?“

Bei Zalando fragt man sich seit einem Jahr bei jeder Kampagnenplanung: „Would you share it“. Klingt nach einem guten Ansatz.