Was erwarten die 50plus Kunden?

Bei den Prognosen für die Entwicklung der Konsumenten "50plus" als ertragsstärkste Zielgruppe der Zukunft verwundert es, dass bislang so wenig Unternehmen in diesem Bereich aktiv werden. Für Markenhersteller wird es erfolgsentscheidend, mit den Augen des Kunden zu sehen und sich in die jeweiligen Bedürfnisse hineinverzusetzen.

Offensichtlich gestaltet sich die Markterschließung schwierig. Nur wenigen Unternehmen gelingt die adäquate Zielsegmentbearbeitung. Einem erfolgreichen Zugang zum Seniorenmarkt stehen noch immer Verallgemeinerungen, Klischee-Denken und Vorurteile im Weg. Um die unterschiedlichen psychologischen Facetten des Seniorenmarkts zu untersuchen, wurde die Wiesbadener Marketingforschungsgesellschaft Dialog.Com zusammen mit dem Fachbereich Medienwirtschaft der FH Wiesbaden vom DG Verlag beauftragt, eine qualitativen Studie
durchzuführen.

Seit Beginn der 70er Jahre beschäftigen sich markt- und meinungsforschende Wissenschaftler und Institute mit der Tatsache, dass in naher Zukunft ein Großteil der Bevölkerung im Alter weit über der gerne betrachteten, fleißig umworbenen Kernzielgruppe der 14- bis 49-Jährigen liegt. Begriffe für das Zielsegment 50plus gibt es viele – im Laufe der Jahre haben Agenturen und Marktforschungsinstitute bereits unzählige kreiert: zum Beispiel best Agers, Seniorenmarketing, Master Consumer, Silver Ager, Senior dinks.

„Harvest Agers“
Analog zum Lebensphasenansatz, die Menschen in Aufbau-, Reife- und Erntephase aufzugliedern, werden in der durchgeführten Studie die Senioren als „Harvest Agers“ bezeichnet. Die dritte Lebensphase ist angebrochen. Diese ist dadurch gekennzeichnet, dass die Kinder aus dem Haus sind und die Frauen gegebenenfalls wieder in das Berufsleben eintreten. Die größten Umbruchsituationen des Lebens wurden überwunden, die Investitionserträge der Aufbauphasen – je nach Sozialmilieu – werden abgeerntet. Diese Phase beginnt bereits ab dem 50sten Lebensjahr, im Vorfeld des Ruhestands. Sie erreicht ihren Höhepunkt nach dem Austritt aus dem Berufsleben – um die 60 Jahre. Selbst nach der Altersdefinition der Gerontologie ist damit ein Mensch noch nicht alt. Er ist es erst dann, wenn er die Hälfte seines Geburtsjahrgangs überlebt hat. Vor dem aktuellen Hintergrund der demografischen Entwicklung trifft dies beim Mann mit 77 Jahren zu.

Weitgehend ignoriert werden die Potenziale, die sich in der dritten Lebensphase – den Erntejahren – bereits ab 50 Jahren ergeben. Marktorientierte Unternehmensführung ist gefragt. Sich abzeichnende Entwicklungen müssen in die Marketingüberlegungen einbezogen, Chancen in diesem Zielsegment erkannt und Wettbewerbsvorteile rechtzeitig aufgebaut werden, ehe andere dies tun.

Das Marktsegment der „Harvest Agers“ stellt erheblich größere Ansprüche an die Marketingverantwortlichen als jüngere Segmente. Mit einer allgemeinen Betrachtung des Segments der über 50-Jährigen wird eine erfolgreiche Bearbeitung nicht möglich sein.

Bislang herrscht ein eklatantes Missverständnis zwischen dem Selbstbild der „Harvest Agers“ und dem Fremdbild der zumeist jüngeren Marketingverantwortlichen. Dies spiegelt sich auch in der Werbung wieder. Hier wird von einem völlig falschen Selbstverständnis der Zielgruppe ausgegangen. Es kommt erschwerend hinzu, dass keine weitere Zielgruppe in sich so inhomogen ist. Eine Differenzierung in Untersegmente ist demnach erforderlich.

Überalterung in Sicht
Derzeit leben in Deutschland insgesamt 82,8 Millionen Menschen, davon sind rund 30,5 Millionen (36,8 Prozent) über 50 Jahre. Nach einer Bevölkerungs-Vorausberechnung des Statistischen Bundesamtes wird der Anteil der über 50-Jährigen bis zum Jahr 2050 auf nahezu 50 Prozent wachsen, bei gleichzeitig sinkender Gesamtbevölkerung auf rund 75 Millionen. Besonders stark wird sich die Altergruppe ab 76 Jahren entwickeln. In den nächsten 20 Jahren (2024) wird die Zahl der über 75-Jährigen um 44,4 Prozent von 5,85 auf 8,45 Millionen zunehmen. Parallel sinkt die Zahl der 0- bis 49-Jährigen um 15,7 Prozent.

Die Überalterung der Bevölkerung ist kein reindeutsches Problem. Sie findet global statt. Die Einkommensverhältnisse der „Harvest Agers“ unterscheiden sich maßgeblich von denen der Restbevölkerung. Die Älteren verfügen nicht nur über höheres Einkommen, vor allem in den mittleren Einkommensklassen (15 Prozent mehr durchschnittliches Nettoeinkommen als 14- bis 49-Jährige), sie verfügen auch über eine deutlich höhere Kaufkraft und über einen doppelt so hohen Anteil an Kapital- und Immobilienvermögen (55 Prozent wohnen im Eigenheim).

Von ausgeprägtem Konsumverzicht kann keine Rede sein. Im Rahmen der Grundlagenstudie wurden Probanden gebeten, zu verschiedenen Produkt- und Dienstleistungskategorien anzugeben, ob sie innerhalb des letzten Jahres eine Anschaffung getätigt haben und ob Konsumabsichten innerhalb des nächsten Jahres bestehen.

Das Ergebnis: 68 Prozent der Befragten planen innerhalb des nächsten Jahres eine Reise, über 25 Prozent haben innerhalb des vergangenen Jahres einen PC gekauft, weitere 20 Prozent planen dies im nächsten Jahr. Dass mehr als 15 Prozent ein Auto gekauft haben und ebenso viele dies vorhaben, widerspricht der These, dass längerfristige Investitionen als „nicht mehr lohnend“ erachtet werden. Nach wie vor wird sicherlich dem Sparen der Vorrang gegenüber dem Konsum gewährt. Nahezu 33 Prozent der „Harvest Ager“ besitzen mindestens einen Bausparvertrag, 38 Prozent eine Lebensversicherung – beides in absehbarer Zeit fälligwerdend.

Finanzdienstleister müssen erkennen, dass dieses Segment größere Finanzvolumina in der letzten Lebensphase bewegen wird. Umso erstaunter ist man, dass von Banken in keinerlei nennenswertem Umfang Kundenbindungs- und Kundenkontaktprogramme angeboten werden. Setzt sich dies fort, werden traditionelle Banken ihre Führungsposition in Marktanteil und Markenkompetenz an Direktanbieter verlieren. Darum ist es wichtig, den eigenen Kundenstamm zu segmentieren, den „Harvest Ager“ zu erkennen.

Neun verschiedene Typen
Auf Grundlage 100 tiefenpsychologischer Interviews wurden von der Forschungsgruppe neun „Harvest Agers“ Typen definiert. Wie zu erwarten, korrespondiert die Wahl von Finanzdienstleistungsprodukten mit unterschiedlichen Anlage- und Servicepräferenzen. Eine rein altersbedingte Unterscheidung bei spezifischen Konsumbedürfnissen (etwa Hilfsmittel) würde keine Erklärung von Kaufverhalten in allgemeinen Produktklassen liefern. Bei der Analyse ist vielmehr

  • das Kohortenverhalten und
  • das spezifische Lebensstilumfeld/ Milieu

von Bedeutung.

Bei den heterogenen „Harvest Agers“ lässt sich das Konsumverhalten als Erscheinung einer bestimmten Gruppe Mensch (Kohorte) deuten. Dieses Phänomen lässt sich auch durch die jeweils unterschiedlichen Sozialisationsumfelder der Alterskohorte erklären.

Zunächst werden die „Harvest Agers“-Segmente nach individuellem Alter differenziert. Hinzu kommt das damit in Verbindung stehende Sozialisationsumfeld sowie die historischen Erfahrungsumfelder. Der Sozialisationszeitpunkt um das 20. Lebensjahr ist bestimmend für die individuelle Ausprägung der Wertstrukturen – damit implizit auch des
Kaufverhaltens. Neben dem Sozialisationsumfeld durch Elternhaus und Bekanntenkreis, spielen die gesellschaftlichen Entwicklungen bei der Sozialisation und die Prägung von Werten eine Rolle.

Aktivitäten, Interessen, Meinungen
Als weitere Differenzierung wurden Lebensstilsituationen, Motiv- und Wertstrukturen untersucht. Mit Hilfe des sogenannten AIM-Ansatzes wurden die Probanden anhand ihrer Aktivitäten, Interessen und Meinungen untersucht und segmentiert. Das differenzierte Bild der „Harvest Ager“-Generation wird durch ihre Lebensstil- und Wertmuster erklärt, die sich milieuspezifisch innerhalb der dominanten Sozialisationsphasen ausgeprägt haben. Bei den einen dominieren Konservatismus mit Pflichtorientierung, als Gegenpol im anderen Extrem Hedonismus und Entfaltungsorientierung. Beiden Polen kann man extreme Aktivität und Leistungsbereitschaft nachweisen. In den Segmenten der Übergangsphase findet man dagegen passives Verhalten und fatalistische Motive. Die folgende Kurzcharakterisierung der „Harvest Agers“-Typen ermöglicht das jeweilige Anlageverhalten zu erklären.

Die Kriegszeugen: Mit rund 75 Jahren weisen sie das höchste Durchschnittsalter auf. Sie prägen auch das Bild des klassischen Seniors. Die sicherheits- und ordnungsliebende Kriegsgeneration zählt Krieg, Trümmer und Flucht zu ihren Kindheitserlebnissen und wurde in der Adenauer-Ära sozialisiert. Genügsamkeit und Bescheidenheit sind ihre Merkmale. Hilfsbereitschaft, Zusammenhalt, Pflichtbewusstsein, Disziplin, Treue, konservative Grundwerte, traditionelle Moralvorstellungen gehören zu den zentralen Wertbegriffen. Das Bedürfnis nach Sicherheit, Familienausrichtung gibt dem Leben seinen Sinn. Der bescheidende Wohlstand soll auch den Nachkommen zu Gute kommen.

Das liberale Bürgertum: Das liberale Bürgertum hält auch an traditionellen Werten fest, verwehrt sich aber durch seine Weltoffenheit nicht dem Fortschritt. Der Ruhestand wird als Zeit der Freiheit von Verpflichtungen betrachtet. Im Gegensatz zu den Kriegszeugen sind Toleranz und Innovationsinteresse stärker ausgeprägt. Zwei Drittel sind Eigenheimbesitzer. 75 Prozent leben in Zwei- oder Mehrpersonenhaushalten und haben ein höheres Bildungsniveau.

Das konservative Bürgertum: Für die materialistisch geprägten Konservativen stellt beruflicher und finanzieller Erfolg die Triebfeder des Handels dar. Das soziale Umfeld, bis hin zur eigenen Familie, wird mitunter als Hindernis gesehen. Sie sind offen gegenüber innovativen und prestigeträchtigen Konsumgütern. Beruflicher und privater Erfolg, finanzielle Absicherung stehen im Mittelpunkt des Bemühens. Das mehrheitlich männliche Segment zeichnet sich durch hohes Haushaltsnettoeinkommen und Immobilienbesitz aus.

Die Biedermeier: Die „Biedermeier“ stellen das größte Segment dar. Im Vordergrund steht das Streben nach Sicherheit und Verbesserung des eigenen Status. Die Durchschnittsfamilie bezahlt ihr Haus noch ab oder ist Mieter. Insgesamt ist ein harmonisches Familienleben sowie Absicherung der eigenen Familie Hauptmotiv dieser Gruppe. Die Bildungs- und Einkommenssituation ist durchschnittlich.

Die Sozialkulturalisten: Die konservativ-engagierten Sozialkulturalisten pflegen bewährte Traditionen, haben eine humanistische Pflichtauffassung und christlich geprägte Werte. Das Engagement für den „guten Zweck“, die Beschäftigung mit der Familie sind dominante Inhalte des Lebens und bestimmen auch die Freizeitgestaltung. Charakteristisch für dieses Segment ist der hohe Frauenanteil, mit unterdurchschnittlichem Einkommen und häufig alleinlebend.

Die Defätisten: Dieser Kleinbürger bewegt sich gerne im bekannten, gewohnten sozialen Umfeld. Er arbeitet um zu leben, ist gemeinschaftsorientiert, durch ein traditionell geprägtes Wertemuster gekennzeichnet. Determinismus – das Hinnehmen der gegenwärtigen Situation, das Gefühl des „Nichts-Ändern-Könnens“ – ist charakteristisch. Die Defätisten streben nach Anerkennung durch das soziale Umfeld, das sich zum Beispiel in starken Vereinsaktivitäten äußert. Gruppennormerfüllung bei gleichzeitigem Neid charakterisieren dieses Segment. Das Bildungsniveau liegt unter der Norm, ebenso das Einkommen.

Die Wert-68er: Prägend für diesen Typ ist Ende der 60er Jahre, die Zeit der Studentenbewegung, eine Abkehr von den konservativ bürgerlichen Moralvorstellungen der 50er Jahre. Die Gruppe der Wert-68er ist demonstrativ unkonventionell, gekennzeichnet durch ein Spannungsfeld zwischen Toleranz und Dogmatismus. Interesse und Engagement gelten sozialen und ökologischen Zwecken. Linksorientierung bis Progressivität, Freiheit, Chancengleichheit, Umweltbewusstsein, Unabhängigkeit, Unkonventionalität, Engagement zeichnen das Wertinventar aus. Das Einkommens- und Bildungsniveau ist überdurchschnittlich, dennoch ist die Vermögenssituation eher durchschnittlich.

Die Postmaterialisten: Die arrivierten Postmaterialisten sind materiell abgesichert, gebildet und einkommensstark. Ziele dieses Typus sind sozialer und intellektueller Natur: Erweiterung und Weitergabe ihres Wissens und Engagements. Selbstverwirklichung findet bei diesem Typus eher durch schöngeistige Beschäftigung statt. Ebenso sind sie das Segment, welches den Ruhestand dazu nutzen möchte, noch einmal etwas völlig Neues auszuprobieren, beruflicher oder privater Natur. Die überwiegend männlichen Mitglieder des Typus bilden das einkommensstärkste Segment, 75 Prozent haben ein Haushaltsnettoeinkommen über 3000 Euro. Von den Befragten besitzen nahezu alle Immobilien. 75 Prozent leben in Zweipersonenhaushalten. Dieser Typus besitzt vergleichsweise das höchste Bildungsniveau.

Die begünstigten Genießer: Die freizeit- und genussorientierte gehobene Mittelschicht verweigert Konventionen und Verhaltenserwartungen der Leistungsgesellschaft. Genießen und Erleben ist die Prämisse dieser Gruppe. Wie die Postmaterialisten sind auch die begünstigten Genießer finanziell abgesichert, wenn auch auf niedrigerem Niveau und mit anderen Motiven. Der erreichte Wohlstand soll für Genuss, Reisen, kulturelle Veranstaltungen genutzt werden. Insbesondere Frauen, die nach dem Auszug der Kinder nicht in Empty-Nest-Depressionen verfallen, sondern noch mal „durchstarten“ wollen, gehören zu diesem Segment. Mit im Schnitt 55 Jahren bilden die begünstigten Genießer das jüngste Segment. Die Frauendominanz ist mit 70 Prozent auffällig.

Differenziertes Finanzverhalten
Neben den die einzelnen Typen kennzeichnenden Unterschieden lassen sich „Harvest Agers“-Typen auch in ihrem Finanzverhalten und Ansprüchen an die Bankberatungsleistung differenzieren. Hierzu wurden die Probanden aufgefordert, einen fiktiven Betrag auf neun gängige Anlagevarianten aufzuteilen, die sich in Rendite und Risiko unterschieden. 33 Prozent der Anlagesumme wird in konservative, 20 Prozent in risikoreichere Anlageformen investiert. Neben beachtlicher Risikobereitschaft zeichnen sich die Befragten durch ein überraschend hohes Maß an Involvement und Kompetenz bei Finanzdienstleistungen aus.

Das Anlageverhalten der Kriegszeugen ist passiv und risikoscheu, der Großteil von fast 50 Prozent würde in Sparanlagen investiert. Das liberale Bürgertum ist skeptisch bezüglich Beraterkompetenz, obwohl Fachkompetenz vor persönlicher Beziehung zum Berater steht. Werbebriefe oder Anrufe werden als störend empfunden. Sie möchten selbst auf die Bank zukommen, informieren sich vorab selbstständig und nutzen zumindest teilweise E-Banking. Die Mitglieder des liberalen Bürgertums weisen eine breite Streuung bei den Anlageentscheidungen auf. Auffällig: die überdurchschnittliche Risikobereitschaft, etwa für Aktien und Aktienfonds. Die Mitglieder des konservativen Bürgertums – in ihrem Anlageverhalten eher risikoscheu – legen ebenfalls großen Wert auf Kompetenz. Sie sind aber skeptisch gegenüber der Objektivität der Beratung. Sie suchen wenig den persönlichen Kontakt und nutzen vielfach E-Banking. Die Biedermeier legen stärker Wert auf eine persönliche Kundenbeziehung und empfinden häufiges Wechseln der Ansprechpartner als negativ.

Bei den Anlagepräferenzen sticht die Risikoscheu hervor. Die Hälfte des Kapitals wird in Girokonto, Sparbuch, -anlagen und Obligationen angelegt. Die Sozialkulturalisten legen Wert auf persönlichen Kontakt verbunden mit Fachwissen. Sie kommunizieren gerne persönlich, auch telefonisch. Sie streuen ihre Anlagesumme breit. Den Schwerpunkt bilden risikoarme Anlageformen. Für Sparanlagen werden knapp 40 Prozent, für Obligationen knapp 20 Prozent der Anlagesumme verwendet. Die Defätisten legen großen Wert auf einen persönlichen Ansprechpartner, enges Vertrauensverhältnis, aber auch günstige Konditionen. Sie sind selten bei der Bank und nutzen E-Banking kaum.

Die Defätisten besitzen geringeres Involvement für Finanzdienstleistungen als die anderen Typen. Anlageprämissen sind Renditechancen und Risikoarmut. Durch ihre Grundhaltung sind sie häufig Strukturvertriebsopfer. Auch für die Wert-68er stehen gleichermaßen Kompetenz als auch persönliche Beziehung zum Berater im Vordergrund. Sie wünschen schriftliche Kommunikation und nutzen teilweise E-Banking. Sie sind vergleichsweise risikobereit und investieren ein Drittel ihres Kapitals in Fonds.

Die Postmaterialisten nutzen selten den Schalter, wickeln den Großteil ihrer Finanztransaktionen online ab. Durch Anrufe von Call-Centern fühlen sie sich belästigt, eher suchen sie selbst persönlichen Kontakt. Bei den Anlagepräferenzen zeichnen sich die renditeorientierten Mitglieder dieses Typus durch hohe Risikobereitschaft aus. Mehr als 20 Prozent des Kapitals wird in lose Aktien, etwa 12 Prozent in Zertifikate investiert. Auch die begünstigten Genießer nutzen selten den Schalter, eher den Geldautomaten, Telefonbanking oder E-Banking. Sie legen weniger Wert auf eine persönliche Vertrauensbeziehung zum Ansprechpartner als auf dessen Kompetenz. Die schnelle, verlustfreie Verfügbarkeit zählt für diesen Typus nicht zu den Prämissen. Stattdessen wird ein Großteil des Budgets in langfristigen Anlageformen wie Sparanlagen investiert.

Benefit und Convenience statt Abenteuer
„Harvest Agers“ haben lange Konsumerfahrungen, nutzen routinierte Wiederholungskaufmuster. Sie sind experimentierfreudig, entscheiden sich durchaus spontan und qualitätsorientiert für einen Produktkauf, wenn der Nutzen klar und ehrlich vermittelt wird. „Harvest Agers“ sehen den Einkauf eher unter funktionalen als erlebnisorientierten Gesichtspunkten. Ganz wichtig: Freundlichkeit im sozialen Umgang mit den Verkäufern oder Beratern sowie deren Einfühlsamkeit und Kompetenzen – weniger fällt das Alter des Verkäufers ins Gewicht.

Glaubwürdigkeit und Authentizität
Eine übertriebene Beschönigung der Situation des Älterwerdens wird nicht honoriert. Produkte, die unrealistische Erwartungen suggerieren fallen in der Bewertung durch. Eine Konsumentin, Mitte 60, die wie 50 aussieht und sich wie Mitte 40 fühlt, muss also sehr differenziert angesprochen werden. Damit wird schon die Auswahl der Identifikationsperson in werblichen Ansprachen zur Herausforderung. Einhellig werden von Senioren englische Ausdrücke genauso wie Verunglimpfungen der deutschen Sprache abgelehnt.

Vermeidung des Begriffs „Senior“
In der Kommunikationsansprache reicht die Darstellung des Nutzens aus. Der „Harvest Ager“ erkennt im Sinne der „Customer Self Selection“ selbst, ob und welcher Nutzen das Produkt ihm bietet. Wer also nötig hat, das Alter der Zielgruppe in der Werbung zu thematisieren, zeigt, dass ihm zur Darstellung des Nutzens nichts Wesentliches eingefallen ist. Vorbildlich werden im Finanzdienstleistungsbereich Produktpakete geschnürt, die durchaus erkennbar für das Zielsegment 50plus gedacht sind, jedoch ohne die diskriminierende Begriffsbindung „Senior“.

Information statt Emotion
„Harvest Agers“ bevorzugen sachliche Inhalte der Werbeversprechen. Sie sind begeisterungsfähig und in vielen Produktbereichen involviert, kompetent – vor allem bei Finanzdienstleistungen. Bei allen werblichen Anspracheformen ist eine übersichtliche und strukturierte Navigationsstruktur besonders erfolgreich. „Imagery Strategien“ zum Aufbau innerer Bilder scheitern beim „Harvest Ager“. Sie sind voll innerer Bilder. Es muss gelingen, diese und die damit verbundenen positiven Gefühlswerte aufzurufen und mit der eigenen Marke und dem zu vermittelnden Nutzen zu verknüpfen.

„Harvest Ager“ erwarten reife Leistungen und Ehrlichkeit sowie Authentizität in der Ansprache. In der Praxis zeigen sich bereits einige erfolgreiche Konzepte in der Bearbeitung dieser Zielgruppe. Der Reiseveranstalter Studiosus (München) schult seine Reiseleiter im Umgang mit älteren Reisenden. Insgesamt bieten sich auch für Banken ganz spezifische Kundenbindungsprogramme an. Beispiele zeigen, dass durch eine systematische Bearbeitung der Kundendatenbank deutliche Cross-Selling Potenziale realisiert und ein guter Kunde an nahezu doppelt so viele Produkte herangeführt werden konnte, als ohne Bindungskonzept. Sie wollen kleine altersbedingte körperliche und geistige Einschränkungen vergessen und schätzen Produkte mit hoher Qualität, Komfort, Sicherheit. Sie wollen als kompetenter Kunde wahr und ernstgenommen werden, das Handeln ihnen gegenüber soll nicht durch Vorurteile und Klischees beeinflusst, geprägt sein.

Hohes Wohlbefinden
Aus den qualitativen Studien geht hervor, dass sich die Befragten noch nie so wohl wie im Alter fühlten. Sie genießen, sich nichts mehr beweisen zu müssen. Das persönliche Empfindensprofil weist ab dem 50. Lebensjahr durchgängig nach oben.

Es gibt eine Vielzahl von Eigenschaften, die ältere Menschen, auch im hohen Alter, überlegen macht. Das lässt sich auch werblich thematisieren. Hinzu kommt, dass ältere Menschen die psychologische Umbewertung vieler Erscheinungen vornehmen, die nicht zu ihrem Selbstkonzept passen. Vorhandene körperliche Einschränkungen werden meist nicht zugegeben und verdrängt. In den Gruppendiskussionen wurde auch deutlich, dass das objektive Alter eklatant vom subjektiven Alter um zehn bis 20 Jahre nach unten abweicht. Als Senior wird in jeder Alterklassen stets jemand erlebt, der mindestens zehn Jahre älter ist als man selbst. Dies hat zur Folge, dass man selbst folglich niemals die Seniorenklasse erreicht.

Neue Gestaltungsmöglichkeiten
Durch die Analyse ergeben sich neue Gestaltungsmöglichkeiten für den Marketing-Mix (Produkt- und Packungsdesign, Verkaufsraumgestaltung, sowie Werbeansprüche, vor allem bei der Verkaufsgesprächgestaltung). Insofern ist das Wichtigste, dass die Anbieter – ob Hersteller von Markenartikel oder Finanzdienstleister – mit den Augen des Kunden sehen und sich in die jeweiligen Bedürfnisse hinein versetzten.

Dort findet sich das Kernproblem. Produktmanager, Kundenberater und Kreativ Direktoren sind dazu meist nicht in der Lage. Der Erfolg im Massenmarkt der nächsten 30 Jahre hängt aber von der Beantwortung der zentralen Fragestellungen ab: „Harvest Ager“ – was erwartet mein Kunde, was stört ihn? Was sind – im Vergleich zu jungen Zielgruppen – die veränderten Bedürfnisse, was sind vergleichbare? Welche sind zielgruppenübergreifend? Welche Wettbewerbsprodukte werden warum bevorzugt?


Prof. Dr. Michael Martin lehrt am Lehrstuhl für Marktorientierte Unternehmensführung, Medienwirtschaft und Marketingforschung an der Fachhochschule in Wiesbaden. Als Wissenschaftlicher Leiter betreut er die Marktforschungs- und Dialogmarketingprojekte bei Dialog.Com.