Was sind unlautere Geschäftspraktiken?

Die Kommission der Europäischen Gemeinschaften hat am 18. Juni 2003 einen Entwurf einer Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken im binnenmarktinternen Geschäftsverkehr zwischen Unternehmen und Verbrauchern vorgelegt. Dadurch soll der innergemeinschaftliche Handel erleichtert werden. Ob der Richlinienentwurf tatsächlich mit seinem derzeitigen Inhalt erlassen werden wird, mag bezweifelt werden, würde er doch sogleich die nächste Novelle des deutschen Wettbewerbsrechts auslösen und eine Reihe von hoch kontroversen Regelungen einführen.

Die geplante Richtlinie soll für eine vollständige Harmonisierung der Rechtsvorschriften über unlautere Geschäftspraktiken im Verhältnis zwischen Unternehmen und Verbrauchern auf EU-Ebene sorgen und dabei ein angemessen hohes Verbraucherschutzniveau bieten. Nur so sollen sich die durch unterschiedliche nationale Rechtsvorschriften bedingten Hindernisse für den Binnenmarkt abbauen lassen.
In dem Richtlinienentwurf werden zwei grundsätzliche Arten unlauterer Geschäftspraktiken unterschieden, die „irreführenden“ und die „aggressiven“ Geschäftspraktiken. Hierzu enthält der Entwurf noch Einzeldefinitionen und ein generelles Verbot. Ergänzt werden diese Bestimmungen durch eine sog. „schwarze Liste“ an jedenfalls unzulässigen Verhaltensweisen.

Nötigung oder Belästigung gilt als aggressive Geschäftspraxis

Eine Geschäftspraxis gilt nach Art. 8 als aggressiv, wenn im konkreten Fall unter Berücksichtigung aller tatsächlichen Umstände die Entscheidungs- oder Verhaltensfreiheit des Durchschnittsverbrauchers in Bezug auf das Produkt durch Belästigung, Nötigung oder unzulässige Beeinflussung tatsächlich oder voraussichtlich erheblich beeinträchtigt wird und dieser dadurch tatsächlich oder voraussichtlich dazu veranlasst wird, eine geschäftliche Entscheidung zu treffen, die er andernfalls nicht getroffen hätte.

Eine irreführende Geschäftspraxis kann hingegen durch ein Handeln, aber auch durch ein Unterlassen geschehen und untersagt werden. Nach dem Entwurf (Art. 6) gilt
1. „[e]ine Geschäftspraxis als […] irreführend, wenn sie in irgendeiner Weise, einschließlich sämtlicher Umstände ihrer Anwendung, den Durchschnittsverbraucher dadurch tatsächlich oder voraussichtlich zu einer geschäftlichen Entscheidung veranlasst, die er ansonsten nicht getroffen hätte, dass sie ihn täuscht oder zu täuschen geeignet ist in Bezug auf:

a) die wesentlichen Merkmale des Produkts wie Verfügbarkeit, Vorteile, Risiken, Ausführung, Zusammensetzung, Zubehör, Kundendienst und Beschwerdeverfahren, Verfahren und Zeitpunkt der Herstellung oder Erbringung, Lieferung, Zwecktauglichkeit, Verwendungsmöglichkeit, Menge, Spezifikation, geographische oder kommerzielle Herkunft oder die von der Verwendung zu erwartenden Ergebnisse oder die Ergebnisse und wesentlichen Merkmale von Tests oder Untersuchungen, denen das Produkt unterzogen wurde;
b) Aussagen oder Symbole jeder Art, die im Zusammenhang mit direktem oder indirektem Sponsoring stehen oder sich auf eine Zulassung des Gewerbetreibenden oder des Produkts beziehen;
c) den Preis, die Art der Preisberechnung oder einen besonderen Preisvorteil;
d) die Notwendigkeit einer Leistung, eines Ersatzteils, eines Austauschs oder einer Reparatur;
e) die Person, die Eigenschaften oder Rechte des Gewerbetreibenden oder seines Vertreters, wie Identität und Vermögen, Befähigungen, Status, Zulassung, Mitgliedschaften oder Beziehungen sowie gewerbliche, kommerzielle oder geistige Eigentumsrechte oder Auszeichnungen und Ehrungen;
f) Behauptungen über das Produkt, die der Gewerbetreibende nicht belegen kann;
g) die Rechte des Verbrauchers oder die Risiken, denen er sich möglicherweise aussetzt.

Vergleichende Werbung kann weiterhin unzulässig sein

2. Eine Geschäftspraxis gilt ferner als irreführend, wenn sie im konkreten Fall unter Würdigung aller tatsächlichen Umstände einen Durchschnittsverbraucher zu einer geschäftlichen Entscheidung veranlasst oder zu veranlassen geeignet ist, die er sonst nicht getroffen hätte, und beinhaltet:
a) jegliche Vermarktung eines Produkts, einschließlich vergleichender Werbung, die eine Verwechslungsgefahr mit irgendeinem Produkt, Warenzeichen, Warennamen oder anderen Kennzeichen eines Mitbewerbers begründet;
b) die Nichteinhaltung von Verpflichtungen, die der Gewerbetreibende im Rahmen von Verhaltenskodizes, auf die er sich verpflichtet hat, eingegangen ist, sofern:
– es sich um eine eindeutige Verpflichtung handelt, deren Einhaltung nachprüfbar ist, und
– Informationen über die Gewerbetreibenden, für die der Kodex gilt, und
über den Inhalt des Kodex öffentlich verfügbar sind; oder
c) die Nichteinhaltung einer gegenüber einer Behörde eingegangenen Verpflichtung, eine unlautere Geschäftspraxis im Sinne dieser Richtlinie abzustellen.“

Die Irreführung durch Unterlassen hat in dem vorgelegten Entwurf (Art. 7) folgende Definition erfahren:

„Als irreführend gilt eine Geschäftspraxis, bei der im konkreten Fall unter Würdigung aller tatsächlichen Umstände wesentliche Informationen vorenthalten werden, die der durchschnittliche Verbraucher je nach den Umständen benötigt, um eine informierte Geschäftsentscheidung treffen zu können, so dass sie einen Durchschnittsverbraucher zu einer geschäftlichen Entscheidung veranlasst oder zu veranlassen geeignet ist, die er sonst nicht getroffen hätte.

Als Irreführung durch Unterlassen gilt es auch, wenn ein Gewerbetreibender derartige wesentliche Informationen verbirgt oder auf unklare, unverständliche, zweideutige Weise oder nicht rechtzeitig bereitstellt oder wenn der kommerzielle Zweck der Geschäftspraxis nicht erkennbar ist.

3. Bei Geschäftspraktiken vor einer kommerziellen Transaktion kann ein irreführendes Unterlassen nur auftreten, falls der Gewerbetreibende zur Abgabe eines Angebotes auffordert. Im Falle der Aufforderung zur Abgabe eines Angebotes gelten folgende Informationen als wesentlich, sofern sie sich nicht unmittelbar aus den Umständen ergeben:

a) die wichtigsten Merkmale des Produkts;
b) Handelsname des Gewerbetreibenden und gegebenenfalls Handelsname des Gewerbetreibenden, für den er handelt;
c) der Preis einschließlich aller Steuern und Abgaben sowie gegebenenfalls alle zusätzlichen Fracht-, Liefer- oder Zustellkosten oder in den Fällen, in denen diese Gebühren vernünftigerweise nicht im voraus berechnet werden können, die Tatsache, dass zusätzliche Gebühren anfallen können;
d) die Zahlungs-, Liefer- und Leistungsbedingungen sowie das Verfahren zum Umgang mit Beschwerden, falls dieses von den Erfordernissen der beruflichen Sorgfalt abweicht;
e) für Produkte und Rechtsgeschäfte, die ein Rücktritts- oder Widerrufsrecht beinhalten, das Bestehen eines solchen Rechts.“

Der Entwurf enthält ferner eine sogenannte Binnenmarktklausel, die vorsieht, dass sich Gewerbetreibende lediglich an die in ihrem Herkunftsland geltenden Vorschriften halten müssen. Die Mitgliedstaaten dürfen somit keine zusätzlichen Anforderungen an Gewerbetreibende stellen, die sich an die Vorschriften des Herkunftslands halten (Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung). Nur so hätten angeblich Gewerbetreibende die Rechtssicherheit, die sie brauchen, wenn sie mit Verbrauchern grenzüberschreitende Geschäfte tätigen wollen. Die Mitgliedstaaten sollen demnach dafür sorgen, dass sich die in ihrem Hoheitsgebiet niedergelassenen Gewerbetreibenden an die im Inland geltenden Vorschriften halten (wie das geschehen soll, ist völlig ungeklärt), und zwar unabhängig davon, ob die Verbraucher, an die sich ihre Geschäftspraktiken richten oder die sie erreichen, im Inland wohnen oder nicht. Die Herkunftsland-Klausel ist bereits aus der e-commerce-Richtlinie bekannt und war (und ist) dort hoch umstritten. Wesentliche Auswirkungen hat sie aber dort wegen des beschränkten Anwendungsbereiches der e-commerce-Richtlinie nicht erlangt. Bei der Herkunftsland-Klausel wurde vielfach auf den „Race-to-the-bottom“ hingewiesen, der sich innerhalb der EU einstellen würde. Ferner würde dadurch die Inländerdiskriminierung vorprogrammiert, weil die Inländer schlechter behandelt werden könnten, als ausländische Unternehmer, die sich nur an ihre schwächeren oder geringeren Herkunftsland-Standards halten müssten.

Fazit

Die sehr deutlichen inhaltlichen Änderungen, die mit dem Entwurf des neuen Unlauterkeitsrechts einhergehen würden, können auch bei der Betrachtung der als Anlage folgenden sog. „schwarzen Liste“ an unzulässigen Werbepraktiken ersehen werden, wobei die erwähnten Verhaltenskodizes in Deutschland nur eine sehr untergeordnete Rolle spielen.
Man benötigt wenig prognostische Kraft, um vorherzusehen, dass der Richtlinienentwurf heftige Kontroversen in der Öffentlichkeit auslösen wird.


Autor: Dr. Christian Donle, Rechtsanwalt, Preu, Bohlig & Partner, Rechtsanwälte – Wirtschaftsprüfer, Berlin
eingestellt am 7. November 2003

Anhang: Geschäftspraktiken, die unter allen Umständen als unlauter gelten

Irreführende Geschäftspraktiken

(1) Ein Gewerbetreibender behauptet, zu den Unterzeichnern eines Verhaltenskodex zu gehören, obgleich dies nicht der Fall ist;

(2) Die Behauptung, ein Verhaltenskodex sei von einer öffentlichen oder anderen Stelle gebilligt, obgleich dies nicht der Fall ist.

(3) Es wird zur Abgabe eines Angebotes zum Erwerb von Produkten zu einem bestimmten Preis aufgefordert und es besteht hinreichender Grund für die Annahme, dass der Gewerbetreibende nicht in der Lage sein wird, dieses oder ein gleichwertiges Produkt zu dem genannten Preis für einen Zeitraum und in einer Menge zur Lieferung bereitzustellen oder durch einen anderen Gewerbetreibenden bereitstellen zu lassen, das in Bezug auf das Produkt und den Angebotspreis angemessen sind (Lockangebote);

(4) Der Gewerbetreibende fordert zur Abgabe eines Abgebotes zum Erwerb von Produkten zu einem bestimmten Preis auf und:
a) weigert sich dann, dem Verbraucher den beworbenen Artikel zu zeigen,oder
b) weigert sich dann, Bestellungen dafür anzunehmen oder innerhalb einer vertretbaren Zeit zu liefern, oder
c) macht dann das Produkt schlecht
d) oder führt dann ein fehlerhaftes Exemplar vor in der Absicht, statt dessen ein anderes Produkt abzusetzen
(„bait-and-switch“-Technik);
(5) Der Gewerbetreibende behauptet fälschlich, das Produkt werde nur eine sehr kurze Zeit verfügbar sein, um so den Verbraucher zu einer sofortigen Entscheidung zu verleiten, so dass er weder Zeit noch Gelegenheit hat, eine informierte Entscheidung zu treffen;

(6) Dem Verbraucher wird eine nach Abschluss des Geschäfts zu erbringende Leistung zugesichert, diese Leistung wird anschließend aber nur in einer anderen Sprache als derjenigen erbracht, die der Gewerbetreibende vor Abschluss des Geschäfts in Kommunikationen mit dem Verbraucher verwendet hat, ohne den Verbraucher vorher eindeutig hierüber aufzuklären bevor der Verbraucher das Geschäft tätigt;

(7) Es wird behauptet, ein Produkt könne legal verkauft werden, obgleich dies nicht der Fall ist;

(8) Es werden redaktionelle Inhalte in Medien zu Zwecken der Verkaufsförderung eingesetzt und der Gewerbetreibende hat diese Verkaufsförderung bezahlt, ohne dass dies aus dem Inhalt eindeutig hervorgehen würde (als Information getarnte Werbung);

(9) Es wird fälschlich behauptet, die persönliche Sicherheit des Verbrauchers oder seiner Familie sei gefährdet, wenn er das Produkt nicht kaufe;

(10) Es wird ein Schneeeballsystem zur Verkaufsförderung eingeführt, betrieben oder gefördert, bei dem der Verbraucher eine Leistung erbringt für die Möglichkeit, eine finanzielle Vergütung zu erzielen, die hauptsächlich durch die Einführung neuer Verbraucher in ein solches System und weniger durch den Verkauf oder Verbrauch von Produkten zu erzielen ist;

(11) Die im Anhang der Verordnung über Verkaufsförderung vorgeschriebenen Informationen werden nicht erteilt oder es werden zur Erfüllung der Anforderungen des Anhangs falsche, unklare oder zweideutige Angaben gemacht;

(12) Der Begriff „Räumungsverkauf“ oder ähnliche Bezeichnungen werden verwendet, der Gewerbetreibende beabsichtigt aber tatsächlich keine Geschäftsaufgabe.

Aggressive Geschäftspraktiken:

(1) Es wird der Eindruck erweckt, der Verbraucher könne die Räumlichkeiten ohne Vertragsunterzeichnung oder Zahlung nicht verlassen.

(2) Bei lange währenden und/oder wiederholten persönlichen Besuchen in der Wohnung des Verbrauchers wird dessen Aufforderung, die Wohnung zu verlassen, nicht beachtet.

(3) Kunden werden durch hartnäckiges und unerwünschtes Ansprechen über Telefon, Fax, E-Mail oder sonstige für den Fernabsatz geeignete Medien geworben.

(4) Verbraucher, in deren Familie kürzlich ein Todesfall oder eine schwere Erkrankung aufgetreten ist, werden gezielt angesprochen, um ihnen ein Produkt zu verkaufen, das in direktem Bezug zu dem Unglücksfall steht.

(5) Ein Verbraucher, der eine Versicherungspolice in Anspruch nehmen möchte, wird aufgefordert, Dokumente vorzulegen, die vernünftigerweise nicht als relevant für die Gültigkeit des Anspruchs anzusehen sind, um so den Verbraucher von der Ausübung seiner vertraglichen Rechte abzuhalten.

(6) An Kinder gerichtete Werbung suggeriert diesen, ihre Akzeptanz unter Gleichaltrigen sei davon abhängig, dass ihre Eltern ihnen ein bestimmtes Produkt kaufen. Diese Bestimmung gilt unbeschadet des Art. 16 der Richtlinie89/552/EG, der die Fernsehwerbung gegenüber Kindern regelt.

(7) Der Verbraucher wird zur Bezahlung von Produkten aufgefordert, die der Gewerbetreibende geliefert, der Verbraucher aber nicht bestellt hat (unbestellte Waren oder Dienstleistungen).