Herr Straubel, es scheint, als ob der Online-Kanal wieder stärker unter Rechtfertigungsdruck kommt. Trügt der Eindruck?
OLIVER STRAUBEL: Nein, grundsätzlich trügt der Eindruck nicht. Aber man muss hier schon deutlich unterscheiden, von welchen Online-Kanälen dabei wirklich die Rede ist. Schließlich hat der Online-Werbemarkt stets wachsende Zahlen und wird, davon können wir alle ausgehen, immer individueller auf die Bedürfnisse der Zielgruppen eingehen müssen. Das heißt es muss der jeweiligen Zielgruppe möglich sein, sich zu individuell gewünschten Zeiten und in der persönlich bevorzugten Art und Weise mit dem Angebot von Anbietern auseinander zu setzen.
Als „Dialoger“, der sich permanent mit Zielgruppenansprache über alle Kanäle befasst, stelle ich jedoch in den letzten Monaten vermehrt fest, dass die noch bis vor kurzem total gehypten Social-Media-Kanäle, zumindest in Sachen Sales, mehr und mehr unter Rechtfertigungsdruck gelangen. Ähnlich verhält es sich bei Online generierten Interessenten, zum Beispiel für Shops oder bestimmte Dienstleistungen.
Was sind die Gründe für die Zweifel an bestimmten Online-Kanälen und welche würden Sie als „über jeden Zweifel erhaben“ herausstellen?
STRAUBEL: Ich denke, Display-Kampagnen, Teile des stetig wachsenden Bereichs des so genannten Mobile-Marketings und das Suchmaschinen-Marketing sowie die Kombination aus Online- und Offline-Ansprache, also letztlich sinnvoll geplantes und gut eingesetztes Multi-Channel, wird – abgestimmt und wirklich Zielgruppengerichtet eingesetzt – im Dialogmarketing immer eine wichtige Rolle spielen und wachsen.
Der angesprochene Rechtfertigungsdruck trifft eher auf das Social-Media-Marketing zu. Die meisten Unternehmen haben inzwischen begriffen, dass man wenig Neukunden dadurch generiert, indem man zum Beispiel bei Facebook eine Präsenz aufbaut und davon ausgeht, dass die so genannten „Freunde“ einem dann denn Online-Shop leer kaufen. Zielgerichtete Ansprache und zielgruppenspezifischer Dialog wird in der Masse der Kommunikation das entscheidende Mittel im Kampf um langfristige Kundenbindung sein. Und diese fängt bei der Neukundengewinnung an. Dazu bedarf es dann deutlich mehr als ein „Like“ im Social Web. Es bedarf vielmehr einer Rückbesinnung auf die alten Dialogmarketing-Tugenden im Denken der Unternehmen erforderlich: Weg vom Massengedanken, hin zu „Wer ist meine Zielgruppe, was braucht diese und auf welchem Kanal will meine Zielgruppe mit mir wie kommunizieren?“.
Warum findet wieder eine Rückbesinnung auf den Dialog statt und was heißt das?
STRAUBEL: Unternehmen, die den Dialog mit ihrer Zielgruppe verstehen, werden in Zukunft weit vor den anderen stehen. Denn Dialogmarketing ist der Schlüssel zur individuellen Kundenansprache, egal auf welchem Kanal und unbeachtet dessen, ob Unternehmen Neukunden gewinnen möchten oder Cross oder Upselling betreiben wollen. Der Kunde möchte wieder als Individuum wahrgenommen werden und ist in seiner Art der Kommunikation mit Unternehmen wählerisch geworden. Alles was nicht sinnvoll abgestimmt und zielgerichtet für den Kunden, also die genaue Zielgruppe, ist, wird eher als störend empfunden und kann dann schnell das Gegenteil des gewünschten Werbeeffekts erzielen.
Dafür braucht man aber eine saubere Zielgruppenbestimmung. Was beobachten Sie in der Praxis und was machen Unternehmen üblicherweise dabei falsch?
STRAUBEL: Der größte Fehler ist der, dass Unternehmen ihre Zielgruppe nicht wirklich kennen, oder das Thema Zielgruppe und deren Bedürfnisse nicht so richtig ernst nehmen. Manchmal wird die Kanalauswahl vor die Zielgruppendefinition gestellt, so dass dabei abenteuerliche Kommunikations-Vorhaben raus kommen. Meistens gelingt es uns aber, die Unternehmen zum Umdenken zu bewegen, wenn wir die Sinnhaftigkeit einer zielgerichteten Kommunikation und der Zielgruppenbestimmung an Beispielen aufzeigen.
Was können Marketingentscheider aus bereits im Unternehmen vorhandenen Bestandsdaten herausziehen?
STRAUBEL: Sehr viel. Bestandskunden können eine optimale Basis zur Neukundenfindung sein und verraten, bei guter Responseanalyse und Datenpflege, viel über das Kaufverhalten der Zielgruppe. Sie geben sogar Aufschluss über die Wünsche an das Kommunikationsverhalten des Unternehmens und liefern wertvolle Infos für zukünftige Ansprachen und mögliche Kanäle. Natürlich setzt das alles einen ordentlich gesteuerten Prozess in der Kundenanalyse und Datenpflege voraus.
Inwieweit hilft das gute alte Scoring dabei weiter und was leistet es?
STRAUBEL: Der Begriff des Scoring wird oft inflationär verwendet. Im Grunde ist es nichts anderes als eine geschickte Form der Datenanalyse und des Sichtbarmachens von Gemeinsamkeiten und Informationen rund um einen Datenbestand. Das ist weder böse, wie mancher mit gefährlichem Halbwissen ausgestattete Verfechter dieser Analyseform die Menschheit glauben machen möchte, noch ist Scoring zum Nachteil des Bestandskunden oder potenziellen Kunden. Im Gegenteil: Gute Analysetechnik ist der Schlüssel zur Zielgruppenfindung und hilft, Kunden und potenziellen Kunden nur mit Informationen zu versorgen die zu der gefundenen (gescorten) Zielgruppe passen. Streuverluste werden minimiert, Kosten gesenkt, Verärgerungen über falsche, nicht zielgerichtete Werbung nehmen drastisch ab, Responsewerte steigen. Man kann hier durchaus von einer Win-Win-Situation sprechen. Der Kunden und das werbetreibende Unternehmen gewinnen. Jeder auf die Weise, die er wünscht und die für ihn wichtig ist.
Welche Unterschiede bestehen bei B2C- und B2B-Kunden und was gilt es bei der Auswahl der richtigen Kanäle zu beachten?
STRAUBEL: Puh, das ist eine augenscheinlich leichte, aber in sich hoch komplexe und schwierige Frage, deren Beantwortung so pauschal nicht möglich ist. Ich werde versuchen mich kurz zu fassen und das, aus meiner Sicht, wichtigste heraus zu stellen. Es gibt Produkte und Dienstleistungen, die klar zwischen B-to-B- und B-to-C-Kunden unterscheiden können. Aber der Übergang ist oft fließend. In der Automobilbranche zum Beispiel: Die meisten Oberklassefahrzeuge sind Firmenwagen, also laufen diese Geschäfte als B-to-B. Aber wer kauft so ein Auto wirklich und welche Emotionen spielen da eine wichtige Rolle. Letztlich, wer ist Zielgruppe für Marke und Modell x und wer für Marke und Modell y? Da entscheidet dann doch eher der Consumer, also der, der das Auto zukünftig fahren soll. Ich möchte an dem Beispiel aufzeigen, dass die Überlegungen in der Zielgruppenbestimmung manchmal sehr weit reichen müssen und verschiedene Aspekte Berücksichtigung finden sollten. Die Unterschiede im B-to-B zum B-to-C können elementar und glasklar, oder kaum spür- und erkennbar sein. Das Dialogmarketing muss dann, entsprechend dieser Bedingungen angepasst werden und sich in der Ansprache entsprechend verhalten. Genauso verhält es sich bei der Auswahl der Kanäle. Es gibt Kanäle, die nur B-to-C erreichen und es gibt Kanäle, über die beide Parteien angesprochen werden können. Der Unterschied liegt dann in der Art und Weise der Kommunikation. Diese Vielfalt und diese Möglichkeiten machen das Dialogmarketing so unersetzbar und wahnsinnig spannend. Immer wieder aufs Neue, für jeden Kunden und jede Zielgruppe individuell, kanalübergreifend.
Die Fragen stellte Christian Thunig.