Von Käsefondue bis Riesenrad: So wird die Messe zur riesigen Erlebniswelt

Die Cebit hat jetzt ein Riesenrad, auf der Photokina treten Instagram-Stars auf, die Ispo lädt zum Käsefondue: Damit Messen erfolgreich sind, reichen traditionelle Ausstellungskonzepte immer weniger aus. Über ein Marketinginstrument, das sich neu erfindet – und als Scharnier zwischen offline und online immer wichtiger wird
Die Crowd hört zu, wenn der Hipster redet

Neuland beschreitet auch die Münchner Sportleitmesse Ispo. Erstmals vorgeschaltet war ihr 2018 die X-Health, ein hochkarätiges Get-together am Chiemsee, das Zukunftsthemen behandelte wie Selbstoptimierung und Nutrigenomik. Dort gab es all das, was bei Führungskräften derzeit schick und angesagt ist: kurze Vorträge internationaler Koryphäen, persönliches Coaching, interaktive Workshops. Und schließlich, zum zwanglosen Netzwerken, Kamingespräche und Käsefondue. Auch die Ispo selbst wandelt sich: Neuerdings gibt es dort eine „Digitize Area“ mit Lösungen für Produkte, Marketing und Vertrieb. Zur Bestimmung des „digitalen Reifegrads“ ihres Unternehmens können Besucher einen „Readiness Check“ absolvieren. Zufall oder Folge der Modernisierung – erstmals seit 2006 war Adidas wieder auf der Ispo vertreten. Die wird demnächst auch noch um die Fachmesse Outdoor erweitert, die 2019 nach 25 Jahren aus Friedrichshafen zurückkehrt. Klaus Dittrich, Geschäftsführer der Messe München, will sie zu einer „modernen Branchenplattform für die digitale Zukunft“ weiterentwickeln und „ganzjährig und weltweit über digitale Dienstleistungen erlebbar“ machen.

Auch B-to-B-Aussteller wollen Konsumenten digital erreichen

Ganzjährig ist ein wichtiges Stichwort, denn genau darin liegt eine der größten Herausforderungen für die Messen: nicht nur für ein paar Tage im Jahr relevant zu sein, sondern Begleiter zu sein, mit einem wiederkehrenden oder sogar permanenten Angebot. Die Innovationsstudie von 2008 empfahl Messegesellschaften, sich als globale Kompetenzzentren zu positionieren – als „eine Art Campus, an dem die führenden Akteure der jeweiligen Branchen dauerhaft vertreten sind“. Ziel müsse es sein, „gemeinsam kreative Ideen zu generieren, zu entwickeln und letztlich erfolgreich als Innovationen umzusetzen“. Die Finanzkrise stoppte solche Überlegungen erst einmal. Jetzt lebt die Idee im neuen Gewand wieder auf: Vor wenigen Monaten startete die Koelnmesse „incube8“, ein Zentrum für Start-ups aus den Bereichen Einrichten, Ernährung, Digital Media und Entertainment. Das sind genau die Branchen, in denen die Kölner mit Messen wie Imm Cologne, Interzum, Orgatec, Anuga, Dmexco oder Gamescom vertreten sind.

Freilich muss ein Kompetenzzentrum nicht notwendigerweise ein analoges Angebot sein. Begleiten, zusammenbringen, Wissen vermitteln – das geht auch online, wie etwa die Messe Frankfurt mit Tendence Impulse zeigt, einem Zusatzservice der Internationalen Konsumgütermesse: Das interaktive digitale Lernprogramm vermittelt Einzelhändlern Kenntnisse zur Verkaufsförderung. Auch bei der Markenkommunikation übernehmen Messen eine neue Rolle. Beispiel Photokina: Die Aussteller wollen auf eine Fachmesse, das ja. Aber sie legen Wert darauf, über die sozialen Medien auch die Konsumenten zu erreichen, die, seit die meisten Fotos mit dem Smartphone gemacht werden, eine hochrelevante Zielgruppe sind. Deshalb halten Messen die Infrastruktur für digitalen Content bereit – und zunehmend auch den Content selbst.

„In der Messekommunikation wird der Stand immer mehr zur Event-Plattform.“

Die Entwicklung bietet neue Chancen auch für Messedienstleister. Upreach, ein erst vor zwei Jahren gegründetes Berliner Start-up, bedient bereits Dax-Konzerne wie Adidas, BMW, Daimler und Telekom. Sein Produkt: ein Fotosystem, das Bilder von Messeteilnehmern auf originelle Weise mit Unternehmens-Content verbindet. Wer etwa auf der Frankfurter Buchmesse den Stand der Buchhandelskette Thalia besuchte, konnte sich mit den Boxen von Upreach ein personalisiertes Lesezeichen ausdrucken: das eigene Konterfei vor einem Bücherregal oder der Skyline von New York. Voraussetzung war die Anmeldung für den digitalen Newsletter. Mehr als 3000 Leads generierte Thalia auf diese Weise. „Das Incentive muss attraktiv genug sein, damit potenzielle Kunden in die Datenverarbeitung einwilligen“, sagt Upreach-Mitgründer Benjamin Harr. Soll die Reichweite in sozialen Medien gesteigert werden, geht das auch über GIFs oder kurze Videos, die Besucher über ihre Smartphones teilen. „Unser System muss maximal Freude machen“, sagt Harr. Rund 85 Boxen hat er derzeit im Einsatz und denkt schon über ein Folgeprodukt nach.

Auch Frederik Nimmesgern, Kreativdirektor der Kölner Agentur Uniplan, sagt: „In der Messekommunikation wird der Stand immer mehr zur Event-Plattform.“ Nimmesgern zeichnet verantwortlich für ein spektakuläres Event, mit dem Audi vor zwei Jahren die Präsentation seines neuen A5 begleitete: ein interaktives digitales Konzert. Die Gäste schufen ihre eigenen Avatare, deren emotionale Reaktionen auf die Autostudie per Algorithmus in Soundpartikel umgesetzt und in eine Komposition integriert wurden. Musiker spielten das Ergebnis live – eine perfekte Symbiose von Mensch und Maschine. Vor 20 Jahren wäre eine so effektvolle Darbietung technisch gar nicht möglich gewesen. Und selbst wenn – man hätte den Aufwand im Rahmen einer Messe wohl kaum als angemessen betrachtet.

Je präziser die Erfolgsmessung, desto größer die Erwartungen

Heute sind die Erwartungen groß, dass etwas los ist am Stand, dass es Panels oder Kurzvorträge gibt oder ein digitales Fußballspiel, wie es auf der CCW Call Center World in Berlin zur Traffic-Generierung ein Telekom-Anbieter veranstaltete. Wie selbstverständlich wird Standbesuchern via VR-Brille eine Besichtigung des neuen Werks in China angeboten oder per Augmented Reality der noch gar nicht produzierte Prototyp. Und doch ist das alles erst der Anfang. „Der Event-Charakter wird weiter zunehmen, auch bei Fachbesuchertagen“, prophezeit Messeexperte Fritze. Event-Spezialistin Kahn empfiehlt Messestände, die rund um ein Thema eine Geschichte erzählen. Da müsse aber alles passen, bis hin zum Catering und zur Kleidung der Hostessen. „Vor zwanzig Jahren waren die Menschen weniger verwöhnt. Heutzutage haben sie schon viel gesehen.“

Auch auf anderen Gebieten steigen die Ansprüche. „Früher ist man auf eine Messe gegangen und hat später die Leads gezählt. Heute messen wir, ob sich die Themen, die wir getriggert haben, anschließend im Geschäft abbilden“, sagt Deloitte-Manager Schültke. Darauf müssen sich auch die Messebauer einstellen. WWM aus Aachen beispielsweise entwickelte eine Plattform für eine vollständige digitale Messeplanung und verspricht sogar eine datenschutzkonforme Besuchermessung. Die Firma gewann mit dem Konzept einen WeDoDigital Award des Deutschen Industrie- und Handelskammertags.

Die Transformation des Marketingträgers Messe wird weitergehen. Schültke wünscht sich dabei einen engeren Schulterschluss zwischen Messegesellschaften und Ausstellern: „Die Unternehmen wollen für ihr Geld mehr als einen Stand.“ Um Mitwirkung bei der Themensuche geht es ihm und um aktive Programmgestaltung, auch unter Einbeziehung sämtlicher digitaler Kanäle. „Lasst uns in die Co-Creation reingehen“, sagt Schültke und fügt fast ein wenig erstaunt hinzu: „Das wäre vor 15 Jahren unvorstellbar

(mat) führte ihr erstes Interview für die absatzwirtschaft 2008 in New York. Heute lebt die freie Journalistin in Kaiserslautern. Sie hat die Kölner Journalistenschule besucht und Volkswirtschaft studiert. Mag gute Architektur und guten Wein. Denkt gern an New York zurück.