Welche Risiken eine Markendehnung nach unten birgt

Eine Markendehnung nach unten birgt große Risiken, die bei anderen Markenerweiterungen so nicht gegeben sind. Oftmals bestimmen allerdings rein wirtschaftliche Überlegungen die Entscheidung – die Attraktivität des Marktes und die Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens. In jedem Fall sollten Markenstrategen vor der Umsetzung immer das konkrete geschäftliche Ziel definieren und die Risiken der verschiedenen Optionen für ihre Marke prüfen.

Die unteren Preissegmente können für eine Premiummarke interessant sein, wenn mit zunehmender Marktreife Produkte immer mehr als gleich wahrgenommen werden. Möglich, dass in diesem Fall das untere Preissegment dynamisch wächst – weil die Kunden preisbewusster werden, weil preisgünstige Händler an Bedeutung gewinnen oder weil Innovationen preisgünstige Angebote attraktiver machen beziehungsweise ihre bisherigen Nachteile beseitigen. Möglich auch, dass sich Wettbewerber im Einstiegssegment etablieren, die das Potenzial haben, in den Massenmarkt vorzudringen. In diesem Fall kann es strategisch wichtig sein, ihre Pläne zu durchkreuzen.

Beschädigung der Marke vermeiden

Das Risiko der Dehnung einer etablierten Premiummarke in untere Marktsegmente liegt jedoch in der Verwässerung der Marke. Weist das preisgünstige Produkt (nach Wahrnehmung der Kunden) nicht die von der Marke erwartete Qualität auf, leidet das Image der Marke. Sie läuft Gefahr, ihren Nutzen für die Selbstdarstellung des Kunden einzubüßen. Preisgünstige Angebote versprechen kaum den Prestigegewinn, der Kunden mit Selbstzufriedenheit erfüllt.

Zwei weitere Risiken sind zu beachten: Erstens kann es zu einer Kannibalisierung des Premiumprodukts kommen. Die Beispiele sind zahlreich, in denen ein Großteil der Käufer des preisgünstigen Produkts zum bisherigen Kundenstamm der Premiummarke zählte. Zweitens könnte das preisgünstige Angebot ironischerweise scheitern, weil die Kunden davon ausgehen, dass es vergleichsweise teuer ist – ein Problem, wenn das Preis-Leistungs-Verhältnis kaufentscheidend ist. Vier strategische Optionen bieten sich an, um diese Risiken und die Gefahr einer Beschädigung der Marke zu vermeiden:

1. Rückzug aus dem Premiummarkt

Wenn die Premiummarke im Wettbewerb zu kämpfen hat oder Qualitätsprobleme die Marke beschädigt haben, ist es möglicherweise besser, sich auf das untere Marktsegment zu konzentrieren, wo der Markenname noch zieht. Behauptet sie sich dagegen erfolgreich in einem großen, lukrativen Markt, ist es kaum ratsam und vielleicht gar nicht möglich, die Marke nach unten zu dehnen.

2. Entwicklung oder Übernahme einer völlig neuen, eigenständigen Marke

Die Modemarke Gap entschied sich zunächst anders und ging mit einer preisgünstigeren Linie unter dem Namen Gap Warehouse an den Markt. Als die Premiummarke Schaden nahm und unter zunehmender Kannibalisierung zu leiden hatte, gab das Unternehmen die Marke Gap Warehouse wieder auf und ersetzte sie durch die neue Marke Old Navy. Samsonite übernahm die Marke American Tourister für sein Geschäft im unteren Marktsegment und den Vertrieb über Discount-Händler und große Handelsketten.

Das Problem ist, dass nur wenige Unternehmen es sich leisten können, eine passende neue Marke zu entwickeln oder zu erwerben. Das gilt insbesondere für das untere Ende des Marktes, wo Kostenüberlegungen dem Kauf oder Aufbau einer Marke entgegenstehen, weil dies schlicht zu schwierig und kostspielig ist.

3. Entwicklung von Untermarken

Untermarken können das Risiko einer Kannibalisierung und Schädigung der Premiummarke reduzieren, indem sie das preisgünstigere Angebot klar von der Muttermarke unterscheiden. Leichter gelingt das, wenn die günstigeren Produkte selbst sehr markant sind und die Untermarke diesen Unterschied verstärkt. Schwieriger wird es, wenn die Produkte schwer zu unterscheiden sind, weil wesentliche Produktmerkmale nicht offensichtlich sind, wie beispielsweise bei Motorenölen oder Waschmitteln. Die Hotels der Kette Courtyard by Marriott heben sich dagegen klar und durchgängig von der Muttermarke Marriott ab. Ebenso unterscheidet sich der flippige Retro-Kleinwagen Cooper Mini aus dem Hause BMW optisch und funktional so deutlich von den Fahrzeugen der Muttermarke, dass das Risiko überschaubar ist. Sind die Unterschiede weniger offensichtlich, kann es hilfreich sein, mithilfe von Logos, Farben und gezieltem Markenaufbau eine eigene Markenpersönlichkeit zu schaffen, die sich hinreichend von der Premiummarke abhebt. Denkbar wäre beispielsweise eine peppige, junge „Juniormarke“ als Gegenpol zur Muttermarke.

Untermarken bieten sich sowohl für ein qualitativ anderes Angebot als auch zur Ansprache eines anderen Kundensegments an. Markenzusätze wie Express, Junior oder Mini deuten darauf hin, dass das Angebot zur Markenfamilie gehört, aber in irgendeiner Form eingeschränkt ist. So betreibt Pizza Hut unter der Marke Pizza Hut Express Filialen mit reduziertem Speisenangebot und ohne Bedienung am Tisch. Die britische Supermarktkette Sainsbury’s eröffnete unter dem Namen Sainsbury’s Savacentre Supermärkte, die gezielt Käufer preisgünstiger Produkte ansprechen sollen. Und die prominente US-Fernsehmoderatorin und Lifestyle-Unternehmerin Martha Stewart vermarktet unter dem Namen Martha Stewart Everyday eine eigene Produktlinie über die Handelskette Kmart, die sie als Untermarke von anderen Angeboten und Aktivitäten unter ihrem Markennamen abgrenzt.

4. Entwicklung von Empfehlungsmarken

Empfehlungsmarken ermöglichen eine stärkere Abgrenzung von der Muttermarke als Untermarken. Marriott hat mit dieser Strategie erfolgreich in untere Marktsegmente expandiert, so etwa mit den Ketten Courtyard by Marriott, Marriott’s Fairfield Inn und Marriott’s SpringHill Suites. Die Muttermarke macht das neue Angebot glaubwürdig und sichtbar; bisweilen lassen sich auch funktionale Vorteile übertragen, wie im Fall von Marriott das Reservierungssystem und Bonusprogramm. Sofern die Untermarke ihr Versprechen erfüllt, bietet sie beträchtliche Umsatzchancen bei geringem Risiko. Ein gewisses Restrisiko bleibt dennoch. Weil die Verbindung zwischen Premium- und Einstiegsmarke offensichtlich ist, lassen sich weder ein Kannibalisierungseffekt noch ein Imageschaden ganz ausschließen.

Vor der Entscheidung über eine Markendehnung nach unten sollte immer die Frage stehen, ob das Geschäftsmodell wirklich überzeugt und die Risiken für die Marke bedacht sind.

Über den Autor: David Aaker gilt als der Guru der Markenstrategie – Er hat das Markenwertmodell „Aaker Model“ erfunden und über 100 Artikel und 15 Bücher veröffentlicht. Als Vice Chairman berät David Aaker zudem exklusiv die Kunden von Prophet. Als Ehrenprofessor an der Haas School of Business, University of California, Berkeley, bekam er vier Karriere-Auszeichnungen, einschließlich des Paul D. Converse-Preises im Jahre 1996 für seine herausragende Arbeit zur Weiterentwicklung des Marketing.